"Solidarität kann man nicht verordnen"

01.01.2016 UPDATE: 01.01.2016 06:00 Uhr 1 Minute, 46 Sekunden

Soziologe: Auf Marktplätzen sollten keine Flüchtlinge wohnen

hö. Der Heidelberger Claus Wendt ist nicht ganz so begeistert von den Plänen der Stadtverwaltung, zentrale Plätze wie den Wilhelmsplatz mit Flüchtlingsunterkünften zu belegen. Der Weststädter, der seit 1990 in Heidelberg wohnt und an der Universität Siegen Soziologie lehrt, hat nichts gegen eine dezentrale Verteilung der Einfachwohnungen oder Container: "Kleinere Einheiten funktionieren besser als große." Er glaubt allerdings nicht, dass sich die Asylsuchenden allein deswegen schon gut in einen Stadtteil integrieren lassen, wenn sie dort an zentraler Stelle wohnen: "Dafür, dass man auf dem Marktplatz mit Flüchtlingen, die dort wohnen, ins Gespräch kommt - also der Nachbarschaftsfaktor -, gibt es in der Forschung wenig Belege. Das funktioniert über andere Strukturen, wie beispielsweise Schulen oder Sportvereine."

Und er findet auch, dass Orte wie der Wilhelmsplatz - vergleichbar dem Neuenheimer Marktplatz oder dem Areal vor der Tiefburg - einem Stadtteil erhalten bleiben müssen, "als Ort des sozialen Austauschs, der nicht zweckentfremdet sein soll". Das gilt aber auch für Sporthallen oder -plätze, eben "Orte, die für die Stadtteile eine große Bedeutung haben". Denn er befürchtet, dass dann auch die bisher sehr große Hilfsbereitschaft den Flüchtlingen gegenüber leiden könnte, wenn der Bevölkerung diese Flächen weggenommen werden: "Solidarität kann man nicht verordnen." Daher geht es ihm auch eher darum, die Solidarität der Heidelberger zu fördern, indem man die Schulen oder Sportvereine unterstützt. Das hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass auch der Rest der Stadt davon etwas hat. Und das hebt dann wieder die Akzeptanz für Flüchtlinge.

Wendt hat für diese Annahme interessante soziologische Belege: So wiesen beispielsweise die schwedischen Soziologen Walter Korpi und Joakim Palme nach, dass nicht zielgerichtete Fürsorgeprogramme die Armut besser bekämpfen, sondern Ansätze, in denen Sozialleistungen allen zur Verfügung stehen. Davon profitieren auch mittlere und höhere Einkommensgruppen - und die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz dafür wird breiter: "Die Bereitschaft, von seinem Wohlstand abzugeben, steigt, wenn Kinderbetreuung, Spiel- und Sportmöglichkeiten und Gesundheitsversorgung auch für die eigene Familie besser werden." Daher hält er auch spezielle Wohnungsbauprogramme für Flüchtlinge eher für einen falschen Weg, besser wäre da ein breit angelegtes Programm für mehr bezahlbaren Wohnraum, von dem möglichst viele etwas haben.

Wendt will nicht missverstanden werden: Hier formiert sich keine Bürgerinitiative gegen Flüchtlingswohnungen auf dem Wilhelmsplatz im soziologischen Gewand. Er will eher eine Diskussion darüber anregen, wie die Integration der Flüchtlinge gelingen kann. Und dafür braucht man eine große Akzeptanz der Bürger. Deswegen fände er es auch nicht schlimm, wenn Asylsuchende auf US-Flächen wohnen würden: "Ich verstehe nicht so gut, warum zukünftige Heidelberger oder das wirtschaftliche Interesse eine größere Bedeutung haben sollten, als die Bedürfnisse der Leute, die schon hier wohnen."