Von Anton Ottmann
Dielheim. Tilda liebt ihren Opa Amandus. Dessen Frau ist gestorben und der an Alzheimer erkrankte alte Herr kommt mit der neuen Situation gar nicht zurecht. Tildas Vater will ihn in ein Heim geben. Daraufhin entführt das Mädchen den Großvater kurzerhand und geht mit ihm auf eine abenteuerliche Reise: nach Venedig, dort, wo er einmal sehr glücklich gewesen war. Die hochaktuelle Tragikomödie "Honig im Kopf" kennen viele bereits als Film. Sie wurde unter der Regie von Manfred Maier im vergangenen Jahr im Theater im Bahnhof in Dielheim mit großem Erfolg aufgeführt. Eine Wiederholung scheiterte leider an der Erkrankung eines Mitwirkenden.
Nicht weniger erfolgreich und gerade noch rechtzeitig vor der für die nächste Zeit notwendig gewordenen Schließung des Theaters brachte die Theaterpädagogin Petra Kirsch mit ihrer Truppe aus 30 Kindern und Jugendlichen das orientalische Märchen "Sesam öffne dich" auf die Bühne – ein grandioses orientalisches Spektakel mit prächtigen Kulissen, nahezu lebensechten Kamelen, Gesang und Tanz, Zauberei und einer spannenden und anrührenden Geschichte aus "Tausendundeiner Nacht".
Das im erweiterten ehemaligen Bahnhof untergebrachte Dielheimer Amateurtheater bietet ganzjährig ein abwechslungsreiches Programm mit Schauspiel, Komödien, Comedy, Konzerten und Lesungen. Meistens sind es Inszenierungen aus den eigenen Reihen mit erwachsenen Amateuren. Aber auch Profis kommen nach Dielheim, finden sie hier doch immer ein sehr aufgeschlossenes Publikum. Ob dies Boulevard-Komödien sind oder Kleinkunst, wie die Chanson-Sängerin Julie André und der lothringische Sänger Marcel Adam beweisen. Dass auch die Pflege der Mundart einen hohen Stellenwert hat, zeigen nicht nur die Auftritte von Arnim Töpel und Chako Habekost, sondern auch die beliebten Comedy-Produktionen der Theatereigengewächse Michael Stier und Heinz Laier.
Erfolgreiche Jugendarbeit
Besonders auf die ganzjährige Nachwuchsarbeit in Jugend- und Kindergruppen mit ausgebildeten Theaterpädagogen wird in Dielheim großen Wert gelegt. Der Erfolg beruht nicht zuletzt auf der seit fast 30 Jahren bestehenden Kooperation mit der Musikschule Horrenberg-Dielheim, die den Unterricht organisiert, während das Theater die Aufführungsmöglichkeiten bietet und für die Infrastruktur im Hintergrund wie Kulissen, Licht- und Tontechnik und für die Werbung sorgt.
Das Dielheimer Amateurtheater wurde 1963 von einigen Jugendlichen im Alter von 15 bis 16 Jahren als "Spielgruppe 63" gegründet. Sie suchten ganz bewusst eine Alternative zum üblichen Kulturbetrieb der örtlichen Gesang- und Musikvereine mit den rührseligen Volksstücken, die damals, oft auch mit religiösem und moralisierendem Charakter, auf den Winterfeiern aufgeführt wurden. Vor allem Friedrich E. Becht und Manfred Maier bestimmten in den folgenden Jahren als Ideengeber, Hauptdarsteller und Regisseure die künstlerische Ausrichtung des Theaters, das sich mit Unterstützung der "Spielerberatung Baden-Württemberg" mit der Zeit immer mehr am professionellen Theater orientierte.
Um erfolgreich zu sein, brauchte man aber nicht nur Schauspieler und Schauspielerinnen auf der Bühne, sondern auch Personen der unterschiedlichsten Berufsgruppen, die im Hintergrund die Aufführungen erst möglich machten. Kulissenbauer, Schminkdamen, Personal zum Bewirten und Kochen und viele andere fand man nicht nur unter den Schulkameraden oder im Freundeskreis, sondern auch unter der übrigen Dielheimer Jugend, die von der kulturellen und gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre angesteckt war. Viele wuchsen mit ihren Aufgaben und brachten es im Laufe der Zeit zu großer Professionalität, was vor allem für das Fotografieren und Plakate-Gestalten von Becht zutrifft.
Lange Jahre spielte man Stücke in kleiner Besetzung, wie Einakter von Ephraim Kishon, Carl Valentin und Jean Cocteau für etwa 200 Zuschauer im katholischen Pfarrsaal. Schon seinerzeit experimentierte man gerne und stellte hohe Ansprüche an die Stücke.
Viele Jahre brachte man das sogenannte "Herbststück" in der Dielheimer Mehrzweckhalle mit großem Erfolg und bis zu 1400 Zuschauern auf die Bühne. Dies reichte vom "Schinderhannes" über das Singspiel "Halleluja Billy" bis zu John Steinbecks "Von Mäusen und Menschen" und "Arsen und Spitzenhäubchen" von Josef Kesselring. Ganz große Publikumserfolge waren "Spiels noch einmal, Sam" von Woody Allen und Dario Fos "Zufälliger Tod eines Anarchisten".
In dieser Zeit wurde dem Theater eine alte Bäckerei als Vereinsheim mit Probemöglichkeit, Platz zum Feiern und zur Unterbringung der Kulissen überlassen. Das Theater gewann an Kapazität und Ansehen. So waren die Organisation der Deutsch-Französischen Theatertage und die mehrmalige Ausrichtung der Kraichgauer Theatertage Höhepunkte in der Geschichte und trugen zum wachsenden guten Ruf bei.
Eine neue Ära brach an, als der langersehnte Traum des Vereins Wirklichkeit wurde: ein eigenes Theater. Dazu hatte die Gemeinde das ehemalige Bahnhofsgebäude der "SWEG-Nebenbahn" erworben. Der Verein konnte es mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde und des "Landesverbands der Amateurtheater" nach seinen Vorstellungen aus- und umbauen. Es verfügt über einen etwa 100 Personen fassenden Zuschauerraum, einer Empore für die Technik, eine kleine aber technisch gut ausgerüstete Bühne, einen Aufenthaltsraum für Künstler und Vereinssitzungen und ein Lager für die Requisiten.
Nach einer gewissen Übergangszeit hat man die Mehrzweckhalle als Spielstätte aufgegeben und bringt jetzt ganzjährig ein buntes Programm auf die Bahnhofs-Bühne, wobei Publikumserfolge jeweils wiederholt werden, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Die Zuschauer lieben ihr kleines Theater, besonders die Nähe zu den Schauspielern, die oft auch das Publikum in ihre Aufführungen mit einbeziehen.
Im Oktober geht es weiter
Das Theater hat keinen Nachwuchsmangel, aber die Vereinsführung liegt immer noch weitgehend in den Händen der Vereinsgründer oder sonstiger "Alter Hasen" – an der Spitze Edgar Kloe, der seit vielen Jahren, zuerst als Stellvertreter und dann als erster Vorsitzender, den Verein managt. Gerne würde man die nicht einfache und umfangreiche Organisation an jüngere Hände übergeben, ist von Kloe zu hören. Bis jetzt hat sich aber noch keine tragfähige Lösung abgezeichnet.
"Nachdem wir im Januar ’Nackter Wahnsinn’ und ’Sesam öffne dich’ jeweils vier Mal vor ausverkauftem Haus auf die Bühne brachten, waren als Nächstes zwei Aufführungen auf den Kraichgauer Theatertagen in Sinsheim geplant", teilte Kloe der RNZ mit. Diese mussten aber, wie auch die Proben für weitere Aufführungen im Theater im Bahnhof, wegen "Corona" eingestellt werden. So müsse leider auch "Ein Abbild des Dorian Gray", auf das sich bestimmt schon viele gefreut hatten, auf das Spätjahr verschoben werden. Die erste öffentliche Veranstaltung wird voraussichtlich erst wieder im Oktober möglich sein mit "Wenn die Sehnsucht treibt", eine Lesung mit musikalischer Begleitung im Rahmen des "Dielheimer Herbstes".