Bischof Stehle schützte Missbrauchstäter und war wohl selbst einer
Neue Studie der Kirche bestätigt Vorwürfe gegen inzwischen verstorbenen Dossenheimer Kaplan

Dossenheim. (bmi) Auf Seite 113 steht geschrieben: "Mein Antrieb ist es, das Verhalten Stehles publik zu machen, damit sich auch andere trauen, etwas zu sagen, und damit diese Dinge nicht wieder passieren." Es ist einer der vielen eindrücklichen Sätze einer am Montag von Deutscher Bischofskonferenz (DBK) und Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat veröffentlichten Untersuchung.
Mit dieser arbeitet die Katholische Kirche Fälle sexuellen Missbrauchs und deren Vertuschung rund um den früheren Adveniat-Geschäftsführer, Bischof und Dossenheimer Kaplan Emil Stehle (1926-2017) und die Auslandspriester-Koordinationsstelle "Fidei Donum" auf.
Die zentralen Ergebnisse: Stehle wird des sexuellen Missbrauchs in 16 Fällen beschuldigt und hat drei in Deutschland wegen Missbrauchs beschuldigte Priester der Strafverfolgung durch Versetzung nach Lateinamerika entzogen.
> Die bisherigen Vorwürfe: Bereits Ende 2021 wurde in Hildesheim die Untersuchung zu sexuellem Missbrauch im dortigen Bistum vorgestellt und – wie berichtet – eine Beteiligung Stehles bekannt. So habe dieser 1976 als Leiter der "Fidei Donum" geholfen, einen des Missbrauchs beschuldigten Priester nach Paraguay zu versetzen. Die Obfrau der Studie, Antje Niewisch-Lennartz, vermutete schon damals ein systematisches Vorgehen und keinen Einzelfall. Sie erklärte auf RNZ-Nachfrage im Februar, dass sich bis dahin sechs Frauen mit unterschiedlichem Missbrauchserleben durch Stehle gemeldet hätten.
> Die Ergebnisse der neuen Studie: 16 Meldungen und Hinweise zu sexuellem Missbrauch führt die von der DBK beauftragte Rechtsanwältin Bettina Janssen in ihrer Untersuchung auf. "Die Tatvorwürfe reichen von einmaligen Grenzverletzungen über sexualisierte Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen in mehreren Fällen" in mehreren Jahrzehnten. Schilderungen der Betroffenen machen betroffen, wenn etwa Stehles, so wörtlich, "Beuteschema" – um die 18 Jahre alt, gut katholisch erzogen, sexuell unerfahren, vom Dorf – beschrieben wird. Oder ein weiteres Opfer beschreibt: "Mit Alkohol benebeln war seine Methode, wenn das Opfer sich verweigerte, keine Gewalt." Eine Frau vermutet gar, dass Stehle "sie nicht nur getauft, sondern auch gezeugt habe". Sie berichtete zudem, er habe sie "aufgefordert, sich auszuziehen und sie ,befummelt’". Zudem habe Stehle laut DBK-Studie in den 70er Jahren drei Priestern geholfen, sich deutschen Strafverfahren zu entziehen – zwei wegen Kindesmissbrauchs. Stehle setzte etwa Namenscodierungen, Tarnadressen und Unterhaltshilfen ein, um den Männern ein verdecktes Leben in Lateinamerika zu ermöglichen. Das Fazit: "Der zentrale Skandal, der durch die Untersuchung präzisiert wird, ist die Causa Emil Stehle und das Wegschauen von Kirche und Gesellschaft."
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> Die Person Emil Stehle: Emil Lorenz Stehle wurde 1926 in Südbaden geboren und 1951 in Freiburg zum Priester geweiht. Die Vikarzeit verbrachte Stehle ab 1953 je zwei Jahre lang in Waibstadt und bis 1957 in Dossenheim. Von dort aus zog er nach Südamerika, wo er in Kolumbien und Ecuador tätig war und zum Berater sowie später Geschäftsführer von Adveniat wurde. 1983 wurde er zum Weihbischof ernannt, war wegen seiner Vermittlung im Konflikt zwischen Militärregime und Guerilla in El Salvador gar 1994 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. 2002 zurück in Deutschland, war Stehle als Firmbischof in Südbaden tätig, von 2006 an nach einen Schlaganfall schwer behindert. Er verstarb 2017 in Konstanz.
> Die Zeit in Dossenheim: In seinen zwei Jahren in der Bergstraßengemeinde genoss Stehle einen guten Ruf und schloss viele Freundschaften. Er führte dort das Legen des Fronleichnamsteppichs ein und galt als willkommener regelmäßiger Gast. Von hier wurden die von Stehle in Südamerika aufgebauten und viel gelobten Hilfsprojekte stark unterstützt. Das Engagement mündete 2007 in der Gründung der "Stiftung Bischof Emil Stehle". Diese hat sich im Februar in "Brücke nach Ecuador – Caritative Stiftung seit 2007" umbenannt, als die Missbrauchs- und Vertuschungsvorwürfe gegen Stehle lauter wurden.
> Die Reaktion der Erzdiözese: "Die Anschuldigungen sind schwerwiegend, sie machen fassungslos und wütend", teilt Sprecher Marc Mudrak für die Erzdiözese Freiburg auf RNZ-Anfrage mit. Sie lassen das Wirken Stehles in einem nochmal deutlich dunkleren Licht erscheinen – grundsätzlich neue Erkenntnisse über Stehles aktive Zeit in der Erzdiözese Freiburg gebe es jedoch nicht. "Meldungen zu grenzüberschreitendem Verhalten oder Missbrauch aus dieser Zeit liegen uns nicht vor", betont Mudrak. In der Untersuchung heißt es dagegen, dass sich Tatvorwürfe gegen Stehle neben seiner Auslandszeit und späterer Stationen auch "durch seine Zeit als junger Priester in der Erzdiözese Freiburg" ziehen. Es sei möglich, dass es weitere sexuelle Übergriffe und Vertuschungsversuche an Stehles Wirkungsorten gegeben hat, heißt es weiter. Weitere Recherchen – auch im Freiburger Aktenmaterial – seien nötig, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Das Erzbistum will sein eigenes, 2018 initiiertes Missbrauchsgutachten diesen Oktober vorstellen. Ohne Untersuchungen zur Causa Stehle, da diese die Veröffentlichung deutlich verzögern würden.