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Grünen-Rebell "Winne" Hermann wird 70

Ein militanter Pazifist ist bei den Grünen selten geworden. Winfried Hermann wird auf seine alte Tagen nochmal zum Rebell.

14.07.2022 UPDATE: 14.07.2022 15:56 Uhr 4 Minuten, 10 Sekunden
Winfried Hermann. Foto: dpa

Von Henning Otte

Stuttgart. Die Zeiten haben sich radikal geändert, seit Winfried Hermann vor über elf Jahren erster grüner Verkehrsminister in Baden-Württemberg wurde. Damals galt der linke Grüne, der aus Berlin zurückkam, nicht wenigen im Autoland als "Bürgerschreck" und "Verkehrtminister" und selbst bei so manchen Realo-Grünen als Nervensäge.

Und heute? Ist der erbitterte Streit um Stuttgart 21 befriedet, E-Autos gehört die Zukunft, es fahren mehr Busse und Bahnen im Südwesten und geradelt wird auch deutlich mehr. Hermann ist mit seiner Verkehrswende und dem Kampf für den Klimaschutz fast schon im Mainstream angekommen - wie die regierenden Grünen insgesamt. Dabei wollte Winne Hermann doch immer anders sein.

Der Minister könnte nun abtreten, schließlich wird der gelernte Lehrer und späte Vater am 19. Juli 70 Jahre alt. Was man ihm nicht ansieht. Der Mann ist agil - und wirkt immer noch so, als gehöre er nicht zur Generation von Winfried Kretschmann, der mit 74 nur gut 4 Jahre älter ist als er. Auf seine alten Tage ist Hermann wieder zum Rebell geworden. Ein Spaziergang und ein Gespräch über sein politisches Leben, die Grünen, Kretschmann, Källenius - und einen Knacks.

Wer hat sich mehr verändert, die Grünen oder Sie?

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"Ich habe mich als Minister schon sehr verändert. Zu Beginn als Minister war ich, gewollt und ungewollt, der linksgrüne Politiker, der allen zeigen wollte, dass sich hier mal was ändern wird, und der dachte, jetzt werden die grünen Ziele direkt umgesetzt. Ich habe damals noch nicht richtig verstanden, dass man als Minister, ob man will oder nicht, eben nicht Minister für die eigene Partei ist, sondern für das ganze Land."

Und gab es da einen Wendepunkt?

"Ich weiß noch, dass ich kurz nach Antritt als Minister zum Parteitag nach Berlin gefahren bin. Da ging es mir richtig dreckig, weil ich in Stuttgart permanent und auch unter der Gürtellinie angegriffen wurde, wie ich das vorher nie erlebt hatte. Da habe ich am Rande rumgejammert und dann hat Reinhard Bütikofer, der frühere Landes- und Bundesvorsitzende, zu mir gesagt: "Du verhältst dich immer noch wie der Sprecher einer Bürgerinitiative. So kannst Du nicht weitermachen." Das war ein Aha-Erlebnis für mich."

Der Minister fügt sich. Nach der Volksabstimmung für Stuttgart 21 Ende 2011 muss er ran und das für ihn verhasste Bahnprojekt politisch eskortieren. Hermann ändert seine Kommunikation. "Rumschwurbeln war mir immer ein Graus." Aber wer zu direkt sei, könne auch verletzend sein. "Das musste ich lernen."

Und wie haben sich die Grünen verändert?

"Die Partei ist natürlich, wie ich auch, insgesamt viel pragmatischer geworden. Heute stünden viele Grüne an Positionen, "an die wir früher unsere Kritik, unsere Anklage gerichtet haben." Die Partei habe am Anfang "einen quasi religiösen Charakter" gehabt. "Wir waren eine Glaubensgemeinschaft – nach dem Motto: Ich glaube an das Gute im Menschen, ich glaube an die Veränderung. Ich glaube, dass wir das alles schnell hinkriegen und natürlich auch, dass man im Recht ist und die anderen immer ein bisschen doof sind." Mit dieser Arroganz gingen er und seine Partei heute nicht mehr an die Dinge ran.

Hermann gewann in seinem politischen Leben viel Profil, weil er gegen etwas war. Bekannt wurde er als Bundestagsabgeordneter wegen seines Widerstands gegen Bundeswehreinsätze im Kosovo und in Afghanistan. Für die Grünen und Rot-Grün unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) waren die Konflikte eine Zerreißprobe. Über 20 Jahre danach herrscht in Europa wieder Krieg. In Deutschland wird kaum kontrovers diskutiert, ob man der Ukraine Waffen liefert, sondern wie schnell. Hermanns Partei ist vorne mit dabei. Der altlinke Grüne wundert sich und sagt: "Ich gehe als Pazifist ins Grab."

Damit ist er bei den Grünen heute wieder ein Außenseiter. Nach der Schule war Hermann, der aus Rottenburg am Neckar stammt, erst bei der SPD - doch wegen Nato-Doppelbeschluss und Atomkraft verließ er die Partei. Zu den Grünen stieß er 1982. Diese hätten exakt dem entsprochen, was er gut und richtig fand. "Den Knacks gab es erst in der Friedensfrage, so um die Jahrtausendwende." Das sei geblieben, "dass ich an der Stelle mit manchem fremdele".

Würden Sie sich immer noch als Rebell bezeichnen?

"Ich hatte immer so ein rebellisches Motiv, das war auch meine Generation. Ich bin mit der Rock- und Popmusik groß geworden. Ein Kulturbruch. Wir haben gegen den deutschen Schlager, gegen das deutsche Volkslied, gegen die Kirche und gegen alle alten Zöpfe rebelliert. Wir waren rebellisch, ich wollte nicht heiraten. Ich habe gedacht, ich werde nie anders als in einer Wohngemeinschaft leben. Ich werde nie eine Frau und eine Familie haben."

Und was ist daraus geworden?

"Davon ist natürlich vieles nicht mehr da. Inzwischen habe ich eine Frau, eine Tochter und lebe mit denen in einer Wohnung und nicht in der Wohngemeinschaft. Da hat sich auch viel persönlich geändert. Es wäre übertrieben, mich heute noch als Rebell zu bezeichnen."

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Winfried Kretschmann?

"Weil ich links bin, hat er immer auch eine gewisse Distanz zu mir gewahrt, glaube ich. Aber es gibt auch Respekt. Gegenseitig. Es gibt Themenbereiche, wo ich immer überrascht bin, in denen ich genau gleich ticke wie er. Und es gibt andere Felder, wo ich denke, so würde ich das nicht sagen, so würde ich nie auftreten."

Haben Sie sich wegen des Ukraine-Kriegs entfremdet?

"Kretschmann hat die Überschrift gelesen "Ich gehe als Pazifist ins Grab" und hat gesagt: "Wer sagt, er geht als Pazifist ins Grab, mit dem brauche ich nicht mehr diskutieren." Das kann man so deuten, dass nichts zu retten ist oder aber als Respekt vor einer grundsätzlichen Meinung und Haltung, die sich nicht ändert. Ich nehme es als Denkanstoß, denn auch der Pazifismus darf keine "Wohlfühl-Nische sein"."

Als Verkehrsminister fühlt Hermann sich mittlerweile deutlich wohler. Kein Wunder, seine schärfste Kritikerin von früher, Nicole Razavi von der CDU, sitzt nun als Bauministerin neben ihm im Landeskabinett. Man duzt sich. Stolz ist er auf den Ausbau des ÖPNV und des Radverkehrs. "Dass das heute Themen sind, die fast alle akzeptieren. Dass auch ein Automanager wie Ola Källenius sagt, das ist wichtig, das ist gut, und ich fahre auch Fahrrad."

Dass seit Beginn seiner Amtszeit rund eine Million Autos mehr auf den Straßen im Südwesten unterwegs sind, hört der Grüne nicht so gern. "Die habe ich ja nicht persönlich zugelassen, auch nicht persönlich angeschafft, sondern das ist ein Spiegelbild der demografischen und ökonomischen Entwicklung des Landes." Entscheidend für das Klima sei aber, wie viele Kilometer diese Autos fahren und ob sie klimaschädlich sind. "Da muss man ansetzen, und das ist noch nicht durchschlagend gelungen. Aber die Wende ist in Sicht."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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