Neckarwestheim II könnte bis Februar Strom liefern
In der grün-schwarzen Landesregierung eskaliert der Streit um eine längere Nutzung der Atomkraft.

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Die baden-württembergische CDU hat sich mit ihrem Vorstoß für eine längere Laufzeit für die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland beim grünen Koalitionspartner eine blutige Nase geholt. "Es geht einfach nicht, wie die CDU sich das vorstellt", kommentierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag.
Der CDU-Landesvorstand hat sich in einem Positionspapier mit Verweis auf die drohende Energie-Knappheit in diesem Winter eindringlich für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten ausgesprochen. Zwar halte man grundsätzlich am Atomausstieg fest, heißt es in dem CDU-Papier. "Angesichts der drohenden Notsituation darf aber in dieser Krise auf bestehende Kapazitäten, die sicher erzeugt werden können, nicht verzichtet werden." Bislang ist vorgesehen, die letzten drei deutschen Meiler, darunter Block II des Kraftwerks Neckarwestheim (GKN) bei Heilbronn, Ende 2022 abzuschalten.
"Mit Überschriften allein kommt man da nicht weiter", kanzelte Kretschmann das CDU-Papier ab, dem er die notwendige Tiefe und Substanz absprach. "Wir haben eine Gas-Mangellage und keine Strom-Mangellage", so Kretschmann. Eine echte Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke sei theoretisch nur möglich, wenn man Abstriche bei der Sicherheitsarchitektur der Meiler mache; das aber halte er für "ausgeschlossen".
GKN II ist nach dem letzten großen Sicherheitscheck vor der Stilllegung seit Freitagabend wieder am Netz. Bei der Revision wurden erneut einige Risse in Heizrohren entdeckt. Neue Brennelemente wurden keine mehr eingesetzt, so Betreiber EnBW.
Auch interessant
Laut einer Berechnung für das Umweltministerium könnte GKN II bei 50 Prozent reduzierter Leistung noch bis Februar am Netz bleiben. Ein Streckbetrieb mit den vorhandenen Brennstäben um maximal zwei Monate sei "nicht hilfreich", betonte Kretschmann.
Doch die Südwest-CDU scheint in dieser Frage den Kurs ihres Bundeschefs Friedrich Merz zu unterstützen – und höher zu gewichten als den Koalitionsfrieden im Land. Eine gute Stunde nach Kretschmanns Ansage meldete sich der Landeschef der Jungen Union, Florian Hummel, mit mindestens so klarem Widerspruch zu Wort: "Im Streckbetrieb können die verbliebenen drei Reaktoren einen substanziellen Beitrag zur Versorgungssicherheit über den Jahreswechsel hinaus leisten!" Immerhin würden für 15 Prozent der Stromversorgung Gaskraftwerke genutzt. Die Grünen müssten daher "endlich über ihren Schatten springen", so Hummel, und warnte vor einer "Glaubwürdigkeitsfalle" beim Klimaschutz. "Wenn wir schon angesichts der akuten Krisensituation Kohlemeiler wieder hochfahren, sollten wir unsere sauberen Kernkraftwerke ebenfalls zeitweise weiter betreiben, um zu verhindern, dass im Winter ohnehin knappes Gas weiterhin zur Stromerzeugung verwendet werden muss."
Dass Hummel ohne Rückendeckung der CDU-Führung agiert, ist schwer vorstellbar. Idealerweise dient ein begrenzter Konflikt auf einem Feld, in dem das Land kaum Entscheidungskompetenz besitzt, der Profilierung, ohne die Zusammenarbeit zu stören. Doch Hummel geht weiter. "Nur zwei Prozent der landeseigenen Dachflächen sind mit Fotovoltaikanlagen belegt", sagte Hummel. "Das ist nach elf Jahren grün-geführter Landesregierung ein Offenbarungseid und zeigt in Kombination mit der aktuellen Debatte über eine vorübergehende Weiternutzung der Kernkraft, dass die Grünen kein Konzept für eine sichere Energieversorgung in Baden-Württemberg haben!"
Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte. "Die Aufgaben dieser Krisenzeit sind groß. Meistern werden wir sie nur, wenn die Landesregierung mehr liefert als grüne Lippenbekenntnisse und schwarze Träume von Atom-Dinosauriern", sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Für die FDP, in Atomfragen der Union deutlich näher, stichelt der energiepolitische Sprecher Frank Bonath: "Grün-Schwarz gefährdet mit dem unsinnigen Atom-Streit die Versorgungssicherheit".