Adalbert Zeisberger demonstriert weiter für den Frieden
Sandhäuser vorm Rathaus: Zeisberger änderte sein Schild für mehr Neutralität. Zudem verteilte er gelbe und violette Blumen.

Sandhausen. (luw) "Solidarität für Frieden und Freiheit" steht weiterhin auf dem Schild geschrieben, mit dem Adalbert Zeisberger bekanntlich seit beinahe zwei Wochen fast täglich allein vor dem Rathaus sitzt. Doch die beiden "Ukraine"-Schriftzüge an den Rändern des Schildes hat er schwarz übermalt.
"Jeder weiß ja mittlerweile, warum ich hier sitze", sagt der 71-Jährige. Und er wolle eben nicht nur hier sitzen, sondern möglichst auch etwas gegen das Leid tun, das mit diesem Krieg verbunden ist. Und um seine Chancen auf Unterstützung von außen zu erhöhen, wolle er mit seinem Schild "mehr Neutralität" ausstrahlen. Deswegen sei "Ukraine" nicht mehr zu lesen. "Und wer sich auf Frieden und Freiheit nicht einigen kann, hat in unserem Land nichts verloren", ergänzt er entschlossen.
Weiterhin werde er von Passanten angesprochen, meist seien es positive Reaktionen. "Einer hat aber gesagt, dass es den Palästinensern auch schlecht gehe und warum ich dazu nichts mache." Doch das sei eine schwache Argumentation, meint der Sandhäuser: "Man kann ja nicht das eine Leid gegen das andere ausspielen." Erfreut habe ihn indes neulich die Geste eines Einkaufsmarkts: "Ich habe einen Eimer voll gelber und violetter Blumen geschenkt bekommen, die ich nun einzeln verteile."
Update: Dienstag, 8. März 2022, 20.14 Uhr
Adalbert Zeisberger demonstriert täglich vor dem Rathaus
Der 71-Jährige veranstaltet seit dem vergangenen Donnerstag eine "Ein-Mann-Demo" gegen den Ukraine-Krieg. Dafür erntet er nicht nur Zuspruch.
Von Lukas Werthenbach
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Sandhausen. Ein Mann, ein Schild, eine Hoffnung: Seit vergangenem Donnerstag, seitdem die russische Armee die Ukraine angreift, sitzt Adalbert Zeisberger fast täglich auf dem Rathausplatz. "Solidarität für Frieden und Freiheit" steht auf dem Schild, an dessen Rändern der Schriftzug "Ukraine" angebracht ist. "Ich sitze einfach nur hier", sagt der 71-Jährige: "allein." Doch zwischenzeitlich befürchtete er, wegen einer nicht angemeldeten Demonstration angezeigt zu werden: Die Polizei wurde zu ihm gerufen. Er könne nicht anders, als sich hierhin zu setzen – auch wenn ihn Teile seines privaten Umfelds bereits für "verrückt" erklärten. Die RNZ sprach mit ihm über seine Motivation und unterschiedlichste Reaktionen von Passanten.
Hintergrund
Verwirrung aufgeklärt
Adalbert Zeisberger hatte es sich gerade erst mit seinem Schild vor dem Rathaus bequem gemacht, da drohte ihm vermeintlich schon Ärger: "Irgendjemand hat die Polizei gerufen, weshalb zwei Beamte zu mir kamen und fragten, was ich
Verwirrung aufgeklärt
Adalbert Zeisberger hatte es sich gerade erst mit seinem Schild vor dem Rathaus bequem gemacht, da drohte ihm vermeintlich schon Ärger: "Irgendjemand hat die Polizei gerufen, weshalb zwei Beamte zu mir kamen und fragten, was ich hier mache." Als er gesagt habe, dass er hier lediglich sitze, hätten die Beamten widersprochen: "Das ist eine Demonstration, die muss angemeldet werden", fasst Zeisberger die Aussagen zusammen. Am Dienstagmorgen schien für ihn noch nicht klar, ob er mit einer Anzeige rechnen müsse. Doch dazu kam es nicht.
Dem Sandhäuser ist wichtig zu betonen, dass die Beamten sehr nett zu ihm gewesen seien: "Sie haben mir auch gesagt, dass sie mich nicht anzeigen wollten, es aber vielleicht tun müssten." Er selbst habe gedacht, dass es noch keine Demonstration sei, wenn er alleine dort sitze. Auch aus dem Rathaus kam gleich das Signal: Die Gemeindeverwaltung stört sich nicht an der Aktion. Ausschlaggebend sei laut den Polizisten aber das Schild gewesen, berichtet Zeisberger: "Weil ich das Schild vorab angefertigt und zum Beispiel die Holzlatte zurecht gesägt habe, gilt das als geplante Demonstration."
Hätte er lediglich ein Stück Papier mit der gleichen Botschaft beschrieben, wäre aufgrund des "spontanen" Charakters keine Anmeldung nötig gewesen, so Zeisberger unter Berufung auf die Aussagen der Polizeibeamten. Deswegen kam er zwischenzeitlich nur mit Holzlatte ans Rathaus, ohne das mit seiner Botschaft beschriftete Schild.
Doch nun kam die Entwarnung: "Das Ordnungsamt hat es geklärt, ich kann wieder mit Schild ,demonstrieren’", teilte Zeisberger mit. Auch Ralph Adameit als Sprecher des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises erklärte auf RNZ-Anfrage: "Der Wortlaut des Versammlungsgesetzes impliziert, dass für das Vorliegen einer Versammlung mehrere Teilnehmer notwendig sind." Die Rechtsprechung gehe demnach "überwiegend von mindestens drei Teilnehmerinnen/Teilnehmern" aus. Und weiter: "Eine sogenannte Ein-Mann-Demonstration wird von der Meinungsfreiheit beziehungsweise in jedem Fall von der allgemeinen Handlungsfreiheit abgedeckt."
Polizeisprecher Michael Klump klärte auf RNZ-Nachfrage auf: "Den Kollegen vom Polizeiposten Sandhausen wurde gemeldet, dass der Herr nicht alleine dort saß, sondern mit zwei bis drei weiteren Personen." Wenn er aber alleine dort sitze und seine Meinung kundtue, sei daran "absolut nichts zu beanstanden". Zunächst habe bei Fällen von Versammlungen die zuständige kommunale Behörde zu entscheiden: Die Polizei erstatte hier in der Regel keine Anzeige, sondern melde dies nur an die Behörde.
Adalbert Zeisberger ist ein fröhlicher Mensch, das Plaudern "über Gott und die Welt" mit ihm fällt leicht. Angesprochen auf seine Aktion vor dem Rathaus erinnert er sich: "Zuletzt habe ich Ende der 60er Jahre in Heidelberg gegen die Fahrpreiserhöhungen im Öffentlichen Nahverkehr um 20 Pfennig demonstriert." Hintergrund war die legendäre Rote-Punkt-Aktion.
Doch jetzt seien es nicht 20 Pfennig, die ihn umtrieben, sondern Menschen. Seine fröhliche Stimme wird trüber: "Ich bringe es nicht fertig, das im Fernsehen zu gucken", sagt der Sandhäuser, der inzwischen auch einen blau-gelb bemalten Pullover trägt. Die Bilder aus der Ukraine machten ihn "fassungslos". Er fühle sich hilflos, wolle aber etwas tun. Er wirbt dafür, an Hilfsprojekte für die Ukraine zu spenden. Und er ist überzeugt: "Wir sind hier etwas bequem geworden, Demokratie und Freiheit nehmen wir inzwischen als selbstverständlich hin."
Auch seine eigene Familiengeschichte treibe ihn zu diesem Schritt: "Meine Eltern wurden aus dem Sudetenland im heutigen Tschechien vertrieben und in einem Viehwaggon nach Oberfranken gebracht, wo ich geboren bin." Damals nach dem Zweiten Weltkrieg seien seine Eltern auf einem Bauernhof untergekommen. "Ich habe schon zu meiner Frau gesagt, dass wir jemanden aufnehmen müssen", schlägt er den Bogen in die Gegenwart: "Da sind 400.000 Menschen und mehr unterwegs – irgendwann kommen auch welche nach Sandhausen, denke ich."
Und warum demonstriert der seit gut 40 Jahren in Sandhausen wohnende frühere Bankfilialdirektor nun allein? Schließlich finden derzeit auch in der Region zahlreiche große Demonstrationen statt. "Der Grund ist ganz einfach: Wenn ich jetzt auf so eine Demo gehe, habe ich die Befürchtung, dass es Gruppen gibt, mit denen ich nichts zu tun haben will." Als Beispiel nennt er etwa die "Querdenken"-Bewegung oder radikale Parteien.
In den vergangenen Tagen verbrachte der 71-Jährige also schon viele Stunden alleine auf dem Rathausplatz. Immer wieder bleiben Passanten stehen, kommen ins Gespräch mit ihm. So auch gerade, als die RNZ bei ihm vorbeischaut. "Viele grüßen mich zustimmend und strecken den Daumen hoch", erzählt er.
Aber gleich am ersten Tag seiner "Ein-Mann-Demonstration" habe ihn eine Reaktion besonders getroffen: "Eine Gruppe Jugendlicher, vielleicht 14 Jahre alt, kam auf mich zu." Einer von ihnen habe gefragt, was er hier tue. Auf seine Erklärung hin habe der Jugendliche die Faust nach oben gereckt und gesagt: "Putin wird gewinnen." Diese "Empathielosigkeit" eines jungen Menschen habe ihn erschrocken, sagt der Rentner: "Ich war sprachlos, und ich bin eigentlich nicht auf den Mund gefallen." Mit Blick auf die Worte des Jungen ergänzt er: "Ich hatte meinerseits Putin überhaupt nicht erwähnt, sondern mich nur für Frieden und Freiheit ausgesprochen." Doch wenig später heiterten ihn zwei Mädchen wieder auf: "Sie kamen zu mir und haben mir Gänseblümchen geschenkt, die ich ans Schild gesteckt habe."
Und jetzt meldete Zeisberger: "Gerade hat sich mein 15-jähriger Enkel aus Solidarität zu mir gesetzt. Ich bin sehr stolz und gerührt." So will er weiter hier sitzen: "Solange es meine Frau und meine drei Kinder erlauben." Schließlich sitze er hier auch in der Hoffnung, dass seine fünf Enkel in einer friedlicheren Welt aufwachsen.