Barfußpfad für die Ohren
In Eppelheim begann das Heidelberger Streichquartettfest mit einer Hommage an Wolfgang Rihm

Von Jesper Klein
Eppelheim/Heidelberg. Das Ohr schreibt das Hören wie eine Spur nieder. Wenn Wolfgang Rihm über seine Musik spricht oder schreibt, sollte man keine simplen Erklärungen erwarten. Überhaupt: Mit der Musik des Karlsruher Komponisten, der im März seinen 70. Geburtstag feiert, hat sich das Streichquartettfest des "Heidelberger Frühlings" ein anspruchsvolles, aber eben auch ungemein spannendes Thema ausgesucht. Das machte schon das Eröffnungskonzert am Donnerstagabend deutlich, das mit einem reinen Rihm-Programm dem Komponisten, zur Eröffnung selbst anwesend, nun schon im Januar die Ehre erweist. Ursprünglich sollte das Streichquartettfest mit ähnlichem Programm bereits im vergangenen Jahr stattfinden.
Die Reise durch den Kosmos Rihm beginnt der Chronologie nach bei Quartett Nr. 1, einem mittlerweile bereits 52 Jahre alten Werk. Es ist noch immer spürbar moderne, aber in ihrer Dramaturgie eben für die Hörer auch nachvollziehbare Musik. Heftige Steigerungspassagen münden in ausladende Pausen. Hier erfährt man, wie Stille klingt. Die für Kammermusik wunderbare Akustik in der Rudolf-Wild-Halle in Eppelheim trägt ihren Teil dazu bei. Das junge Leonkoro Quartet, das sich erst im Frühjahr 2019 formierte, erarbeitete diese Momente des ausführlichen Lauschens und Nachspürens sehr gewissenhaft.
Streichquartett Nr. 8 hingegen beginnt, als wären die Bögen des JACK Quartets, ausgewiesene Experten für diese Form von Experiment-Musik, in einem jener Augenblicke der Stille ganz versehentlich auf die Saiten heruntergefallen.
Auf dem Notenpult rascheln die Papierseiten. Ist der Komponist hier etwa noch selbst am Werk? Es wird gezupft, gestrichen, gerissen. Dieses Spiel mit den Arten der Ton- und Geräuscherzeugung ist wie ein Barfußpfad für die Ohren. Wer sich auf diese Erfahrung einlässt, kann hier ganz verschiedene Klangstrukturen mit den Ohren erfühlen. Für Freunde anspruchsvoller Musik ist das ein Erlebnis.
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Ganz anders gestaltete sich das Programm nach der Pause: Rihms "Vier Studien zu einem Klarinettenquintett" unterscheiden sich von den viel schrofferen Quartetten der ersten Konzerthälfte schon in ihrer Dimension. Hier beschreitet der Komponist die Langstrecke. Über 40 Minuten sucht die Klarinette den umfassenden Dialog mit den vier Streichern. Viel harmonischer umspielen und umschmeicheln die Instrumente einander. Das Quatuor Danel und Thorsten Johanns an der Klarinette verstehen es, mit viel Gespür ein Klangpanorama zu entwickeln, in dem der musikalische Fluss im Gegensatz zu den Quartetten nicht aufgestaut wird, sondern stetig fließt.
Für Rihm-Fans ist das alles ohne Frage ein wahres Fest. Und doch darf man sich besonders auch auf die Begegnungen des Zeitgenössischen mit älterer Musik freuen, die das Festival in seinem weiteren Verlauf ermöglicht – ob mit Bach, Brahms, Debussy und schließlich der Rihm-Nacht, bei der zudem ein Dokumentarfilm gezeigt wird. Schließlich fügen sich auch die Werke eines gegenwärtigen Komponisten immer in bestehende Gattungstraditionen ein. Das Klarinettenquintett etwa ist ohne Mozart nicht denkbar, Rihms Quintett-Studien wiederum tragen Spuren von Brahms in sich. Bezüge dieser Art hörbar zu machen, kann einem Festival die besonderen Momente bescheren.
Info: Das Streichquartettfest findet noch bis zum 23. Januar in der Rudolf-Wild-Halle in Eppelheim statt.



