Neckar-Odenwald-Kreis

So sieht die Bundestags-Bilanz von Alois Gerig aus

Alois Gerig geht im Herbst in den politischen Ruhestand. Im RNZ-Interview zieht er Bilanz. "Wir können froh sein, in diesem Land zu leben", sagt er.

03.09.2021 UPDATE: 04.09.2021 06:00 Uhr 6 Minuten, 44 Sekunden
Der Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit RNZ-Redakteur Dominik Rechner. Foto: Mayer

Von Dominik Rechner und Janek Mayer

Höpfingen. Am 26. September wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Nach zwölf Jahren als Abgeordneter tritt Alois Gerig aus Höpfingen nicht mehr zur Wahl an. Mit der Rhein-Neckar-Zeitung sprach der 65-Jährige – in gemütlicher Atmosphäre zuhause auf dem Schlempertshof – über die Zeit als Bundespolitiker, sein Steckenpferd Landwirtschaft, die Klimakrise und einen Silberstreifen während der Corona-Pandemie.

Herr Gerig, worauf sind Sie in Ihren zwölf Jahren als Bundestagsabgeordneter besonders stolz?

Ich bin glücklich und stolz, dass ich dem damaligen Werben nachgegeben habe und mutig genug war, mich zur Wahl als Bundestagsabgeordneter zu stellen. Im Nachgang waren die zwölf Jahre eine sehr spannende Lebensphase. Ich hatte tolle Wahlergebnisse, dreimal war ich im Spitzentrio in Baden-Württemberg, einmal sogar ganz vorne. Es war ein gutes Gefühl, den Menschen in meiner Heimat dienen zu dürfen.

Hintergrund

1 Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag als Bundestagsabgeordneter?

Ja, ich war in einer Fraktionssitzung, als der Vorsitzende Volker Kauder mich Kanzlerin Angela Merkel mit den Worten "Hier ist der Stimmenkönig aus Baden-Württemberg" vorstellte. Das war ein

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1 Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag als Bundestagsabgeordneter?

Ja, ich war in einer Fraktionssitzung, als der Vorsitzende Volker Kauder mich Kanzlerin Angela Merkel mit den Worten "Hier ist der Stimmenkönig aus Baden-Württemberg" vorstellte. Das war ein Moment, den ich nicht vergessen werde.

2 Was mögen Sie an Berlin, was am Schlempertshof?

Berlin ist mein Arbeitsplatz. Ich werde nie Fan einer Großstadt werden. Das ist das, was ich am Schlempertshof mag: die Abgeschiedenheit und auch mal seine Ruhe haben zu können. Aber an Berlin waren die Begegnungen mit vielen interessanten Menschen das Großartige. Ich konnte jeden Tag meinen eigenen Horizont erweitern, auch durch das Netzwerken mit wichtigen Menschen.

3 Beschreiben Sie den Neckar-Odenwald-Kreis mit drei Schlagworten ...

landschaftlich sehr reizvoll, wirtschaftlich auf einem guten Weg und gute Zukunftsperspektive dank der Digitalisierung.

4 Und sich selbst mit drei Eigenschaften …

fleißig, ehrlich, hartnäckig.

5 Was ist ihre Lieblingsmusik?

Country steht bei mir weit oben vor Rock und Pop.

6 Apropos Liebling: Haben Sie einen Lieblingsklub im Fußball?

SC Freiburg, lokal der TSV Höpfingen.

7 Worüber können Sie lachen?

Über gute Witze, fröhliche Menschen und mich selber.

8 Und was finden Sie zum Weinen?

Populismus und Ideologie.

9 Wovor haben Sie Angst?

Angst ist ein schwieriges Wort, aber Riesensorge habe ich vor dem schnell fortschreitenden Klimawandel mit den damit verbundenen Wetterextremen.

10 Ihre größte Leidenschaft?

Eine der größten Leidenschaften ist immer noch die Reiterei. Aber auch Rad- und Skifahren.

11 Und Ihre größte Schwäche?

Ungeduld.

12 Mit wem hätten Sie gern mal einen Kaffee/ein Bier getrunken?

Nelson Mandela und Albert Einstein.

13 Gibt es so etwas wie ein Lebensmotto für Sie?

Herausforderungen annehmen – ich bin tatsächlich oft ins kalte Wasser gesprungen – aber diese danach konsequent und mit Leidenschaft umzusetzen.

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Wir haben viele Projekte in der Region realisiert. Nennen möchte ich da den Straßenbau mit der A3, die Umfahrung von Osterburken und Königshofen, viele Projekte im Denkmalschutz und allen voran mein persönliches Highlight: die Reaktivierung der Carl-Schurz-Kaserne in Hardheim. Ich war einer der wenigen, die die Kaserne nach dem Schließungsbeschluss nie aufgegeben haben, und auf meine Initiative hin waren drei Staatssekretäre sowie die damalige Verteidigungsministerin vor Ort.

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Und was hätte besser laufen können?

Man muss auch ab und zu Niederlagen einstecken, z. B. bei Ablehnungsbescheiden, wenn Förderanträge gestellt wurden. In der Politik ist es oft ein zähes Ringen, um Kompromisse zu finden. Der schwärzeste Moment in meinem politischen Leben war sicher die Wehrreform 2011, als die Schließung der Kaserne und des Materiallagers in Hardheim sowie des Munitionslagers in Altheim beschlossen wurden. Alle drei sind aber zum Glück wieder reaktiviert worden.

Und welche Projekte braucht unsere Region noch?

Es gibt verschiedene Straßenbaumaßnahmen. Dazu gehört z. B. auch am Horizont die Umgehungsstraße Hardheim, die wir um eine Stufe nach oben gebracht haben. Aber das ist noch lange nicht genug. Für die ländlichen Räume sehe ich vom Grundsatz her – gerade in Verbindung mit der Digitalisierung – große Chancen.

Wie sehen Sie die Chancen der CDU für die Bundestagswahl?

Im Moment sind wir tatsächlich in einem Umfragetief. Wobei man den Strich eben erst genau am Ende machen muss. Ich glaube schon, dass viele Menschen in den ländlichen Räumen erkennen, was sie an der CDU haben. Wir sind ja die Partei der ländlichen Räume. Es wäre daher nach meiner Einschätzung tragisch für die ländlichen Regionen, wenn es eine Regierung ohne Unionsbeteiligung geben würde. Ich bin momentan häufig bundesweit unterwegs, um meine Kolleginnen und Kollegen im Wahlkampf zu unterstützen.

Foto: Busch

Und wie stehen die Chancen für Nina Warken, erneut in den Bundestag einzuziehen?

Da sehe ich die Chancen als sehr gut an. Es ist sehr positiv, dass Nina Warken durch die Landesliste schon seit mehreren Jahren Abgeordnete ist. Sie hat das Netzwerk und die Erfahrung und wird das Amt als direkt gewählte Abgeordnete hervorragend ausüben.

Könnten Sie bitte folgenden Satz vervollständigen: Ich gehe zufrieden in den politischen Ruhestand, weil...

... ich a) das Gefühl habe, die Altersgrenze mit 65 Jahren erreicht zu haben, ich b) nach zwölf Jahren intensiver Arbeit meiner Familie viel abverlangt habe und auch angesichts der Intensität, mit der ich die Arbeit gemacht habe, das Gefühl habe, meine Bürgerpflicht im Wesentlichen erfüllt zu haben. Und c) man sollte gehen, solange die Leute einen noch mögen (lacht).

Wie sieht Ihre Zukunft nach der Zeit als Bundestagsabgeordneter aus?

Ich habe mir ganz fest vorgenommen, mehr Zeit für meine Familie und meine Frau zu haben. Ich bin mittlerweile Opa. Ich habe aber noch ein paar schöne Ehrenämter, die mich weiter fordern werden. Dazu gehört der humanitäre Bereich: Welternährung, Lebensmittelproduktion in Entwicklungsländern und die Förderung der kooperativen Landwirtschaft. In den Bereichen, die mich fachlich ein Leben lang begleitet haben, will ich mich im ehrenamtlichen Rahmen einbringen. Ich bin z. B. Bundesvorsitzender von 16.000 aktiven Klein- und Obstbrennern, Präsident der Gesellschaft für die Geschichte des Branntweins, Vorsitzender im Bildungshaus Neckarelz und im Kreistag aktiv.

Bleiben wir beim Thema Welternährung. Deutschland beansprucht ja zunehmend Flächen außerhalb seines Territoriums für den Eigenkonsum. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Alois Gerig in Berlin im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: Chaperon

Für mich ist das ein riesen Dorn im Auge. Man spricht viel zu wenig darüber, dass wir Deutschen vom Lebensmittelexporteur zum -importeur geworden sind – obwohl wir in einer der klimatisch begünstigten Zonen weltweit leben und arbeiten dürfen. Das ist für mich ein Alarmsignal. Wir verlieren immer noch jeden Tag 70 Hektar landwirtschaftliche Fläche in Deutschland. Das ist sehr viel – und das in einer Zeit, in der weltweit die Lebensmittelproduktion klimabedingt ein Stück weit eingebrochen ist und der Bedarf durch die wachsende Weltbevölkerung stetig zunimmt.

Aktuell entstehen in der Region viele Freiflächenfotovoltaikanlagen, die landwirtschaftliche Flächen verdrängen. Trägt das zur Problematik bei?

Flächenfotovoltaik darf offiziell nur auf geringwertigen Böden errichtet werden. Für mich ist es aber trotzdem nicht so begeisternd, wenn man einfach Flächen abstellt und dort gar nichts mehr geschieht. Wir haben durch eine Doppelnutzung von Agri-Fotovoltaik immens viel Potenzial, Fotovoltaik und die Lebensmittelproduktion miteinander zu verbinden – z. B. bei Hühnerweiden, Beerenkulturen und teilweise über Reben oder Obstarten.

Welche weiteren Entwicklungen sind in der deutschen Landwirtschaft denkbar – gerade mit Blick auf die Klimakrise?

Ich habe ein schönes Wort geprägt, das jetzt im CDU-Wahlprogramm steht: multifunktionale Landwirtschaft. Die Bauern sind in der Lage, Lebensmittel zu produzieren, mehr für die Biodiversität zu machen und erneuerbare Energien zu fördern. Wichtig ist auch die Dekarbonisierung, also die Möglichkeit, CO2 in den Ackerböden einzulagern, indem man Humus aufbaut und Kompost einbringt.

Dafür ist es wichtig, dass Bauern weniger pflügen. Besteht da nicht aktuell die Gefahr, dass ihnen aufgrund von Verboten für Pflanzenschutzmittel die geeigneten Werkzeuge genommen werden?

Pflanzenschutzmittel haben sich gewandelt, sie sind ökologischer geworden und die Ausbringungstechnik ist präziser. Es ist aber in Deutschland schwierig, neue Pflanzenschutzmittel zuzulassen. Bei uns kommen neue Mittel, die ökologisch gesehen besser wären, viel zu langsam auf den Markt.

Auf welche Techniken ist der Landwirt von morgen noch angewiesen?

Was wichtig ist, sind neue Züchtungsmethoden. Die "alte" Form der grünen Gentechnik lehne ich ab – aber die moderne Methode, die sogenannte "Genschere", die es schon heute gibt, die dazu führen kann, weniger Pflanzenschutzmittel bei höherem Ertrag einzusetzen, dürfen wir nicht verhindern. So können wir Pflanzen klimaresistenter züchten und z. B. dafür sorgen, dass sie weniger Wasser benötigen. Die EU ist dran, aber da wird viel zu lange debattiert. Das führt dazu, dass diese neuen Züchtungsmethoden weltweit angewandt werden, nur unsere Produzenten haben das Nachsehen.

Wieso gibt es in der Bevölkerung noch Vorbehalte gegen solche Errungenschaften wie die "Genschere"?

Weil der europäische Gerichtshof in einem Urteil gesagt hat: "Wir sehen das auch als eine Art Gentechnik." Es ist sicherlich nicht falsch, aber man muss hier differenzieren. Leider hat Gentechnik bei uns einen faden Beigeschmack und deswegen lehnen sie viele ab, ohne sich näher damit zu beschäftigen. Dagegen ist zum Beispiel weiße Gentechnik in der Medizin selbstverständlich, weil sie der Gesundheit dient. In der Landwirtschaft ist ein Politikum daraus geworden – es ist viel Ideologie im Spiel.

In Zukunft will sich Alois Gerig wieder mehr seinen Pferden auf dem Schlempertshof widmen. Foto: Mayer

Während die EU bei den Züchtungsmethoden bremst, forciert sie die Bio-Landwirtschaft und fordert, dass ein Viertel der Fläche ökologisch bewirtschaftet werden soll. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?

Ich bin überhaupt kein Freund von prozentualen Zielgrößen. Wir sind in Deutschland bei zehn Prozent und sind schon Spitze in Europa, was den Anteil an ökologisch wirtschaftenden Betrieben anbelangt. Ich bin der Meinung, dass es gut ist, das staatlich auf den Weg zu bringen und die Umstellung zu fördern. Aber dann – wenn ein Betrieb umgestellt hat – muss es der Markt richten. Man kann Bio-Landwirtschaft nicht mit Subventionen am Laufen halten, sondern die Verbraucher müssen bereit sein, den notwendigerweise höheren fairen Preis zu zahlen. Und daran hapert es manchmal – selbst jetzt schon.

Wie kann man das Problem angehen?

Wir müssen wieder Diskussionen über Lebensmittelwertschätzung führen. Das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft. Es ist nicht in Ordnung, dass der Durchschnittsdeutsche zehn Prozent seiner Konsumausgaben für Lebensmittel ausgibt. Das ist zu wenig. Und dass Aldi, Lidl und Co. jeden Samstag die Menschen mit Dumping-Preisen in ihre Märkte locken, ist auch nicht OK. Wir müssen den Landwirten den Rücken stärken, sodass sie mit Stolz diese Nahrungsmittel produzieren und sie nicht immer nur das Gefühl vermittelt kriegen, dass sie die Umwelt zerstören und Insekten vernichten. Regionale Lebensmittelproduktion bedeutet kurze Wege und damit Ökologie.

Als Sündenbock müssen vor allem die konventionellen Landwirte herhalten. Aber ist dieses Rollenbild korrekt?

Die konventionelle und die ökologische Landwirtschaft nähern sich immer weiter an. Wir haben ja politische Vorgaben wie Düngeverordnung, Pflanzenschutzgesetze, Gewässerabstände und die Notwendigkeit, einen Teil der Fläche mit Blühmischungen zu bepflanzen. Imker in der Region sagen mir ganz offen: Es hat noch nie so viel geblüht im Sommer wie jetzt. Das ist gut für unsere Bienen, gut für die Insekten in der Summe. Dieses Schwarz-Weiß-Denken – der Versuch, biologisch wirtschaftend und konventionell gegeneinander auszuspielen – ist sicher der schlechteste Weg. Ich finde es gut, dass manche Betriebe umstellen, aber die müssen das mit Herzblut und Know-how machen.

Foto: Mayer

Apropos Herzblut: Wie haben Sie sich während der Pandemie für Ihren Wahlkreis eingesetzt?

Ich habe mich mit vielen Menschen, verschiedenen Verbänden und Institutionen aus der Region getroffen und versucht, die Sorgen und Nöte aufzunehmen und nach Berlin zu transportieren. Aber ich habe auch nie so viele böse Botschaften, E-Mails und Anrufe bekommen wie in dieser Zeit. Ich bezeichne diese eineinhalb Jahre der Pandemie als eine sehr schwierige Zeit – für mich, aber auch für die Politik insgesamt. Die Stimmung in der Bevölkerung war natürlich spürbar schlechter und zunehmend aggressiver. Ich kann das nachvollziehen. Für viele hängt die Existenz daran – oder Gesundheit und Leben.

Und welches Fazit ziehen Sie zur deutschen Pandemiepolitik bisher?

Wir können froh sein, in dieser Zeit in diesem Land gelebt zu haben. Wir haben viele Milliarden-Hilfsprojekte auf den Weg gebracht. Es wurden Fehler gemacht – ohne Zweifel. Da sind sicherlich auch Lücken entstanden und Trittbrettfahrer aufgesprungen, die Geld gegrapscht haben, das ihnen nicht zusteht – und andere, die dringend Hilfe gebraucht hätten, sind durchs Raster gefallen. Aber wenn man nun die Statistiken ansieht, von Gesundheit bis hin zu Insolvenzen, dann haben wir auch vieles richtig gemacht.

Haben Sie der Krise auch privat etwas Positives abgewinnen können?

Sie hatte eine angenehme Begleiterscheinung: Es sind viele Wochenendveranstaltungen weggefallen. Das hat mir dazu verholfen, dass ich mich wieder ab und zu aufs Pferd setzen durfte.

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