Wo in der Landwirtschaft jeder Zentimeter zählt (Update)
Frieder Blum düngt in stehenden Kulturen und geht so neue Wege

Von Stephanie Kern
Schefflenz/Sennfeld. Beim Thema Gülle gibt es keinen Mittelweg. Den einen stinkt es, dass Landwirte Gülle fahren. Den Landwirten selbst bleibt aber nichts übrig: Die Nährstoffe müssen zur Pflanze und die Nährstoffe sind nun einmal in der Gülle (wenn man nicht auf Kunstdünger setzen will). Doch die Düngeverordnung wurde verschärft, damit hat der Gesetzgeber auf die steigenden Nitratwerte im Grundwasser reagiert. Deshalb mussten auch die Landwirte reagieren.
Ein Landwirt, der in diesem Punkt vorangeht, ist Frieder Blum. In Sennfeld führt er mit seinem Vater einen Hühnerhof, hat schon mit seinem Hühnermobil von sich reden gemacht. Blum ist noch jung, erst 30 Jahre alt. Er und seine Frau erwarten ihr erstes Kind. Die Natur ist ihm wichtig. Er will etwas dazu beitragen, dass auch sein Kind noch eine lebenswerte Umwelt vorfindet. Deshalb setzt Blum sich neben der Arbeit auf dem Hof auch bei der Güllegemeinschaft Neckar-Odenwald ein. "Wir müssen weiter überlegen, wie wir Nährstoffe besser zur Pflanze bringen. Und zwar zu dem Zeitpunkt, wenn sie diese Nährstoffe braucht", sagt er. Normalerweise wird vor der Aussaat im Herbst gedüngt. Aber eigentlich braucht die Pflanze im Frühjahr die Nährstoffe. Dann, wenn sie wachsen soll, wenn sie wachsen will.
Frieder Blum düngt deshalb in der stehenden Kultur. Das geht nicht immer. Bei der durchwachsenen Silphie, die er auf einem Acker in Schefflenz anbaut, aber schon. Die Silphie ist eine Energiepflanze. Blum baut sie an, um sie in der Biogasanlage in Großeicholzheim abzuliefern. Zehn Jahre steht sie nun auf seinem Acker, das plant er zumindest so. "Ich habe damit relativ wenig Aufwand, die Pflanze blüht im Sommer, ist eine tolle Insektenweide." Da sie selbst so groß wird, unterdrückt sie Beikräuter – Pestizideinsatz ist so nicht nötig. "Mit der Silphie wollten wir eine weitere Kultur aufnehmen." Pluspunkt: Sie sorgt im sonst kargen Sommer für Blüten, die dann wieder den Insekten nützen. Ein Imker hat in unmittelbarer Nähe seine Bienenkasten abgestellt. Er wird in diesem Jahr von Blums Silphie profitieren.
Um sie zu düngen, nutzt Blum ein Fahrzeug der Güllegemeinschaft. Es ist mit dünnen Reifen bestückt. So kann er zwischen den Pflanzen fahren und düngen, ohne die Silphie zu beschädigen. Die Gülle (er verwendet den Gärrest aus der Biogasanlage) wird direkt auf den Boden aufgetragen. "Dieses Verfahren hat so viele Vorteile: Es bringt den nährstoffhaltigen Gärrest zurück in den Bestand. Und die Pflanze kann die Nährstoffe direkt aufnehmen." Fast alle Nährstoffe gehen in die Pflanzen. So belasten sie auch das Grundwasser weniger. Und: Man riecht es viel weniger.
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Das Düngen in der stehenden Kultur erfordert zentimetergenaues Arbeiten. Die Reifen sind 45 cm breit, die Spur ebenfalls. Mit einer Fahrt schafft Blum drei Reihen mit einer Gesamtbreite von 2,25 Metern. 15 Minuten würde die eigentliche Arbeit auf dem Feld dauern. Er muss aber zwischendurch seinen Gülletank nachfüllen. Durch die Verwendung des Gärrests ist Blum auch sicher, Mikroplastikpartikel im Boden zu vermeiden. Denn in der Anlage in Großeicholzheim werden nur landwirtschaftliche Energiepflanzen verwendet. Das sieht bei dem Kompost, der aus den Biotonnen hergestellt wird, oft anders aus. Küchenreste landen oft in Plastikbeuteln – und diese dann zerschreddert auf Ackerflächen. "Wenn man seinen Biomüll wirklich sauber trennen und ausschließlich Papiertüten verwenden würde, wäre das wirklich ein hochwertiger Dünger", sagt Blum. So ist er es nicht.
Blum kennt sich aus bei dem Thema. Als Fachkraft für Agrarservice wurde er ausgebildet, auf dem Hof von Roland Feil in Schefflenz. Der ist schon seit Jahren Vorreiter beim Thema Energiepflanzen. Blum schloss als drittbester seines Jahrgangs ab, hatte Top-Noten. Er weiß, wovon er spricht. Für die Güllegemeinschaft düngt er für Mitglieder der Gemeinschaft oder der Maschinenringe. Das Fass, dass er beim Termin in Schefflenz dabei hat, sei vor allem im Frühjahr im Einsatz. Der Dünger wird dabei direkt in den Boden injiziert. Aber auch das Düngen im stehenden Getreide will man voranbringen. "Unser Ziel ist der Mais." Gülle fahren ist nicht gleich Gülle fahren. Denn die Wirkung dieses natürlichen Düngers ist nicht so vorhersehbar wie bei einem Kunstdünger. "Gülle wirkt auch je nach Witterung anders", sagt Blum. Beim Getreide – also bei Weizen, Roggen, Hafer – müsse man planen können, wann die Nährstoffe in die Pflanze gehen.
"Das Grundwasser wird auch im Neckar-Odenwald-Kreis regelmäßig auf eine Nitratbelastung überprüft. Aufgrund einer unterdurchschnittlichen Tierhaltung und einer verantwortlichen Bewirtschaftung können die Grenzwerte fast immer eingehalten werden", benennt Bernhard Heim, Leiter des Fachdienstes Landwirtschaft beim Landratsamt des Neckar-Odenwald-Kreis, den aktuellen Stand.
Beim Thema Gülle gibt es auch weiterhin keinen Mittelweg. Es gibt aber neue Wege, die sich auftun. Und die werden immer breiter.
Update: Donnerstag, 17. Juni 2021, 20.03 Uhr
Was die Landwirtschaft heute ausmacht
Die einen sind frustriert, die anderen wissen überhaupt nicht, was Landwirte beachten müssen: Ein Ortsbesuch auf drei Höfen.
Von Stephanie Kern
Region Mosbach. Es gibt kaum ein Thema (Corona mal ausgeklammert), das für so viele Diskussionen sorgt. Die Kluft zwischen Landwirtschaft und Verbraucher wird immer größer, so scheint es. Gleichzeitig sehnen sich die Menschen nach der Natur, der Romantik, die ihnen von den Lebensmittelkonzernen in diesem Zusammenhang verkauft wird.

Wie Landwirtschaft ist, was sie ausmacht, wie die Menschen sich fühlen, die sie gestalten – das sollen drei RNZ-Besuche auf unterschiedlichen Bauernhöfen im Landkreis zeigen (die weiteren Berichte lesen Sie hier in den folgenden Tagen). Eins vorweg: Die eine (befriedigende) Antwort und Lösung gibt es nicht. Aber: Lesen Sie selbst!
"Ich wünsche mir Vertrauen in die heimische Landwirtschaft"
Neckar-Odenwald-Kreis. Letzte Station: der Hof von Udo Holder. Auf dem Mosbacher Bergfeld hat er eine Schweinezucht. Auch er sagt: "Landwirtschaft und Verbraucher sind auseinander gedriftet." Der Abstand sei riesig. "Der Bezug zur Landwirtschaft hat abgenommen. Und das ist das Schwierige: Dem Verbraucher die Realität zu zeigen", meint Holder. Denn die wolle er oft nicht sehen. "Wir können nicht biologisch wirtschaften und alle ernähren." Wichtiger sei Regionalität. Es sei gut, dass das Bewusstsein dafür wachse. Denn die Entwicklungen der letzten Jahre seien problematisch. Noch 2002 hat Udo Holder 90 Prozent seiner Schweine an regionale Metzger verkauft. "Inzwischen liefere ich noch an drei Metzger. Die anderen haben aufgehört. Und zwar nicht aus Wohlstandsgründen", erklärt Holder. Es hat sich einfach nicht mehr rentiert.
Holders Vater hat den Betrieb 1970 übernommen und aufgebaut. "Er hat für die Landwirtschaft gelebt", habe immer weiterentwickelt und modernisiert. "Als ich so weit war, haben wir beide in die gleiche Richtung geschafft." 2002 stand Udo Holder dann aber ohne seinen Vater da, denn der verstarb plötzlich. "Wir haben in unserem Betrieb schon immer darauf geachtet, dass wir ein hochwertiges Produkt erzeugen." Aber immer neue Regelungen, nun der Kompromiss im Insektenschutz. "Das Vertrauen in die Politik ist verloren gegangen." Lüftung, Temperatur, Platz – alles ist nicht nur vorgegeben, sondern muss auch dokumentiert werden.
Die neueste Auflage für die Schweinezüchter: Die Änderung der Tierschutznutztierhaltungsverordnung. Es sieht vor, dass Muttersauen um die Geburt der Ferkel herum fünf statt 28 Tage fixiert werden sollen. Und dass die Abferkelbuchten von 4,1 auf 6,5 qm vergrößert werden müssen. Allein die Begrifflichkeiten zeigen, wie weit die Vorstellung der Verbraucher und die Realität der Landwirtschaft auseinander liegen. Oder wer kennt das Wort Abferkelbucht?
Vielen sei nicht bekannt, warum Muttersauen in Kastenständen gehalten werden: Beim Hinlegen der Muttersauen werden kleine Ferkel oft erdrückt. "Es tut jedem Tierhalter weh, wenn er morgens in den Stall kommt und tote Ferkel findet", sagt der Landwirt. Wenn sich die Muttersau im Kastenstand befindet, könnten sich die Ferkel in der Bucht nebenan aufhalten. Dort passiere ihnen nichts.
"Die alten Ställe umzubauen, wird nicht überall möglich sein", meint Holder. Baukosten von 6500 Euro pro Bucht werden veranschlagt. Und dann fängt der Mehraufwand erst an, es muss mehr Fläche gereinigt und beheizt werden. "Wir bekommen es aber am Markt nicht bezahlt." Auch, weil der Verbraucher es nicht durchschauen könne. Vielleicht wäre er bereit, mehr zu bezahlen, wenn er wüsste, welche Vorlagen dahinter stecken. Sonst könnte es den Betrieben in Deutschland so gehen, wie den Schlachtereien in Dänemark. Die wurden dort reihenweise geschlossen, weil in Deutschland viel billiger geschlachtet wird. Dafür werden die Transportwege deutlich länger – und das zahlen alle.
"Das ist das Paradoxe an unserer Lebensmittelindustrie. Wenn wir keine günstigen Arbeitskräfte als Erntehelfer hätten, müssten wir unsere Produktion einstellen." Für Autos würden aber Unsummen bezahlt. Für den Grillabend ist die billigste Wurst auf dem teuersten Grill gerade gut genug. Durch die Neuerungen der Tierschutznutztierhaltungsverordnung könne man mit den im EU-Ausland produzierten Nahrungsmitteln nicht (mehr) konkurrieren.
Udo Holder macht seinen Beruf gerne, auch sein Sohn hat eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. "Viele wüssten nicht, ob sie es noch mal machen." Höfe wurden über Generationen aufgebaut, Lebensmittel befriedigen das Grundbedürfnis der Menschen. "Wir sind doch auch noch jemand", sagt der Landwirt. Die Frustration in der Branche ist groß, sehr groß. Vor allem darüber, dass Produktionsrichtlinien auf dem gemeinsamen Markt in Europa nicht gleich sind. "Das müssen wir doch aus der Abschaffung der Käfighaltung in Deutschland gelernt haben." Denn nahezu alle Verbrauchseier in Deutschland kommen inzwischen aus dem osteuropäischen Ausland. Dort werden die Hennen genau so gehalten, wie es in Deutschland längst nicht mehr erlaubt ist. Hier seien die Ställe größer, als man es sich vorstellen könne. Wenn nun die Richtlinien für die Schweinezüchter hochgeschraubt würden, drohe das gleiche Szenario.
Holder ist sicher, dass viele kleine und mittlere Betriebe wegen der neuen Auflagen die Tierhaltung ganz aufgeben werden. "Das kann aber nicht im Sinne des Verbrauchers sein." Denn dann werde wieder Schweinefleisch aus den Ländern, in denen die Richtlinien nicht so streng sind, zugekauft. "Kein deutscher Verbraucher hat die Kontrolle darüber, wie im Ausland produziert wird." Deshalb müsse es endlich eine verpflichtende Herkunftsbezeichnung für Fleisch geben. "Und ich wünsche mir Vertrauen in die heimische Landwirtschaft." Erste zaghafte Schritte zu mehr Regionalität gibt es. "Da sieht man auch, dass die Leute bereit sind, unsere Arbeit zu honorieren."
Die Gesellschaft fordere mehr Tierwohl und mehr Klimaschutz. Das widerspricht sich aber zum Teil. Bei offenen Ställen gelangen mehr Methangase in die Umwelt. "Es muss ein Kompromiss gefunden werden, mit dem alle zufrieden sind." Man darf Udo Holder nicht falsch verstehen. Er hat nichts gegen mehr Tierschutz. Ihm als Landwirt liege das Tierwohl doch zuallererst am Herzen. "Ich kann nur mit dem Tier, dem es gut geht, Einkommen erwirtschaften. Das ist doch in meinem eigenen Interesse." Wenn es nicht so ist, versucht er, es ins Lot zu bringen. "Wir sind die letzten, die sich sträuben." Aber der Markt müsse den Preis auch bezahlen. Und das passiere nicht, wenn die Nachbarländer zu den Standards produzieren, die bei uns überholt sind.
Es gibt auch schon Programme von Supermärkten, die auf Regionalität setzen. Es gibt immer mehr Hofläden und Direktvermarktungsangebote, die den Menschen den Blick auf die Landwirtschaft wieder ermöglichen. Wie auf der Milchpackung sieht es in Deutschlands Landwirtschaft schon lange nicht mehr aus. Am Ende steht eine Erkenntnis: Der Verbraucher hat eine Marktmacht, die die der "großen Vier" übersteigt. Man muss sie nur nutzen.
"Wir saßen ohne Molkerei da und einige haben das gnadenlos ausgenutzt"
Neckar-Odenwald-Kreis. Die Entwicklungen in der Landwirtschaft, der Druck auf die Betriebe haben auch Armin Schifferdecker und Cornelia Schifferdecker-Schaaf beunruhigt. So beunruhigt, dass sie irgendwann einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben. Der Milchviehbetrieb in Dallau wurde auf biologische Landwirtschaft umgestellt. "Der Preis ist der Schlüssel", meint Cornelia Schifferdecker-Schaaf. "Denn sonst kommt es mit Bio genau wie mit der konventionellen Landwirtschaft und die Bauern müssen um ihre Existenz kämpfen." Was das bedeutet, das haben die beiden Landwirte aus Dallau vor noch sehr kurzer Zeit am eigenen Leib erfahren müssen. Kurz nach der Umstellung auf Bio meldete die Molkerei, an die die Schifferdeckers ihre Milch lieferten, Insolvenz an. Keine andere Molkerei wollte die Milch aus Dallau haben, die Nachfrage war einfach zu gering. "Wir saßen ohne Molkerei da und einige haben das gnadenlos ausgenutzt." Zwölf Cent für den Liter Biomilch haben sie erhalten. Zum Vergleich: Matthias Feil aus Schefflenz, der konventionell arbeitet, bekommt 33 Cent pro Liter. Und auch das reicht nicht, um (konventionell) auskömmlich zu arbeiten.

Die Schifferdeckers haben auch aus diesem Grund die eigene Vermarktung verstärkt. Im Milchhäusle gibt es eigene Milch und Joghurt, bei annas in Mosbach kann man die Biomilch aus der Region ebenfalls kaufen. "Ich bin dankbar, dass es den Leuten schmeckt." Doch das, was da am Tag direkt verkauft wird, reicht nicht, um zu überleben. In der Zeit der Molkerei-Suche haben sich die Schifferdeckers auch angewöhnt, ihre Kälber direkt bei den Müttern trinken zu lassen. Das war immer noch rentabler, als die Milch zu Schrottpreisen an die Molkereien abzugeben. Ganz davon weg sind sie immer noch nicht, auch wenn sie mit der Molkerei Schrozberg inzwischen einen zuverlässigen Abnehmer haben, der einen angemessenen Preis bezahlt.
Die Familie stellte um, weil sie das System absurd fand: "Die Preise waren niedrigst, aber man steckt so viel rein." Bereits mit 15 Jahren hat Armin Schifferdecker in der Landwirtschaft der Eltern angefangen. "Da war es viel Hackerei", berichtet der Landwirt. Immer mehr Spritzmittel seien aufgekommen, um die Arbeit leichter zu machen. "Als ich anfing, gab es im Ort 60 Milchviehbetriebe", berichtet der Dallauer. Die waren klein strukturiert, es ging um die Selbstversorgung. Je mehr sich die Landwirtschaft veränderte, desto mehr musste man erwirtschaften, um die Familie zu ernähren. "Früher musste man viel mehr mit den eigenen Händen machen. Aber die Familien waren so groß und jeder half mit. Und alle konnten vom Betrieb leben", sagt Schifferdecker. "Dann hieß es auf einmal: Erträge steigern, Unkraut wegspritzen, Getreide mit Herbiziden schützen." Im Frühjahr war Bestellzeit. Da musste Schifferdecker seine Pflanzenschutzmittel ordern. "Ich dachte mir irgendwann, dass ich dafür so viel Geld ausgebe und doch nur die Umwelt vergifte."
Viele im Dorf, sogar der eigene Vater, rümpften die Nase, als die Schifferdeckers auf Bio umsattelten. "Aber irgendwie muss man ja anfangen", war und ist sich das Ehepaar einig. "Jeder hat Glyphosat in sich, die Spritzmittel sind überall in der Natur – und irgendwie ist das Maß jetzt voll", ist Cornelia Schifferdecker-Schaaf überzeugt. Die Leute wollen die Romantik, die sie auf der Milchpackung sehen. Sie wüssten aber nicht, was dahinter steckt. Da sind sich konventionelle und Öko-Milchbauern einig. Jetzt kommt der Punkt, an dem sich oft Fronten zwischen den konventionellen und Öko-Landwirten bilden: "Ich merke, wie die Natur kaputt geht. Da gibt es kein Wenn und Aber mehr, es müssen radikale Lösungen her", sagt Cornelia Schifferdecker-Schaaf. Dabei möchte sie eigentlich, dass die Menschen sich mit den Nahrungsmitteln, die sie konsumieren, auseinandersetzen. Und dass die Landwirte sich mit der Art beschäftigen, wie sie mit der Natur umgehen. "Wenn wir biologisch arbeiten, werden zumindest 110 Hektar Fläche nicht gespritzt und nicht gedüngt."
Dass man nicht von heute auf morgen Bio-Landwirt ist und Lernender bleibt, das merkt das Ehepaar noch häufig. Die Futterumstellung musste behutsam vorgenommen werden. Aber: Die Milch ist rahmiger, die Tiere sind gesünder, sie liefern aber weniger Milch als in einem konventionellen Betrieb. "Es ist aber toll, wenn man sieht, wie die Kühe es genießen, Platz zu haben, die Kälber bei sich zu haben." Dabei sehen Cornelia Schifferdecker-Schaaf und ihr Mann sehr zufrieden aus. Auch sie können so ihre Arbeit genießen. "Es war für uns zu 100 Prozent die richtige Entscheidung, auch wenn wir keine Molkerei hatten." Nicht die Umstellung ging an die Existenz, sondern die Funktionsweisen des Systems und die Macht der Molkereien.
Das System der europäischen Landwirtschaft beruhte viele Jahre auf dem Leitsatz "wachse oder weiche". Auch das ging an die Existenz und an die Substanz. Der Druck sei immer größer geworden, den Hof zu erweitern. Sie haben es nicht getan, heute sind sie froh. "Dass man als Mensch an so einem Druck zerbricht, so waren wir nie. Vielleicht gewöhnt man sich aber auch daran."
Schefflenz/Sulzbach. Am Beginn steht eine Hiobsbotschaft: Die Erzeugerpreise landwirtschaftlicher Produkte lagen im Januar um 5,8 Prozent unter dem Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Die Preise für tierische Produkte gingen um 12,6 Prozent zurück, vor allem weil die Preise für Schlachtschweine um 35,2 Prozent fielen. Grund dafür sind reduzierte Schlachtkapazitäten. Geschlossene Restaurants und die saisonbedingt ruhige Nachfrage tun ihr Übriges, um die Preise zu drücken.

Matthias Feil kennt Hiobsbotschaften dieser Art. Er ist auf einem kleinen Bauernhof in Mittelschefflenz aufgewachsen. In den 1990er-Jahren hat er den Hof umgebaut, hat auf Milchkühe gesetzt, einen großen Stall etwas außerhalb des Ortskerns gebaut. Er ist derjenige, der in Schefflenz Milch direkt ab Hof anbietet. Was er mit seinem Hof erwirtschaftet, reicht aber nicht. Er hat noch einen Nebenjob, versorgt jeden Tag 60 Tiere. Und Matthias Feil ist vor allem eins: enttäuscht.
"Irgendwas ist faul. Es kann doch nicht immer nur die Landwirtschaft verantwortlich gemacht werden." Wenn Matthias Feil diesen Satz sagt, spürt man den Frust, der sich bei ihm aufgebaut hat. Die Betriebe sind am Limit, müssen immer neue Auflagen erfüllen. Die Erträge sind so gering, dass sie kaum reichen. Der Milchpreis liegt auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Kosten und Anforderungen aber nicht, die sind gestiegen. Ebenso wie die Gier der Molkereien und der "Großen Vier": Rewe, Edeka, Aldi und Lidl. Denn die diktieren die Preise. "Deswegen bin ich ausgestiegen bei Danone. Wir waren unzufrieden, wollten Einblick in die Preisgestaltung. Das wurde uns verwehrt, also haben manche Landwirte die Reißleine gezogen." Auch Samuel Baier aus Sulzbach.
Auch er hat einen Milchviehbetrieb. Auch er ist gefrustet und enttäuscht, wie die Landwirtschaft dargestellt und behandelt wird. Und wie das Produkt, das er tagtäglich produziert, zum Teil verramscht wird. "Gestern habe ich eine Werbung gesehen: Markenjoghurt für 39 statt für 59 Cent. Da ist man einfach nur riesig enttäuscht, dass die Molkerei zu so einem Preis verkaufen muss und dass der Handel so eine Macht hat."
Um trotz der niedrigen Preise ausreichend Gewinn zu machen, müssten die deutschen Bauern ähnlich billig produzieren wie die Konkurrenz auf dem Weltmarkt – dort gelten aber bei Weitem nicht so strenge Regeln wie in Deutschland. Also müssen die Landwirte mehr produzieren, müssen wachsen. Das bringt zwar bessere Einkaufspreise, höhere Absatzmengen, mehr Arbeit und eventuell auch Fördergelder, drückt aber wiederum die Preise.
Zudem werde ein Bild von der Landwirtschaft präsentiert, das es so "zumindest bei uns" noch nie gegeben hat, meint Samuel Baier. Kühe auf der grünen Weide oder in der Blumenwiese. Die Realität sah früher ganz anders aus: Anbindeställe in den Ortskernen, viel zu viele Tiere auf viel zu kleinem Raum. "Nicht nur Bio-Tieren geht es gut", ist Matthias Feil aber überzeugt. "Auch meine Tiere stehen auf Stroh und haben etwas Auslauf." Um das zu ermöglichen, brauche es aber die kleinen Höfe. "Doch uns Landwirten wird von Anfang an eingeimpft, dass wir wachsen müssen", beschreibt Samuel Baier, was Lerninhalte der Ausbildung sind. "Die Regierung sagt, sie will kleinbäuerliche Strukturen erhalten. Es wird aber ganz anders gehandelt", meint Baier.
Ein Faktor, der das Sterben der kleinen Höfe und die Entstehung der großen befeuerte, war die GAP. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union. Seit 50 Jahren gibt es sie. Sie fördert eine marktorientierte Landwirtschaft, unterstützt Landwirte bei Investitionen in die Modernisierung ihrer Höfe und schützt sie vor großen Preisschwankungen und Marktkrisen. Dabei stehen allerdings Wachstum der Lebensmittelproduktion und Export im Vordergrund. Etwa 60 Milliarden Euro (40 Prozent des EU-Haushalts) flossen 2017 in die Agrarpolitik. Deutschland erhält etwa sechs Milliarden Euro jährlich. Da aber (bis jetzt) rein nach Betriebsgröße abgerechnet wird, erhalten 20 Prozent der größten Höfe 80 Prozent der Mittel.
Je größer, desto mehr Förderung gibt es. So war das zumindest bislang. Nun wurden die Richtlinien für die Verteilung der Gelder reformiert. Der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk sagte kürzlich, dass man hier ein gutes Ergebnis erzielt habe. Für Matthias Feil ist der Weg, den die Politiker einschlagen, trotzdem enttäuschend. "Es werden Gesetze gegen die Landwirtschaft gemacht", sagt Feil. "Wenn man immer nur auf den Deckel kriegt, dann wird man auch immer empfindlicher." Ihn verfolgt das Gefühl, dass immer nur auf das Negative geschaut werde. "Seit 30 Jahren wird die Landwirtschaft in ein schlechtes Bild gerückt." So kommt es Matthias Feil zumindest vor. "Wir sind nicht mehr gehört worden und wurden in Arbeit erstickt."



