Allianz Health & Life Science "etwas Historisches" (Update)
Heidelberg steht im Zentrum eines weltweit führenden Clusters. Dabei könnten bis zu 4500 neue Arbeitsplätze entstehen.

Von Denis Schnur
Heidelberg. Nicht weniger als die Weltspitze. Das ist das erklärte Ziel aller Beteiligten, wenn sie über den Innovationscampus für Gesundheit und Lebenswissenschaften sprechen. Hier sollen nicht nur einige der klügsten Köpfe der Welt bahnbrechende Entdeckungen machen, diese sollen auch deutlich schneller als bisher in Kliniken und Unternehmen zur Anwendung kommen – und so dauerhaft Arbeitsplätze und Wohlstand in der Region und im Land sichern. Der Anspruch ist nicht neu – schließlich befinden sich vor allem in Heidelberg schon jetzt medizinische Forschungseinrichtungen von Weltrang. Doch in den vergangenen Tagen wurden erste Schritte unternommen, um diese Vision in Taten umzusetzen.
Hintergrund
> Der Innovationscampus "Gesundheit und Lebenswissenschaften" Rhein-Neckar ist eines von drei großen Projekten, die das Land in den nächsten Jahren fördert, um die Wirtschaft im Südwesten zukunftsfest zu machen. In die Forschungsallianz in und um Heidelberg fließen dafür
> Der Innovationscampus "Gesundheit und Lebenswissenschaften" Rhein-Neckar ist eines von drei großen Projekten, die das Land in den nächsten Jahren fördert, um die Wirtschaft im Südwesten zukunftsfest zu machen. In die Forschungsallianz in und um Heidelberg fließen dafür zunächst 40 Millionen Euro aus Stuttgart. Daneben fördert das Land die Zusammenarbeit aller Universitätskliniken in Baden-Württemberg im Kooperationsverbund Hochschulmedizin mit 80 Millionen Euro – auch hier profitiert die Heidelberger Uniklinik. Der Innovationscampus "Mobilität der Zukunft" an der Universität Stuttgart und dem Karlsruher Institut für Technologie erhält 65 Millionen Euro.
> Die "Heidelberg Mannheim Health & Life Science Alliance" soll das Herzstück des Innovationscampus bilden. In ihr haben sich sieben große Forschungseinrichtungen aus der Region zusammengetan: Die Universität Heidelberg mit ihren medizinischen Fakultäten in Heidelberg und Mannheim, die Universitätskliniken Heidelberg und Mannheim, das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), das Europäische Molekularbiologie-Labor (EMBL), das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim sowie das Max-Planck-Institut für medizinische Forschung Heidelberg. dns
Der wichtigste ist, dass sich sieben Institutionen zusammengetan haben, um die Allianz für Gesundheit und Lebenswissenschaften, beziehungsweise die "Heidelberg Mannheim Health & Life Science Alliance", zu gründen. In einem Papier haben sie bereits die künftige Zusammenarbeit geregelt. Als nächstes soll die Gründung einer Stiftung oder eines Vereins folgen. Was unspektakulär klingt, birgt großes Potenzial, wie am Montag sowohl die Verantwortlichen aus den Einrichtungen als auch die Wissenschafts- und die Wirtschaftsministerin des Landes auf einer Pressekonferenz in Stuttgart betonten: "Es ist etwas Historisches, was hier gerade passiert", sagte etwa Heidelbergs Uni-Rektor Bernhard Eitel.
Denn Heidelberg soll als Forschungs- und Wirtschaftsstandort mittelfristig mit Städten wie Boston, San Francisco oder Toronto konkurrieren. Dass das Potenzial vorhanden ist, bestätigt auch ein Gutachten der Beratungsfirma Boston Consulting Group. Um es auszuschöpfen, müsse sich die Allianz an internationalen Vorbildern orientieren und institutionenübergreifend forschen, Toptalente anwerben, Industrie und Kliniken stärker in die Forschung einbinden und gleichzeitig Erkenntnisse schneller in die Wirtschaft einfließen lassen. Außerdem brauche es eine klare Finanzierung.
Wie die ersten Punkte umgesetzt werden können, skizzieren die Partner in ihrem Papier. Und bei der Finanzierung hat die Landesregierung angekündigt, in Vorleistung zu gehen: 40 Millionen Euro will man als Anschubfinanzierung investieren, weitere Fördermittel sollen folgen. Auch bei den internationalen Vorbildern wie Boston und Toronto habe es eine zunächst eine Finanzspritze gebraucht, um aus einzelnen Institutionen ein Cluster zu machen: "Da gab es jeweils eine Anschubfinanzierung, die als Kit gewirkt hat", betonte DKFZ-Vorstand Michael Baumann. "Dieser Kit kann unglaublich viel bewirken."
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Entsprechend soll das Geld vor allem für die Verzahnung der Einrichtungen genutzt werden, wie Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) betonte: "Damit zahlen wir besonders in die gemeinsame Forschung ein." Konkret soll etwa Infrastruktur finanziert werden, die allen Partnern zur Verfügung steht. Außerdem sollen gemeinsame Gruppen mit Nachwuchsforschern gegründet werden, um Talente anzuziehen.
So soll ein Forschungszweig gestärkt werden, der in Zukunft deutlich an Bedeutung zulegen wird. Denn die Gesellschaft werde älter und der Klimawandel werde neue Krankheitsbilder mit sich bringen: "Darauf müssen wir reagieren", so Baumann. Außerdem berge die Wissenschaft das Potenzial, neue Industrien hervorzubringen, wie Eitel betonte: "Die Lebenswissenschaften sind der Technologietreiber des 21. Jahrhunderts." Organische Materialien erlaubten etwa ganz neue Maschinen.
Schon jetzt macht die Gesundheitsbranche in Baden-Württemberg zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Der Innovationscampus soll dafür sorgen, dass dieser Wert weiter steigt und wissenschaftliche Erkenntnisse in Region und Land in Arbeitsplätze und Wohlstand umgewandelt werden, wie Wissenschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut betonte. "Das muss unser Anspruch sein." Dass es bis dahin noch ein langer Weg, ist jedoch allen klar, wie Eitel erklärte: "Wir freuen uns heute. Aber wir wissen, dass wir jetzt auch liefern müssen."
Update: Montag, 2. August 2021, 19.57 Uhr
Gesundheit und Lebenswissenschaft als Wirtschaftsmotor
Von Denis Schnur
Heidelberg. Die Wirtschaft in Baden-Württemberg soll gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen. Und weil die bisher wichtigste Branche, die Automobilindustrie, mit großen Umwälzungen zu kämpfen hat, will die Landesregierung eine zweite Leitindustrie aufbauen: Die Gesundheitsbranche inklusive Forschung, Patientenversorgung und Entwicklung neuer Produkte. "Schrittmacher" dieses Wirtschaftsmotors soll dabei die Rhein-Neckar-Region sein, die zum "Innovationscampus" wird, wie zwei Landesministerinnen sowie die Vorstände mehrerer Forschungseinrichtungen am Montag bei einer Pressekonferenz betonten.
> Die Idee: In Heidelberg und Mannheim gibt es schon jetzt viele Einrichtungen, die lebenswissenschaftliche Forschung auf internationalem Spitzenniveau betreiben. Im Innovationscampus Rhein-Neckar will das Land diese nun bündeln und deutlich stärker mit den Unternehmen im Umland vernetzen. Damit soll die Forschung nochmal deutlich gestärkt werden und die Erkenntnisse viel schneller in die Patientenversorgung und in die Entwicklung neuer Produkte einfließen.
> Die Allianz: Herzstück des Innovationscampus wird die "Heidelberg Mannheim Health & Life Science Alliance". Darin haben sich mit der Uni Heidelberg, den Unikliniken Heidelberg und Mannheim, dem DKFZ, dem EMBL, dem MPI für medizinische Forschung und dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit sieben Wissenschaftseinrichtungen zusammengetan. Sie wollen sich künftig deutlich stärker koordinieren, aber auch gemeinsame Forschungsinfrastruktur und Lehrstühle aufbauen. Der nächste Schritt soll die Gründung einer eigenen Einrichtung – in Form einer Stiftung oder eines Vereins.
> Die Finanzierung: Um die Kooperation anzuschieben, fördert das Land den Innovationscampus zunächst mit 40 Millionen Euro. Damit sollen vor allem gemeinsame Infrastruktur und Forschungsgruppen finanziert werden. Doch dabei soll es nicht bleiben. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) betonte, dass die Regierung das Projekt langfristig unterstützen möchte. Außerdem sei das Land nicht die einzige Geldquelle: Die Anschubfinanzierung soll stattdessen dafür sorgen, dass für die Unternehmen in der Region Investitionen attraktiver werden, dass Wissenschaftler Fördermittel einwerben und Startups Kapital anziehen.
> Die Auswirkungen: Bevor sich die neue Allianz an die Öffentlichkeit gewandt hat, hat sie ihr Vorhaben von der Beratungsfirma "Boston Consulting Group" analysieren lassen. Und die Experten attestieren der Region nicht nur beste Voraussetzungen für die Etablierung eines weltweit führenden Forschungs- und Wirtschaftsclusters. Sie haben auch dessen wirtschaftliches Potenzial berechnet. So könnten in der Allianz und angegliederten Firmen bis zu 4500 neue Arbeitsplätze in der Region entstehen. Wenn das Land zudem 100 Millionen Euro pro Jahr investiere, sorge es vermutlich für bis zu 120 Millionen Euro zusätzliche Steuereinnahmen.
> Die Reaktionen: Die Euphorie bei den Beteiligten könnte kaum größer sein. Heidelbergs Uni-Rektor Bernhard Eitel bezeichnete die Gründung der Allianz als "historisch", DKFZ-Vorstand Michael Baumann sieht darin einen "großen Schritt zur Weltspitze" und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) attestiert der Region, künftig auf Augenhöhe mit den wichtigsten Forschungsclustern der Welt zu sein. Auch in der Wirtschaft blickt man optimistisch auf die Pläne. Tilman Krauch, Vorstandsmitglied bei Freudenberg und Vorsitzender des Vereins "Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar", ist sicher, dass die Anschubfinanzierung des Landes zu hohen Investitionen durch die Firmen führen wird.
Selbst von der Opposition im Landtag kam am Montag Lob: "Der Innovationscampus stärkt nicht nur die medizinische Versorgung in der Rhein-Neckar-Region, sondern die in ganz Baden-Württemberg", so SPD-Wissenschaftsexperte Martin Rivoir. Wichtig sei jedoch, dass auch die anderen Unikliniken im Land davon profitierten.



