Offene Fenster und FFP2-Masken helfen
Stuttgarter Studie zeigt: Infektionsrisiko in Klassenräumen lässt sich so deutlich senken. Skeptischer Blick auf mobile Luftfilter.

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat angekündigt, die Anschaffung mobiler Luftreinigungsgeräte durch kommunale Schulträger mit einem Millionenbetrag zu fördern. Doch während viele Schüler, Lehrer und Eltern große Hoffnungen in die Technik setzen, zögern die Kommunen. Nun liegt eine Studie vor, die der Debatte neue Nahrung gibt. Ein Überblick.
Worum geht es? Seit Monaten wird diskutiert, ob Kommunen Luftreiniger beschaffen sollen, um das Infektionsrisiko in Klassenräumen zu senken. Befürworter fordern die flächendeckende Ausstattung mit mobilen Geräten. Kritiker warnen vor überzogenen Erwartungen und hohen Kosten.
Wie ist der Sachstand? Bisher sind landesweit wohl wenige Schulen mit solcher Technik ausgestattet. Teils sind in Neubauten sogenannte "Raumlufttechnische Anlagen" fest verbaut. Einzelne Kommunen haben auch wegen der Corona-Pandemie mobile Luftreiniger besorgt. Die Landesregierung verteilte 2020, unter anderem für diesen Zweck, 40 Millionen Euro an Schulen. Nun bot Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weitere 60 Millionen an – wenn Schulträger die Hälfte der Kosten zuschießen.
Was verspricht man sich von den Geräten? Das Coronavirus wird auch durch Aerosole in der Luft übertragen. Kann man die rausfiltern, sinkt das Ansteckungsrisiko, falls infektiöse Personen im Raum sind. Häufiges Lüften senkt die Aerosol-Konzentration. Im Winter klagten Schüler und Lehrer über Kälte. Zudem ließen sich manche Räume nicht gut lüften.
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Was sagt die Wissenschaft? Es liegen mehrere Gutachten, Stellungnahmen, Analysen vor. Sie zeichnen kein einheitliches Bild, auch weil die Sache kompliziert ist und viele Faktoren – etwa räumliche Besonderheiten, Personenzahl, Gerätemodell – eine Rolle spielen.
Was zeichnet die neue Stuttgarter Studie aus? Es handelt sich um Ergebnisse eines Pilotprojekts im Auftrag der Stadt: "Experimentelle Untersuchung zum Infektionsrisiko in Klassenräumen in Stuttgarter Schulen". Das Gutachten, das Forscher des Instituts für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung um den Leiter Konstantinos Stergiaropoulos nun übergeben haben, umfasst mehr als 200 Seiten. Es dürfte sich um die bisher aussagekräftigste Studie handeln. Jedenfalls übertrifft sie andere Veröffentlichungen, die oft herangezogen wurden, an Aufwand, Empirie und Tiefe.
Wie sind die Forscher vorgegangen? Sie haben über sechs Monate in Klassenzimmern von zehn Schulen Experimente und Messungen durchgeführt. Dazu nutzten sie beheizte Dummies statt Menschen, setzten Gase und "Testaerosolpartikel" frei, befragten Schüler und Lehrer. Die Ergebnisse wurden mit Studien zu Infektionsgeschehen und Virusverbreitung kombiniert. So haben die Forscher "Infektionswahrscheinlichkeiten" bei verschiedenen "lüftungstechnischen Maßnahmen" ermittelt und Empfehlungen formuliert.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse? Alles ist besser als geschlossene Fenster. Besonders FFP2-Masken helfen gut. Lag die Infektionswahrscheinlichkeit je Raum bei 90 Minuten Aufenthalt bei geschlossenen Fenstern und ohne dass die Personen Mund-Nasen-Schutz trugen, bei fast 40 Prozent, sank sie durch das Tragen von FFP2-Masken, unabhängig von Lüftungsmaßnahmen, auf etwa 10 Prozent. Daher raten die Forscher, im Unterricht diese Masken zu nutzen sowie durch Tests, Impfungen, Abstands- und Hygieneregeln die Ansteckungsgefahr zu senken.
Welche Lüftung wirkt wie? Wenig effektiv seien dauerhaft gekippte Fenster. Stoßlüften alle zehn Minuten für zweieinhalb Minuten senke das Infektionsrisiko stark. Größte Sicherheit biete eine Kombination dreier Maßnahmen: FFP2-Masken, alle 20 Minuten Stoßlüften für 5 Minuten, dazu ein Luftreinigungsgerät mit hoher Leistung. Dann sei das Infektionsrisiko nahe null.
Was raten die Forscher zu mobilen Geräten? Trotz Wirksamkeit wird kein Massenkauf empfohlen. Ein flächendeckender Einsatz sei "nicht indiziert". Denn die Geräte führten bei hohem Volumenstrom zu "Zuglufterscheinungen" und "wesentlich zu hohen Schalldruckpegeln im Raum". Das werde voraussichtlich "nicht langfristig von den NutzerInnen akzeptiert". Zudem ersetzten die Geräte das Lüften nicht, da sie CO2 und Feuchtigkeit nicht abtransportierten. Ratsam seien sie für "schlecht belüftbare Räume als kurzfristige unterstützende Maßnahme". Als "mittelfristiges Ideal" werden fest verbaute raumlufttechnische Anlagen empfohlen.
Und nun? Schulträger vor Ort müssen entscheiden, ob sie die Landesförderung annehmen. Eine Sprecherin des Städtetags erklärte: "Wir werden die Förderung nicht ausschlagen, wollen aber möglichst sicherstellen, dass sie nur in den Fällen greift, wo der Baustein ,Mobile Lüftung’ zusätzliche Sicherheit bietet und alle anderen Module auch eingehalten sind – insbesondere wo die Testung funktioniert." Ein Sprecher des Gemeindetags erklärte, man halte es "für illusorisch, bis zum Ende der Sommerferien Zehntausende mobiler Lüftungsanlagen kurzfristig zu beschaffen". Das gebe der Markt nicht her. Zudem könnten mobile Anlagen das Fenster-Öffnen nicht ersetzen.
In der Studie werden Hersteller und Typen genannt. Offen scheint, ob das Land Geräte empfiehlt. Ministerpräsident Kretschmann hatte angekündigt, das Umweltministerium solle eine Liste erstellen. Dort zeigte man sich irritiert. Die dem Ressort unterstellte Marktüberwachung selbst führe in aller Regel keine technischen Prüfungen durch mit dem Ziel, Geräte auf ihre Effizienz hin zu bewerten. So eine Prüfung könne aber extern in Auftrag gegeben werden. Man bespreche das Vorgehen in der Landesregierung. Kultus-Staatssekretärin Sandra Boser (Grüne) betonte am Donnerstag: "Es werden von Seiten des Umweltministeriums auch noch mal Kriterien erarbeitet: Welche Luftfilter sind denn effektiv, welche nutzen was?"