Lastenräder

Oft ein Zeitvorteil gegenüber dem Auto

Der Berliner Wissenschaftler Johannes Gruber über die Chancen von Lastenrädern im städtischen Güterverkehr.

27.05.2021 UPDATE: 28.05.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 30 Sekunden
Johannes Gruber arbeitet am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Rahmen des Projekts „Ich entlaste Städte“ haben 750 Betriebe und Einrichtungen Lastenräder getestet. Foto: DLR

Von Carsten Blaue

Berlin. Zu Beginn des Telefonats dankt Johannes Gruber für das Interesse: "Das schafft Bewusstsein für unser Thema." Und das ist dem promovierten Geografen wichtig. Gruber arbeitet am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin und beschäftigt sich besonders mit dem Lastenrad als umweltfreundliche Alternative im städtischen Wirtschaftsverkehr. Ein Allheilmittel sei es nicht, sagt Gruber, der übrigens familiäre Verbindungen nach Wiesloch hat. Aber ein wichtiger Baustein für eine neue Mobilität in Zeiten des Klimawandels sei das Lastenrad allemal.

Herr Gruber, die Reichweite eines Lastenrades ist begrenzt, denn selbst in der E-Version braucht man ja noch immer Muskelkraft. Und auch das Frachtvolumen ist vergleichsweise endlich. Warum ist das Lastenrad dennoch eine Alternative?

Klar ist das Transportvolumen eines Lastenrads begrenzt, und bei Distanzen über drei Kilometern ist das Auto oft schneller. Aber es gibt einen Markt für solche Transporte: Überall dort, wo es Verkehrsstaus gibt, wenige Parkplätze oder begrenzte Zufahrten für den motorisierten Verkehr, ist das Lastenfahrrad eine echte Alternative. Und die müssen wir in Zeiten des Klimawandels auch in der Mobilität suchen. Was die Reichweite betrifft: Die E-Antriebe sind heute so leistungsstark, dass die Akkus einen ganzen Tag abdecken können, also eine Reichweite in der Größenordnung von 100 Kilometern.

Für welche Gewerbe sind Lastenräder denn überhaupt geeignet?

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Bei der wachsenden Menge an Onlinebestellungen denkt man an die innerörtlichen Paketzustellungen auf der sogenannten "letzten Meile" oder an "Speed Deliveries" (Zeitfensterzustellungen) von Fahrradkurieren. Sicher waren Kuriere die Pioniere. Aber inzwischen etabliert sich das Lastenrad auch in anderen Branchen. Es eignet sich nicht nur hervorragend für die Heimzustellung von lokalen Händlern oder Apotheken, sondern auch im Dienstleistungsbereich, etwa für Pflegedienste, oder auch für Handwerker. Und natürlich liefert die Post seit über einem Jahrhundert mit dem Fahrrad aus. Zudem können neue Geschäftsmodelle entstehen, etwa bei der Auslieferung von frischem Obst und Gemüse. In unserem Projekt "Ich entlaste Städte" haben wir im Zeitraum von drei Jahren insgesamt 750 Betrieben und Einrichtungen die Möglichkeit gegeben, Lastenräder zu testen. Dabei wurden 23 Modelle verschiedener Bauart eingesetzt. Zuvor hatten sich 2000 Interessierte bei uns gemeldet – vom Freiberufler bis zum großen Konzern und vom Verein bis zum kommunalen Unternehmen.

Lastenräder funktionieren also nicht nur als Geschäftsmodell für Kuriere in Konkurrenz zum Auto oder zum "normalen" Fahrrad?

Verschiedene Fahrzeugkonzepte stehen erstmal nicht miteinander in Konkurrenz, sondern dienen zur Erweiterung von Geschäftsmodellen in der Logistik. Schließlich hat jeder Fahrzeugtyp seine Stärken und Schwächen – je nach Absicht ihrer Nutzung. Für schnelle Zulieferungen auf kurzen Wegen ist das Lastenrad eine sehr gute Ergänzung.

Wo hat das Lastenrad Schwächen?

In unserem bundesweiten Lastenradtest haben sich schon noch Kinderkrankheiten herausgestellt. Zum Beispiel sind die Hersteller gefragt, wenn es um die Verbesserung der Fahrradmodelle und ihre Handhabung geht. Zum Beispiel gibt es bei den Transportkisten Verbesserungsbedarf, die am Tag Dutzende Male geöffnet werden müssen. Zudem sind die Anschaffungskosten noch sehr hoch, und da helfen auf Dauer auch keine finanziellen Förderungen. Darüber hinaus fehlt ein Service-Netzwerk. Es gibt zu wenig Wartungspunkte. Das ist aber eine Chance für Fahrradhändler und Start-ups.

Und wo hat es Stärken?

Ich bin flexibel, kann Abkürzungen nehmen, Radwege nutzen, und ich muss keinen Parkplatz suchen. Dadurch ergibt sich am Ende doch oft ein Zeitvorteil gegenüber dem Pkw. Außerdem gibt es "softe" Faktoren. Der Einsatz von Lastenrädern ist gut fürs Image eines Unternehmens und fördert die Gesundheit der Mitarbeitenden. Außerdem werden betriebliche Umweltschutzziele immer wichtiger. Dazu können Lastenräder einen Beitrag leisten.

Gibt es Länder, in denen das Lastenrad schon etabliert ist?

In Dänemark oder den Niederlanden ist das Lastenrad schon lange Teil der Familienmobilität. Tatsächlich etabliert sich das Lastenrad aber auch im gewerblich-professionellen Betrieb zunehmend in den meisten Ländern West- und Nordeuropas. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass es Länder gibt, in denen Fahrradlieferdienste schon seit jeher zum Alltag gehören, zum Beispiel in Indien oder Brasilien.

Sie sagten, dass die finanzielle Förderung der Anschaffung auf Dauer nicht hilfreich ist. Warum?

Kaufanreize sind hilfreich, um eine Branche aufzubauen und die Technologie zu verbessern. Aber von den Pionieren gehen wir langsam über auf die sogenannten "Early Adopter", also auf diejenigen Nutzer, die das Lastenrad innerhalb ihrer Branche immer noch sehr früh für sich entdeckt haben. Wir sind nun in einer Phase, in der sukzessive Branchennetzwerke etabliert werden. Langfristig muss das Lastenfahrrad zum Selbstläufer werden und nicht dauerhaft die Steuerzahler belasten. Wir als Wissenschaftler können auch etwas tun, nämlich unser Wissen darüber weitergeben. So hatten wir beispielsweise im Jahr 2018 eine unserer Informationsveranstaltungen bei der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar.

Können Radschnellwege, von denen einige in der Region geplant sind, dem Lastenrad einen Schub geben?

Ohne eine gute Radverkehrsinfrastruktur geht es nicht. Sie ist sicher eine wichtige Grundlage, eigene Radmagistralen in den Städten zum Beispiel. Radschnellwege können auf diese Weise innerstädtisch direkt wirksam werden. Regional kommt es darauf an, dass die Streckenführung es erlaubt, die Kunden gut und problemlos zu bedienen. Nicht jeder Handwerker wird mit dem Lastenfahrrad von Mannheim nach Heidelberg fahren, wobei die Distanz an sich kein Problem ist, wie man an einem Beispiel aus Ihrer Region sieht: An unserem Projekt hat die Markusschule in Altlußheim teilgenommen. Die Köchin dort hat ein E-Lastendreirad getestet, ist damit jeden Tag 30 bis 40 Kilometer gefahren und hat frische Lebensmittel regionaler Erzeuger gekauft.

Was muss in Städten noch passieren, um das Lastenrad im Wirtschaftsverkehr zu etablieren?

Das kommt auf die Gegebenheiten vor Ort an. Ladezonen oder spezielle Parkplätze für Lastenräder braucht man nicht überall. Wenn aber Verkehr anders funktionieren soll, muss über eine andere Priorisierung der Raumaufteilung nachgedacht werden. Stadtraum ist begrenzt, und da gibt es immer eine Nutzungskonkurrenz – in den Großstädten eher als auf dem Land. So muss man sich etwa überlegen, ob man nicht ein paar Parkplätze für Micro-Hubs opfert.

Für Micro-Hubs?

Das sind quasi kleine Umladestationen, an denen die Güter vom Kleintransporter auf die Lastenfahrräder verteilt werden. Von dort aus geht es dann auf der "letzten Meile" zum Empfänger der Ware. Auch leer stehende Gewerbeflächen kommen für solche Micro-Hubs in Frage. Denkbar sind auch schwimmende Depots, etwa auf Flüssen.

Wie sieht ein Logistik- und Verkehrskonzept der Zukunft aus, das Lastenräder integriert?

Es bezieht die Stärken aller Verkehrsträger und Fahrzeugkonzepte ein. Für größere Mengen braucht man auch in Zukunft den Lastwagen, die Bahn oder das Schiff. Sie transportieren gebündelt die Güter in die Stadt, die dann auf kleinere Einheiten umgeschlagen werden. Dafür braucht man flankierend aber eine Klarheit der Ziele, die so auch formuliert werden müssen: Klimaschutz verbessern, Lebensqualität der Menschen bewahren und die Leistungsfähigkeit der Logistik sichern. Außerdem muss man in den Kommunen Zuständigkeiten schaffen. Etwa, indem man die Position der oder des Wirtschaftsverkehrsbeauftragten etabliert.

Frage zum Schluss: Fahren Sie denn privat ein Lastenfahrrad?

(lacht) Ich besitze selber keines, muss ich gestehen. Aber ich weiß, wo ich mir eins ausleihen kann in Berlin, denn es gibt hier in der Stadt viele Graswurzel-Initiativen für privates Lastenrad-Sharing. Aber auch im Rhein-Neckar-Raum gibt es einige Verleihmöglichkeiten – einfach mal ausprobieren!

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