Internationaler Tag der Pressefreiheit

Vom Wert der Pressefreiheit

Unabhängige Medien sind wichtig für eine offene Gesellschaft. Doch vielerorts sind sie bedroht.

29.04.2021 UPDATE: 03.05.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden
Der internationale Tag der Pressefreiheit. Foto: dpa

Von Michael Abschlag

Der Mann wendet den Blick zurück, eine Hand wie zum Gruß erhoben. Er blickt in eine dunkle Vergangenheit, in eine Zeit der Unterdrückung und Unfreiheit. Die anderen sehen nach vorne, neugierig, offen, zuversichtlich: Junge Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, vor sich eine noch ungewisse Zukunft. Daneben, fast unscheinbar am Rand: eine Zeitung.

Die Zeitung als Wegbegleiter an der Schwelle einer neuen Ära – so sieht es der Künstler Rudolf Seibeb aus der namibischen Hauptstadt Windhoek. In seinem Bild zum Tag der Pressefreiheit spiegelt sich auch die Geschichte seines Landes: Erst 1990 erhielt Namibia die Unabhängigkeit von Südafrika. Ein Jahr später unterzeichneten in Windhoek 30 afrikanische Journalisten eine Erklärung, in der sie freie, unabhängige Medien forderten – der Ursprung des heutigen Tages der Pressefreiheit.

Freie Gesellschaften brauchen eine freie Presse – das wusste schon der amerikanische Gründervater Thomas Jefferson, als er einst sagte, er würde lieber in einem Land ohne Regierung als in einem Land ohne Zeitung leben. Wo Journalisten nicht offen berichten können, da halten oft Korruption und Vetternwirtschaft, Machtmissbrauch und Willkür Einzug – weil Politiker und Behörden keine öffentliche Kritik fürchten müssen. Damit Gesellschaften stabil bleiben, müssen Journalisten kritisch berichten können. Sie müssen Zugang zu den Informationen staatlicher Stellen haben. Und sie müssen ihre Quellen schützen können, damit Whistleblower und Informanten sich weiter an sie wenden und Missstände aufdecken können.

Was das Fehlen einer unabhängigen Presse bewirken kann, zeigt sich selbst in stabilen Demokratien. Die USA etwa erleben seit Jahrzehnten ein Zeitungssterben; inzwischen gibt es ganze Landstriche, in denen keine Lokalzeitung erscheint. Gouverneure und lokale Amtsträger dort müssen keine Kritik fürchten, und Politik erscheint vielen als etwas Abstraktes, das sich im fernen Washington abspielt und mit ihrem Leben nichts zu tun hat. Viele Beobachter glauben, dass diese Entwicklung zur Wahl Donald Trumps beigetragen hat – und dazu, dass ihn im Herbst 2020 Millionen Menschen wiederwählten.

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Noch dramatischer ist die Situation in Ländern, in denen die Pressefreiheit vom Staat eingeschränkt wird. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" erstellt jedes Jahr eine Rangliste der Pressefreiheit. Aktuell wird die Situation in nur zwölf von 180 Staaten als "gut" eingestuft. In drei Vierteln der Länder ist die Pressefreiheit zumindest stark eingeschränkt.

Vielerorts nutzen Machthaber die Corona-Krise, um die Pressefreiheit weiter einzuschränken. In Ungarn etwa – immerhin einem EU-Land – wurde die Verbreitung von "Falschmeldungen" über die Pandemie unter Strafe gestellt. Ägypten verbot die Verbreitung nicht-offizieller Infektionszahlen, in Syrien verhängte das Assad-Regime eine Nachrichtensperre.

Anderswo wurden Journalisten, die kritisch über den Umgang mit der Pandemie oder ganz generell über die Regierung berichteten, kurzerhand festgenommen. In China sitzen mehr als 100 Medienschaffende im Gefängnis – mehr als in jedem anderen Land der Welt. In Belarus wurden zeitweise über 400 Journalisten festgenommen, die über Proteste und das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte berichteten. Russland hat die Meinungsfreiheit durch eine Reihe von Gesetzen weiter eingeschränkt. In der Türkei sitzen Journalisten im Gefängnis, ebenso in Saudi-Arabien. Und im Iran wurde 2020 der Journalist Ruhollah Sam hingerichtet – die erste Exekution eines Medienschaffenden seit 30 Jahren.

Im Vergleich dazu ist die Situation in Deutschland ausgesprochen gut. Journalisten müssen nicht fürchten, festgenommen oder ermordet zu werden, wenn sie kritisch berichten. Ihre Redaktionsräume werden nicht von staatlichen Räumkommandos verwüstet. Sie erhalten keine Drohungen und – anders als von manchen Verschwörungstheoretikern gerne behauptet – auch keine Anweisungen. In Deutschland ist die Presse tatsächlich frei. Aber auch diese Freiheit wird bedroht.

Immer wieder werden Journalisten in Deutschland attackiert, etwa am Rand von Querdenker-Demos. Der jüngste Vorfall ereignete sich vergangene Woche am Bundestag, als fünf Personen ein Kamerateam angriffen, das seine Schalte abbrechen musste; Anfang April hatte es einen ähnlichen Vorfall vor einem Impfzentrum gegeben. Und das sind keine Einzelfälle: "Reporter ohne Grenzen" zählte 65 Angriffe im Jahr 2020 – fünfmal so viele wie im Vorjahr. Erstmals gilt der Zustand der Pressefreiheit deshalb nicht mehr als "gut", sondern nur noch als "zufriedenstellend".

Der "Tag der Pressefreiheit" ist deshalb wichtiger denn je: Um auf die Situation in anderen Ländern aufmerksam zu machen – aber auch, um die Gefahren zu erkennen, die der freien Presse und der freien Gesellschaft hierzulande drohen.