Wo auf Dielheim Herausforderungen zukommen
Rat verabschiedet Entwicklungskonzept "Strategie 2035" für alle fünf Ortsteile. Ein Experte prophezeit so manche Herausforderung.

Von Sebastian Lerche
Dielheim. Mit dem Kopf voller Ideen und mit den Füßen auf einer riesigen Karte aller fünf Ortsteile wirkten Dielheimer Bürgerinnen und Bürger seit Anfang 2019 am Gemeindeentwicklungskonzept "Strategie 2035" mit. Ihre Anliegen waren essenziell, auch wenn Verwaltung, Gemeinderat und die Fachleute der STEG, einem Planungsbüro für städtebauliche Entwicklung, das Konzept natürlich mit in Form gossen. Jetzt wurde es vom Gemeinderat bei einer Nein-Stimme und einer Enthaltung, coronabedingt ohne große Aussprache, verabschiedet.
"Ein schönes Portfolio" verschiedener Maßgaben und Vorhaben sei entstanden, urteilte Bürgermeister Thomas Glasbrenner. Leben, Arbeiten, Infrastruktur, Vereine, Wohnraum und vieles mehr sind die Titel der Arbeitsfelder, auf die Tilman Sperle von der STEG kurz noch einmal einging.
Zunächst thematisierte er die mögliche bauliche Entwicklung, nicht vordringlich durch neue Wohngebiete am jeweiligen Siedlungsrand, sondern vor allem durch Innenentwicklung. "Da ist ein dickes Brett zu bohren", prophezeite er: So sei es stets eine Herausforderung, mit den Besitzern freier Grundstücke in Kontakt zu kommen und Verhandlungen zu starten.
Zum Vergleich: Der RNZ hat St. Leon-Rots Verwaltung vom enormen Kraftakt 2017 berichtet, bei dem die 450 Besitzer von 300 Baulücken innerorts ermittelt worden waren – Anrufe und Briefe gingen sogar bis nach Australien. Die Brachflächen sind zusammengenommen beachtliche 15 Hektar groß. In Dielheim haben sie ähnliche Dimensionen und man will dieses große Potenzial ebenfalls nicht ungenutzt lassen. Sperle brachte die Idee eines eigenen "Flächenmanagers" ein, eingestellt eventuell in Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen, der sich schwerpunktmäßig um dieses "Brett" kümmert.
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Eine wichtige Aufgabe für die Stabilität der Finanzen sieht das Konzept in Stärkung und Neuansiedlung von Gewerbe, ebenso in der Optimierung innerörtlicher Einkaufsmöglichkeiten – was wiederum auch für lebendige Ortskerne sorgen soll. Große Einkaufsmärkte entstehen natürlich bevorzugt an den Rändern, aber auch innerorts sah Sperle die Möglichkeit dafür, wobei dann Verkehr der Lieferanten und Kundschaft sowie Lärm zum Thema würden. Aber solche Neuansiedlungen hätten den Vorteil, einen Ortskern zu stärken, während Märkte auf "grüner Wiese" die Kundschaft eher aus ihm weglocken.
Zur Stärkung der Nahversorgung sieht das Konzept auch Bringdienste, ehrenamtliche Lieferangebote für Ältere oder nicht so mobile Menschen sowie "Click and Collect", also Bestellen und Abholen, auch außerhalb der Corona-Krise vor. Nicht vergessen werden die Landwirte und insbesondere die Winzer, angesichts der ausgedehnten Rebflächen trägt Dielheim den Namen "Weinbaugemeinde" schließlich zurecht.
Unter "soziale Gemeindeentwicklung" fasst das Konzept Angebote für alle Generationen zusammen: von guten Kindertagesstätten und Schulen über sinnvolle Freizeitaktionen für Kinder und Jugendliche sowie starke Vereine bis hin zu passender Unterstützung für Senioren. Damit soll auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden. Motivieren und Fördern des ehrenamtlichen Engagements dürfen freilich nicht fehlen.
Ein weiteres "dickes Brett" taucht unter "Mobilität" im Konzept auf: eine schon lange gewünschte Umgehungsstraße. Tilman Sperle nannte zudem Stichworte wie Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit und innerörtliche Beruhigung – attraktivere öffentliche Verkehrsmittel, ein dichteres Radwegenetz, möglichst beleuchtet, und weitere Aktivitäten sollen den Anteil des Individualverkehrs senken und dazu anregen, das Auto mal ganz stehen zu lassen.
Und noch ein "dickes Brett" sah Sperle im Fall von Natur- und Klimaschutz. Der Artenreichtum soll erhalten oder gesteigert werden, Grünflächen innerorts und die Naherholungsgebiete auf der Gemarkung wollen natürlich gepflegt werden, dabei können aber die Bedürfnisse der Menschen, etwa der Landwirtschaft, mit denen der Natur kollidieren. Beim Klimaschutz hat sich Dielheim in einem eigenen Konzept ehrgeizige Ziele gesetzt, für die die Bevölkerung weiterhin sensibilisiert werden muss.
Für die Modernisierung alter Bausubstanz etwa gibt es laut Sperle gute Gründe: neben der langfristigen Energieersparnis freilich die Förderprogramme. Unvermeidbar dürfte aber auch das Wappnen für die Folgen des Klimawandels, allen voran Hochwasser, sein. Und schließlich regte der Fachmann an, über das Thema "Fair Trade" nachzudenken, also Handel, der auskömmliche Löhne ebenso wie Natur-, Arten- und Klimaschutz gewährleisten will.
Selbst in dieser skizzenhaften Darstellung wurde jedem deutlich, dass die im Konzept formulierten Ziele zwar Synergieeffekte erzeugen, sodass die eine Maßnahme auch ein anderes Vorhaben voranbringen kann. Doch ebenso wurden schwierige Abwägungsprozesse absehbar, da manche Felder, etwa Arbeit und Mobilität sowie Aufenthaltsqualität der Ortskerne und Naturschutz, erfahrungsgemäß Konfliktpotenzial bergen.
Bürgermeister Glasbrenner hatte leider noch eine schlechte Nachricht: Das Gemeindeentwicklungskonzept sei eine notwendige Grundlage für Anträge auf städtebauliche Fördermittel. Daher habe man bereits für dieses Jahr einen Antrag auf Aufnahme ins Landessanierungsprogramm gestellt. 2021 komme Dielheim aber noch nicht zum Zug, "das kommt nicht unerwartet, wir versuchen es für nächstes Jahr noch einmal".