Der Mäzen und der Heidelberger Gegenwind
Am Samstag feiert der Unternehmer Wolfgang Marguerre seinen 80. Geburtstag - Der Mäzen, der die Öffentlichkeit nicht sucht, gerät doch immer wieder in die Schlagzeilen

Von Ingrid Thoms-Hoffmann
Heidelberg. Eigentlich könnte Wolfgang Marguerre sagen: "Ihr könnt mich alle mal." Könnte sich auf seine Finca auf Mallorca oder in sein Haus in Schweden zurückziehen, könnte sich als Steuerzahler aus Deutschland verabschieden und Heidelberg den Rücken kehren. Tut er aber nicht. Weil er seine Heimatstadt liebt, jeden Tag den Rundumblick aus seiner Villa am Philosophenweg genießt, wo auch seine sechsjährigen Zwillinge aufwachsen, weil er und seine Frau Barbara hier ihre Freunde haben. Weil er hier ein zurückgezogenes Leben führen kann. Heute feiert der Unternehmensgründer von "Octapharma" seinen 80. Geburtstag. Im allerkleinsten Kreis – zu Hause. Coronabedingt.
Dass der reiche Mann, der die Öffentlichkeit nicht gerade sucht, dennoch immer wieder in die Schlagzeilen gerät, das hat viel mit seinem pharmazeutischen Unternehmen zu tun, mit dem Neid der anderen und noch mehr mit seinem Mäzenatentum. Ausgerechnet in der Stadt, die ihm viel zu verdanken hat, bläst ihm immer wieder heftiger Gegenwind entgegen. Besonders beeindrucken lässt sich Wolfgang Marguerre davon nicht. Warum auch?
Ohne den Unternehmer hätte Heidelberg kein neues Theater, könnte die Stadthalle nicht saniert werden, hätte es keine Million für Flüchtlinge gegeben, könnte der "Heidelberger Frühling" sein Musikfestival nicht in der bekannten hohen Qualität anbieten, hätte es keine 25-Millionen-Investition samt Arbeitsplätzen an der Berliner Straße für "Octapharma" gegeben, um nur ein Teil seines Engagements zu nennen.
Dass Marguerre das Füllhorn seiner Spendenfreudigkeit nicht über eine steuersparende Stiftung ausschüttet, sondern aus seinem Privatvermögen, ist eine dieser Ungewöhnlichkeiten dieses außergewöhnlichen Mannes. Der die Musik so liebt, mit Profi-Musikern der Heidelberger Philharmoniker CDs aufnimmt, in guten Zeiten zu spektakulären Hauskonzerten einlud und der nicht nur auf seine fünf Kinder (zwei erwachsene Söhne und eine Tochter aus erster Ehe), sondern auch auf seine Ehefrau Barbara stolz ist, die – wie er – seiner ersten, verstorbenen Ehefrau liebevoll gedenkt und ihr Bild, das im Wohnzimmer seinen Platz hat, immer mit frischen Blumen schmückt.
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Diese Seite von Wolfgang Marguerre ist nur wenigen bekannt. Kritiker sehen in ihm den "Reichen", der sich alles kaufen kann. Der sich zu seinem 75. Geburtstag den Schlossgarten für sein "Märchenfest" mieten kann, mit Feuerwerk und zweistöckigem Zelt und wochenlanger Sperrung der Wiese (die er, was gerne verschwiegen wird, besser als zuvor wieder instand setzte). Der sich diese große Villa über den Dächern Heidelbergs nach seinem Gutdünken ausbauen konnte, samt Tennisplätzen und eigener Sporthalle und das steile Gelände sogar mit einer kleinen Bergbahn erschloss. Der sich "sein" Theater ausbaute, dass der große Theatersaal nach ihm benannt ist. Der bei der Stadthalle Einfluss nimmt. Vorwürfe wie "er kauft sich die ganze Stadt" versanden, wenn die Projekte erst einmal verwirklicht sind. Das dauert dem nach vorne strebenden Unternehmer meist viel zu lange. Dass er immer noch im operativen Geschäft seines fast 40 Jahre alten Konzerns tätig ist, auch wenn seine beiden Söhne Tobias und Frederik Mitverantwortung tragen, das gehört auch zu den Ungewöhnlichkeiten dieses Mannes.
"Ich hatte in meinem Leben großes Glück gehabt, meinem Unternehmen geht es sehr gut, warum sollte ich meine Stadt da nicht unterstützen?", sagt er. Sein Unternehmen, das spezialisiert ist auf die Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Arzneimitteln basierend auf Blutplasma, das gründete er 1983 in Paris. Mit "einer Million Mark in der Tasche und einer guten Idee".
Zu diesem Zeitpunkt hatte der junge Mann schon eine steile Karriere hinter sich. Nach dem Abitur am Bunsen-Gymnasium und seinem Studium in Heidelberg zog es ihn in die weite Welt. Paris, Kopenhagen, Brüssel und wieder Paris, das waren die beruflichen Stationen. Vor seiner Selbstständigkeit leitete er bei der Kosmetikfirma "Revlon" die Pharmaabteilung. Aber Marguerre wollte kein angestellter Manager sein, sondern Unternehmer und "Verantwortung tragen". Heute trägt er Verantwortung für seine weltweit agierende Firma, für die 10.000 Mitarbeiter und einen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro. Und die Wachstumskurve geht nach oben. Zehn Prozent sind es augenblicklich, es waren in den früheren Jahren 30 Prozent.
Aber der studierte Volkswirt, der eigentlich Musiker werden wollte, hat nicht nur das Gespür für erfolgreiche Geschäfte, sondern auch diese große Affinität zum Theater, zur Literatur und zur Musik. Das, so sagt er, hängt mit dem "Erbe meiner Eltern" zusammen. Und er erinnert sich, wie er mit dem Fahrrad von der Mühltalstraße aus über die Brücke in die Altstadt fuhr, wie er sich für eine Mark eine Stehplatzkarte im Theater ergatterte, wie er in einer anderen Welt versank. Im kleinen Heidelberger Theater lernte er die unerschöpfliche Weite der Musik kennen, die ihn nicht mehr loslassen sollte.
Deshalb ist er auch tieftraurig, dass er nach einer Rückenoperation jetzt nicht mehr Geige spielen kann. "Da wurden mir Nerven durchtrennt und ich kann nicht mehr lange stehen." Froh ist er, dass er und seine Familie eine Covid-Infektion gut überstanden haben. Im letzten Oktober wurde er positiv getestet. Was geblieben ist: Kopfschmerzen und Müdigkeit, die immer wieder auftreten. "Typische Spätfolgen", sagt er.
Für Wolfgang Marguerre allerdings kein Grund, sich auf sein "Altenteil" zurückzuziehen. "Ich mache nur ein bisschen langsamer, statt über 100 Wochenstunden sind es jetzt nur noch 50, die ich hier in meinem Homeoffice plus einer Mitarbeiterin verbringe." Weil Wolfgang Marguerre weiß, wie gefährlich diese Krankheit ist und weil er auch weiß, dass sein Pharmazie-Unternehmen eine Vorbildfunktion hat, werden europaweit alle Mitarbeiter wöchentlich getestet. Der Chef hat es angeordnet.
Trotz alledem: "Ich fühle mich frisch und gesund", sagt der Unternehmenslenker. "Ich habe eine wunderbare Familie, acht Enkelkinder, mein Sohn Tobias wird in meinem Sinn das Unternehmen weiterführen, unterstützt von seinem Bruder" – und dann sind da ja auch noch die "frechen, wilden" Zwillinge, die Wolfgang Marguerre keine Zeit lassen, alt zu werden. Beim Telefonat krakeelen sie im Hintergrund – den Vater stört es nicht. Er macht weiter.