Strukturen und Steuerschrauben

Sinsheimer Haushalt 2021 mit "anderthalb Blauen Augen" verabschiedet

Steuererhöhungen und ein neues Beratungsgremium sollen die Stadt Sinsheim aus der Misere führen.

13.12.2020 UPDATE: 14.12.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 29 Sekunden
Das Sinsheimer Wahrzeichen – die Burg Steinsberg – lag am Wochenende grau und verhangen da, fast wie ein Symbolbild für kommende Zeiten. Düster ging es auch bei der Verabschiedung des Haushalts fürs Jahr 2021 zu. Foto: Bernd Sauter

Von Tim Kegel

Sinsheim. Wie kann Sinsheim sparen? Braucht es wirklich alles doppelt und dreifach, ja zwölffach – wegen der Stadtteile? Feuerwehrausstattung beispielsweise, Ortsparlamente; braucht es die komplizierte Unechte Teilortswahl? Wo machen Gutachten und externes Wissen Sinn? Und wie werden Ausschreibungen effektiver, damit sich Projekte nicht permanent stark verteuern? Wie viel Personal kann sich die Verwaltung leisten? Ähnliche Fragen – viele davon – sollen künftig in einer "Strukturkommission" gestellt werden, die der Gemeinderat und die Stadtverwaltung gründen wollen. Und es wird hart umkämpfte Steuererhöhungen geben. So lauten die wesentlichen Perspektiven für kommende, schwierige Zeiten, die am Freitag bei der Verabschiedung des Corona-Haushalts der Großen Kreisstadt Sinsheim für das Jahr 2021 festgezurrt wurden.

Ein extremes Jahr liegt zurück. Und ein extremer Haushalt fürs kommende folgt. Den Weg weisen unter anderem weggebrochene Einnahmen in Millionenhöhe im laufenden, bei Investitionen von knapp über 18 Millionen Euro im kommenden Jahr, die sich nicht so einfach schieben lassen – während die Rücklagen "vollständig aufgebraucht" sind und auf Pump investiert werden muss. Das Haushaltsdefizit liegt nun bei 3,5 Millionen Euro, aber das ist nicht alles.

"Bis unters Dach" vollgepackt ist derweil das Investitionsprogramm mit rund 78 Millionen Euro bis 2024, darunter etliche Notwendigkeiten, vom Gewässer-, und Brandschutz und von Kitas und der Schulsozialarbeit bis zur Digitalisierung. Und nach wie vor zahlt die Stadt Fixkosten, darunter rund 29 Millionen Euro fürs Personal. Dass Stadtkämmerer Ulrich Landwehr nur von "anderthalb blauen Augen" sprach, mit denen man dieses Jahr im Ergebnis davon kommt, liege an den "großzügigen Hilfen von Bund und Land". Trotzdem: Die Gesamtverschuldung von Stadt und Stadtwerken dürfte Ende 2021 bei 94,5 Millionen Euro, jene pro Kopf bei knapp 2700 Euro liegen. Insgesamt ist dies fast doppelt so viel wie in Vergleichskommunen, allerdings ging auch die Kurve der Sinsheimer Investitionsdynamik steiler als anderswo nach oben. Dass die Kommunalaufsicht des Regierungspräsidiums ein Auge auf dies alles hat, entspannt die Situation in keinem Fall. Das Paket wurde mit 28 Für- und zwölf Gegenstimmen bei vier Enthaltungen beschlossen. Die SPD-Fraktion lehnte den Haushalt ab.

Die Brisanz der Lage mit viel Unvorhersehbarem zeigt sich aber auch daran, dass nahezu an allen Haushaltsreden der Fraktionschefs noch gefeilt wurde – teils bis Minuten vor dem Zeitpunkt, an dem sie gehalten wurden. Noch am Vortag kamen Fraktionsvorsitzende eilends zur Sondersitzung zusammen mit dem Ziel, "die Kuh vom Eis zu kriegen", weil sich abzeichnete, der Haushalt könnte auf breiter Front abgelehnt werden. Jene Letzte war die zwölfte Zusammenkunft des ehrenamtlichen Gremiums binnen eines starken Monats. Viele Gespräche liefen hinter verschlossenen Türen ab, weil sich so freier über unbequeme Pläne reden lasse, hieß es.

Auch interessant
Sinsheim: Wo die Stadt wegen Corona sparen will
Gemmingen: Gemeinde rechnet 2021 mit einem Minus von 1,8 Millionen Euro
Haushalt Sinsheim: Es brechen magere Zeiten an

Eine Strukturkommission als Idee muss hierbei erst in jüngster Zeit bei einem dieser Treffen zustande gekommen sein. In den Haushaltsreden klang durch, dass eine solche Lenkungsgruppe durchaus mühsam erkämpft worden war, als eine Art "Deal" zugunsten des zustimmungsfähigen Zahlenwerks. Oberbürgermeister Jörg Albrecht sagte am Abend mehrfach zu, ein solches Gremium zu gründen. Er wird sich darauf festnageln lassen müssen, selbst wenn dem Konstrukt nicht jeder eine große Wirkkraft zugesteht.

Steuern rauf. Ungewohnt hart zur Sache ging es bei den ersten Steuererhöhungen seit über zehn Jahren – nicht verbal, jedoch bei der Abstimmung: Vorgelegt wurden vier Varianten von Erhöhungen der Grundsteuern A und B – die erste für landwirtschaftliche Flächen – sowie der Gewerbesteuer: Ein städtischer Vorschlag sah eine pauschale Erhöhung des Hebesatzes um 30 Prozent vor, während sich die CDU-Fraktion nur zu zehnprozentigen Erhöhungen durchringen konnte. Differenzierter wollten es die Freien Wähler angehen und sahen eine Erhöhung des Hebesatzes bei der Grundsteuer A um 30, der Grundsteuer B um zehn und der Gewerbesteuer um 20 Prozent vor. Ein letztes Modell, das im Hauptausschuss des Gremiums ausgedacht worden war, sah Erhöhungen der Hebesätze um der Reihe nach 30, 20 und 25 Prozent vor.

Haben oder nicht haben – es ging um viel Geld. Je nach Modell ließen sich mindestens 720.000 Euro und maximal 1,96 Millionen Euro Mehreinnahmen generieren. Jetzt werden es knapp 1,75 Millionen Euro sein. Dem Kompromiss vorausgegangen waren Abstimmungen – teils taktisch, teils impulsiv und ohne Fraktionsdenke. Nach deutlicher Ablehnung der Versionen von Verwaltung und CDU, wird jetzt ein leicht modifiziertes Modell des Hauptausschusses angewandt – mit lediglich zehn Prozent Erhöhung der Grundsteuer B.

Im Verlauf der Abstimmungen hatten die Freien Wähler einen Kompromissvorschlag mit einer um fünf Prozent geringeren Erhöhung bei der Gewerbesteuer eingebracht, den Antrag dann aber zurückgezogen, um zu verhindern, dass der Haushalt mehrheitlich abgelehnt wird. Bei der SPD wurde deutlich gegen Gewerbesteuererhöhungen votiert, die Fraktionen der Grünen und von Aktiv-für-Sinsheim stellten sich im Gros hinter die Maßnahmen.

Bei Steuererhöhungen sei "jede Meinung zu diesem Thema richtig", sagt Landwehr; er selbst hält sie für "unvermeidbar, (...) um die Leistungsfähigkeit unserer Stadt sicherzustellen". Und so halten es einige für ungeschickt, in akuten Krisen-Phasen an den Steuerschrauben zu drehen, weil hierdurch Unternehmen vergrätzt und Mieten noch mehr steigen könnten. Andere führen an, dass ohnehin nur erfolgreiche Branchen zur Kasse gebeten würden und die Umlage auf den Mietpreis nur eine Marginalie sein könne. Von "Peanuts" wurde gesprochen.

Die Atmosphäre des Abends, der als "Stunde der Fraktionen" gilt und erstmals in der Dr.-Sieber-Halle stattfand, wurde von manchen als deprimierend beschrieben. Nicht nur weil aufgrund der Corona-Maßnahmen Gäste, etwa Amtsleiter oder Angehörige, zuvor "ausgeladen" werden mussten. Vermisst wurde der traditionelle gesellige Ausklang – weit mehr als nur ein gemeinsames Essen, sondern Gelegenheit zum Sackenlassen, Durchatmen und fürs Miteinander. Lediglich eine Apfelschorle auf den Tischen – heimisches Streuobst, erzeugt mit Fördergeld aus dem "Leader"-Programm – zeugte vom besonderen Anlass. Nach drei Stunden und knappen Abschiedsgrüßen ging es hinaus in die Nacht.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.