Haushalt Sinsheim

Es brechen magere Zeiten an

Der Kämmerer schwört die Stadt auf einen drastischen Sparkurs ein. Alles beginnt mit einem stattlichen Nachtragshaushalt.

22.10.2020 UPDATE: 23.10.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 9 Sekunden
Einige Anstrengung dürfte es kosten, bis Prestigeprojekte wie die Dr.-Sieber-Halle wieder möglich sind. Die Stadtgesellschaft wird „strampeln“ müssen. Foto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim. "Kleinste Brötchen", "massivste Sparmaßnahmen", die "dringend notwendige Streichorgie", "Strukturwandel" – so heißen sie, die Worte zum Anfang vom Ende des Jahres 2020 in Sinsheim, gefallen bei der jüngsten Gemeinderatssitzung. Einen dicken Nachtragshaushalt – nämlich auf 180 Seiten und mit einem um 6,1 auf 131,1 Millionen Euro erhöhten Volumen sogar sprichwörtlich dick – hat das Gremium jetzt einstimmig verabschiedet.

Es sieht verheerend aus. So verheerend, dass sogar Ulrich Landwehrs gewohnt staubtrockener Humor etwas dürr daherkam. Als der Stadtkämmerer von "blutdrucksteigernden Zahlen" sprach, die "bisher ungekannte" finanzielle Defizite fürs kommende Jahr erwarten ließen, schien das bisher vor Kraft und Zuversicht strotzende und kühn in die Zukunft planende Sinsheim in eine diffuse Risikogruppe abzurutschen: Die Corona-Soforthilfen von Bund und Land – von 250 Millionen Euro an Geldern kamen 670.000 Euro in der Stadt an – hatte der Kämmerer in seine Horror-Zahlen nämlich schon eingerechnet und damit die "erheblichen Gebührenausfälle" in der Kindergartenbetreuung ausgeglichen. Dass es künftig weiteres Geld geben wird, sei "nicht erkennbar". Also gehe es nach dem 31. Dezember "erst so richtig los".

Gerade so weiter ging’s aber jetzt schon: Und allein der Ergebnishaushalt für den laufenden städtischen Betrieb wird wohl ein Minus von 6,5 Millionen Euro ausweisen, vor knapp einem Jahr war man von einem Fehlbetrag von 1,65 Millionen ausgegangen. Die möglichen Kreditaufnahmen liegen jetzt bei 18 Millionen Euro, einst waren neun Millionen geplant. Hohe, schwer zu durchblickende Rechenkunst musste Landwehr walten lassen, etwa bei den Anschaffungen. Sie lassen das Investitionsvolumen in der 35.500-Einwohner-Stadt um 4,2 auf 32,9 Millionen Euro klettern: Auszahlungen für Projekte, die erst im kommenden Jahr geplant waren, zieht Landwehr vor, etwa 2,4 Millionen an die Stadtwerke fürs neue Stadthallen-Parkhaus, "um schneller an die Zuschüsse im Rahmen des Sanierungsgebiets" in der Innenstadt-Ost zu kommen. Mithilfe zahlreicher ähnlicher Verrechnungsvorgänge will der Kämmerer reinen Tisch machen und den Haushalt 2021 "auf Kosten des aktuellen Nachtrags" entlasten. Wann, von wem, wo und in welchem Rahmen der künftige Jahres-Finanzplan besprochen und beschlossen wird, ist corona-bedingt jedoch weiterhin unklar, möglicherweise am 11. Dezember.

Von zusätzlichen Investitionen handele der Nachtrag "keinesfalls". Noch nicht auf dem städtischen Konto angelangt sind die drei Millionen Euro, die Bund und Land als Puffer für Gewerbesteuer-Ausfälle, in Sinsheim momentan 4,6 Millionen Euro, zugesagt haben. Trotzdem sind sie eingerechnet. 2,2 Millionen Euro weniger Einkommensteuer-Anteil müssen zusätzlich verkraftet werden.

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Nicht schön, jedenfalls: "Erhebliche Park-Entgelte" gingen während der Zeit im März und April flöten, die Stadion-Parkplätze waren – und sind bis auf Weiteres – weitestgehend leer, ähnlich die in der Innenstadt. Ein schlecht besuchtes, sehr aufwendig zu pflegendes Freibad tat sein Übriges. Es gehe auch hier bei weitem "nicht nur um Kleinbeträge", linst Landwehr auch auf die zusätzlichen Reinigungsintervalle in Schulen, Kindergärten und Hallen.

Und noch sind kein neues Feuerwehrgerätehaus für 20 Millionen Euro, keine mindestens zehn Millionen Euro teure Brückensanierung in Steinsfurt, keine kostspielige Sanierung der Realschule und ähnliche Projekte richtig angestoßen, geschweige denn gebaut. Im Vor-Corona-Sinsheim wurde über Verkehrskonzepte, Kulturquartiere und weitere Sanierungsgebiete nachgedacht – durchaus auch über 15 Jahre und mehr hinaus. Freiwilligkeitsleistungen, wie Musik- und Volkshochschule oder ein Freibad sind Zuschussbetriebe, stehen aber für Lebensqualität, Moderne und auch für den neuen touristischen Weg, auf den man sich begeben hat.

Doch Landwehr war schon immer zwar ein Skeptiker, ein Mahner – aber kein Fatalist: Vielleicht schaffe man es ja im Jahr 2021 "echte strukturelle Themen anzugehen", und "bedeutsame, nachhaltige aber sicherlich auch schmerzhafte und unbeliebte Einsparungen zu generieren". Zur Finanzkrise 2009 bis 2011 habe man dies, seiner Ansicht nach, "leider versäumt".

Hintergrund

Sinsheim. (tk) Das ließ nichts Gutes ahnen: Die Einbringung des Haushaltsentwurfs der Großen Kreisstadt Sinsheim fürs Jahr 2021, sie wurde – obwohl zunächst als Tagesordnungspunkt der jüngsten Gemeinderatssitzung angesagt – vertagt. Vorausblickend stellte Oberbürgermeister

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Sinsheim. (tk) Das ließ nichts Gutes ahnen: Die Einbringung des Haushaltsentwurfs der Großen Kreisstadt Sinsheim fürs Jahr 2021, sie wurde – obwohl zunächst als Tagesordnungspunkt der jüngsten Gemeinderatssitzung angesagt – vertagt. Vorausblickend stellte Oberbürgermeister Jörg Albrecht aber in den Raum, im kommenden Jahr "gemeinsam eine Lücke von 20 Millionen Euro schließen" zu müssen. Die Fraktionen nahmen am Dienstagabend lediglich zum Nachtragshaushalt Stellung.

Nachtragshaushalte sind nichts Neues, wusste CDU-Fraktionschef Friedhelm Zoller. Allerdings sei die Dramatik selbst in der Finanzkrise 2009 und 2010 "nicht ganz so hart gewesen" wie jetzt. Wie alle anderen Fraktionen, stimmten die Christdemokraten dem Zahlenwerk ohne Enthaltungen zu: "Keine andere Möglichkeit, keine andere Wahl", sagte Zoller.

Dichterisch frei an Heinz Ehrhard anknüpfend, versuchte sich Freie-Wähler-Sprecher Harald Gmelin in "Galgenhumor": Er sprach vom "bösen Chinavirus" und prägte den Ausdruck der "kleinsten Brötchen", die man backen müsse: "Leisten können wir uns nichts." Die Einschnitte und Sparmaßnahmen müssten mit einem Höchstmaß an Transparenz besprochen und öffentlich vermittelt werden. Nur so könne man auf Akzeptanz hoffen.

Strukturwandel angemahnt

Mahnend klang SPD-Sprecher Michael Czink: Sein Fingerzeig war "ein Kindergarten für sechs Millionen Euro", der vom Gremium kürzlich auf den Weg gebracht worden war. "Alles sollten wir nicht an der Corona-Krise festmachen" heißt ein Fazit von ihm. Wie zuvor Kämmerer Ulrich Landwehr, sah auch Czink "strukturelle Probleme" in der Großen Kreisstadt und ihren Ortsteilen. Man müsse in Zukunft "einen gewissen Strukturwandel einleiten". Ins selbe Horn stieß Alexander Hertel, Sprecher von Aktiv für Sinsheim: Der "Blick in die Vergangenheit" schmecke ihm jetzt besonders "bitter". Den "Kampfbegriff von den strukturellen Maßnahmen" müsse man jetzt in den Mund nehmen, forderte Hertel und sagte bedeutungsschwer, dass es nun "spannende Wettkämpfe geben" werde.

Sozial und versöhnlich klang Grünen-Rätin Anja Wirtherle: Sie griff das zuvor geforderte "Streichkonzert" auf, das ihrer Ansicht nach "mit Verstand" sowie um- und weitsichtig vorgenommen werden muss. Wirtherle wünscht sich, dass "harte Diskussionen, aber in einem guten Klima" geführt werden.

Kein Ratsmitglied ging indessen ins Detail, was unter "strukturellen Maßnahmen" zu verstehen ist: Insider gehen davon aus, dass es Einrichtungen, die bislang in jedem Stadtteil vorhanden sind, künftig nicht mehr überall geben wird.

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