Für "Rambo-Liberalismus" war sie nicht zu haben
Ein Vierteljahrhundert saß Annette Trabold für die FDP im Gemeinderat. Die Sprachwissenschaftlerin feierte zu Beginn des Lockdowns ihren 60. Geburtstag.

Von Holger Buchwald
Heidelberg. Das größte Glück für Annette Trabold ist es, einen Kreis von Menschen um sich zu haben, auf den man sich verlassen kann. Freundinnen und Freunde, mit denen man sich austauschen, lachen und mit denen man diskutieren kann. Auch deshalb hätte sie gerne ihren 60. Geburtstag groß gefeiert, das "Level 12" in der Print Media Academy war schon angemietet. Doch dann kam ihr die Corona-Pandemie in die Quere. Ihr großer Tag fiel ausgerechnet auf den vergangenen Montag, den Beginn des zweiten Lockdowns. So konnte sie nicht einmal mit ihrem Mann Peter "Balsamico" Saueressig essen gehen. "Deshalb haben wir das am Sonntag vorgezogen." Die große Feier werde aber auf jeden Fall nachgeholt. Irgendwann.
"Ich fühle mich immer noch wie 38", sagt Trabold während eines Zoom-Meetings kurz vor ihrem runden Geburtstag: "Das ist wirklich so. Ich bin da irgendwann stehen geblieben." Als Hintergrund für das Gespräch hat sie eine Heidelberg-Ansicht mit Blick auf Neckar und Heiligenberg eingeblendet. Sie hat schon immer hier gelebt, ist hier geboren, ging hier zur Schule, studierte hier an der Universität und engagierte sich in der Stadt auf vielfältige Weise. Das Gefühl des Junggebliebenseins kommt nicht von ungefähr. Trabold selbst vermutet, es habe damit zu tun, dass sie bei ihrem Arbeitgeber, dem Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, so viel mit wissenschaftlichen Hilfskräften zwischen Mitte 20 und Mitte 30 zu tun habe. Das Gespräch mit ihr legt aber auch einen anderen Schluss nahe: Einen gewichtigen Anteil haben sicherlich ihre vielfältigen Interessen.
Eine dieser großen Leidenschaften war lange Zeit die Heidelberger Kommunalpolitik. 25 Jahre lang – bis 2014 – saß sie für die FDP im Gemeinderat. Zwei Mal kandidierte sie sogar für den Landtag. Schon während ihrer Schulzeit am Englischen Institut engagierte sich Annette Trabold für andere. Drei Jahre lang war sie Schulsprecherin, als erste Frau überhaupt in dieser Position, wie sie stolz berichtet. Daher war ihr auch nach dem Abitur 1980 klar, dass sie sich politisch engagieren wollte. Sie ließ sich das Wahlprogramm der damaligen Regierungsparteien SPD und FDP schicken. "Das Liberale fand ich ansprechender", erinnert sich die 60-Jährige heute an diese Zeit. Im Januar 1982 schließlich trat sie in die Partei ein. Das Antragsformular hatte sie sich an einem Infostand am Bismarckplatz besorgt – bei Arnulf Weiler-Lorentz, dem späteren Gründer und heutigen Stadtrat der "Bunten Linken".
Auch als Einzelne könne man in der Kommunalpolitik etwas bewegen, daher mache sie so viel Spaß, sagt Trabold. Sie muss es wissen, einige Jahre saß sie alleine für die FDP im Gemeinderat. "Bei Haushaltsanträgen kann man immer andere finden, die die eigenen Anliegen unterstützen." Doch Trabold wollte auch mehr: Aus Unzufriedenheit angesichts der Dominanz der großen Fraktionen und dem Automatismus bei Bürgermeisterwahlen kandidierte Trabold 1996 gegen den Amtsinhaber Jürgen Beß als Sozial- und Kulturbürgermeisterin. Am Ende setzte sich die SPD mit ihrem Vorschlagsrecht zwar durch, doch die Liberale errang als Einzelstadträtin mit 25 Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg. Im Rückblick bedauert sie durchaus, dass sie nicht gewählt wurde: "Es ist doch ein Armutszeugnis, dass bis auf Beate Weber noch keine Frau in Heidelberg Bürgermeisterin war."
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38 lange Jahre ist Trabold nun schon in der FDP – und ihre Partei hat es ihr nicht immer leicht gemacht. Denn Trabold identifiziert sich weniger mit dem Wirtschaftsliberalismus, der seit Mitte der 90er Jahre in der Bundespartei dominierte, viel mehr mit den großen liberalen Bürgerrechtlern: Hildegard Hamm-Brücher, Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. "Noch heute geht mir das Herz auf, wenn ich Gerhart Baum in einer Talkrunde sehe", sagt Trabold dazu. Dementsprechend war die Wende 1982 und der Bruch der sozialliberalen Koalition auch ihr "erster Schock" in ihrer noch jungen Parteikarriere. Weitere sollten folgen: Mit dem damaligen Bundesentwicklungsminister und Heidelberger Abgeordneten Dirk Niebel kam es rund um die Wahlen zum Kreisvorstand, bei der Trabold den jungen Dennis Steiniger gegen den Anwalt Michael Eckert unterstützte, 2013 offen zum Streit. Als Trabold in einer folgenden FDP-Versammlung verkündete, sie wolle das nächste Mal nicht mehr für den Gemeinderat kandidieren, sagte sie unter anderem, dass sie für "Rambo-Liberalismus" nicht zur Verfügung stehe.
Heute sieht sie ihren Rückzug milde: "Dass ich nicht mehr antreten werde, stand bereits nach der verlorenen Landtagswahl 2011 fest", so Trabold. War es 2006 noch knapp, hatte sie fünf Jahre später, im Schatten von Fukushima, keine Chance bei den Wahlen. "25 Jahre im Gemeinderat ist außerdem eine so lange Zeit; da muss man aufpassen, sich nicht selbst zu zitieren", sagt Trabold: "Die Themen wiederholen sich doch sehr. Und ich wollte jetzt nicht schon wieder über eine Straßenbahn ins Neuenheimer Feld reden."
Trabold ist eine treue Seele. Die Sprachwissenschaftlerin war einst selbst Stipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung und ist heute an der Auswahl der Neuen beteiligt. Auch aus diesen Gründen blieb sie bis heute in der Partei. Dabei hatte sich Trabold oft genug über die Bundes-FDP geärgert. Der heutige Parteichef Christian Lindner habe durchaus seine Verdienste, sagt Trabold. Ohne seinen engagierten Wahlkampf wären die Liberalen wohl nicht in den Bundestag eingezogen. Mit dem späteren "Rumgeeiere" im Zuge der gescheiterten Regierungsbildung und vor allem nach der Wahl Thomas Kemmerichs zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD war für Trabold das Maß voll. Die "wachsweichen Reaktionen" der Parteispitze waren für die Heidelbergerin ein "ganz herber Schlag". Sie verfasste ein Austrittsschreiben. Nach all den Jahren bei den Liberalen brachte sie es aber nicht über das Herz, es abzuschicken.
Während ihrer Zeit im Gemeinderat engagierte sich Trabold stark für die kulturellen Einrichtungen Heidelbergs. Sie liegen ihr besonders am Herzen. Schon als Kind, auf dem Boxberg großgeworden, malte die kleine Annette mit Wasserfarben und Pinsel Bilder auf den Hofboden, die ihre Mutter dann schnell anschauen musste, bevor sie wieder verschwanden. Später spielte sie Klavier, noch heute nimmt sie klassischen Gesangsunterricht. Sie engagiert sich in Freundeskreisen – beim Klangforum als erste Vorsitzende und beim Theater als zweite. "Ich gehe, so gut ich kann, zu kulturellen Veranstaltungen in der Stadt", sagt Trabold. Schon der erste Lockdown fühlte sich für sie daher an wie eine große Leere. "Als das Unterwegstheater mit seinem Art-Ort auf dem Airfield im Juli als erstes wieder etwas anbot, war das mein erster Liveapplaus nach viermonatiger Pause."
"Völlig unverständlich" ist für Trabold, dass die kulturellen Einrichtungen nun wieder vom Lockdown betroffen sind. "Das ist quasi ein Berufsverbot", ärgert sie sich. Alle Heidelberger Kulturhäuser, vom Deutsch-Amerikanischen Institut über das Unterwegstheater, das städtische Theater bis zum Karlstorbahnhof hätten ein "super Hygienekonzept". Dass sie in der Corona-Verordnung als Freizeitaktivitäten abgestempelt werden, findet Trabold empörend: "Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich um kulturelle Bildung kümmern."
"Wie absurd ist denn das – Möbelhäuser und Baumärkte dürfen volle Kanne weitermachen, während die Kultur in den Lockdown gezwungen wird", redet sich Trabold bei diesem Thema in Rage: "Das ist ein Skandal, ich kann mir keinen sichereren Ort als das Theater vorstellen." Und es sei doch ein Hohn, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem Bundesregierung und Ministerpräsidenten sich auf die Corona-Beschlüsse geeinigt hätten, ein Streichquartett bei der Gedenkstunde für den plötzlich verstorbenen SPD-Politiker Thomas Oppermann gespielt habe. "Eben gerade, weil Worte nicht reichen, weil Musik eine Funktion hat", so Trabold.
Privat wie beruflich hat Trabold viel Glück im Leben. Seit 1992 ist sie am Leibniz Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, seit 1994 ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. "Es gibt gar keinen besseren Job als diesen", erklärt Trabold, warum sie nie mehr ihre Arbeitsstelle gewechselt hat: "Das ist weltweit die einzige Forschungseinrichtung, die sich mit der Dokumentation und der Erforschung der deutschen Sprache befasst." Und in der Öffentlichkeitsarbeit könne sie ihre Kenntnisse als politisch erfahrener Mensch und Sprachwissenschaftlerin optimal einsetzen.
"Ein Leben in der Demokratie wäre ohne Sprache nicht möglich", schwärmt Trabold von ihrer Arbeit. Sie selbst hat Germanistik, Politik und Psychologie studiert und in Sprachwissenschaft promoviert. Vor allem schätzt sie die Lebendigkeit der Sprache. Ein Beispiel sind für sie die neuen Wortschöpfungen, die in der Corona-Krise entstanden sind: "Öffnungsdiskussionsorgie ist doch ein schönes Beispiel für die deutsche Wortbildung und die Politik", sagt Trabold. Gut gefallen haben ihr auch die Begriffe "Hybridsitzung", "postcoronal" und vor allem "Schnutenpulli" als Synonym für den Mund-Nasen-Schutz. Ein großes Zukunftsprojekt steht in ihrem Institut demnächst an. "2027 wollen wir das Forum Deutsche Sprache eröffnen", berichtet Trabold. Die Stadt Mannheim stelle das Gelände zur Verfügung, die Klaus-Tschira-Stiftung werde das Gebäude finanzieren und das Institut liefere das inhaltliche Knowhow. "Das wird eine Mischung aus Museum und Sprachhaus", schwärmt Trabold. Unter anderem könnten die Besucher dort ihren eigenen Dialekt als Sprachspende abgeben.
Reflexe überwinden, nur nicht unüberlegt handeln, das hat Trabold beim Fechten gelernt. Seit ihrer Schulzeit frönt sie diesem Sport, noch immer geht sie in Nicht-Corona-Zeiten jeden Dienstag ins Training. "Das ist ein Hobby, leistungsmäßig habe ich das nie gemacht", sagt Trabold. Vielleicht habe das mit frustrierenden Erfahrungen in der Schulzeit zu tun, denn schon in der zweiten Runde der Schulmeisterschaften warteten immer gleich die Cracks aus der Fechthochburg Tauberbischofsheim als Gegner. "Da habe ich immer verloren. Das hat keinen Spaß gemacht." Als Freizeitbeschäftigung ist ihr dieser Sport aber bis heute heilig. "Weil das Training immer dienstags ist, war der Bauausschuss der einzige, in dem ich nie Mitglied war."
In der Kommunalpolitik mischt sich Trabold nur noch selten ein. Und nur, wenn es ihr sehr wichtig ist. So hätte sie in jüngster Zeit gerne verhindert, dass Felix Wächter als Architekt für die Stadthallensanierung genommen wird. Bei der Theatersanierung habe er einfach zu viele Fehler gemacht und dem historischen Saal die Seele genommen, ist Trabold überzeugt. Ansonsten kommentiert sie das lokale Geschehen am liebsten in der "Spaßfraktion", im Kreis ehemaliger Stadträtinnen und Stadträte. "Dann essen und trinken wir etwas und diskutieren, wie wir im Gemeinderat alles besser machen würden", sagt Trabold: "Und lachen uns dabei über uns selbst schlapp." Sie freut sich schon, wenn diese Treffen wieder möglich sind. Ganz analog. Ohne Corona.