Castor-Transport verlief fast ohne Störungen (Update)
Erstmals seit Jahren gab es wieder einen größeren Rücktransport von Atommüll in Castoren nach Deutschland.

Von Oliver Pietschmann und Carsten Blaue
Biblis. Bilder von gewaltsamen Auseinandersetzungen, angeketteten Aktivisten und einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Atomkraftgegnern und Einsatzkräften wie einst in Gorleben blieben diesmal aus. Fast ohne Zwischenfälle ist der seit neun Jahren erste Transport von hoch radioaktivem Atommüll durch Deutschland vom Hafen Nordenham in Niedersachsen aus am Mittwochmorgen im südhessischen Biblis eingetroffen.
Um 10.10 Uhr habe sich das Tor des Geländes des früheren Kernkraftwerks hinter dem 600 Meter langen Zug geschlossen, sagte der Sprecher des für den Transport zuständigen Unternehmens, der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), Michael Köbl. Hier sollen die sechs Behälter bei aller Kritik nun bleiben, bis es ein Endlager für die noch Generationen strahlende Altlast deutschen Atomstroms gibt.

Ein Zug, bewacht von mehr als 11.000 Beamten der Bundespolizei, der Landespolizeien aus Hessen und Niedersachsen sowie Verstärkung aus anderen Bundesländern – inmitten der Corona-Pandemie. Im Gepäck der Einsatzkräfte ihr gesamtes Arsenal – Hubschrauber, Pferde und nach Angaben der Bundespolizei erstmals auch Drohnen zur Überwachung aus der Luft. Auch in Biblis stand schon am Morgen ein Großaufgebot, um den Zug mit seiner brisanten Fracht zu sichern. Ihnen gegenüber versuchten knapp zwei Dutzend Aktivisten einen lauten Protest.
Wo sich früher zum Abschluss solcher Transporte Scharen von Gegnern versammelten, kam bei diesem letzten Transport ins südhessische Biblis gerade mal eine Handvoll um den Sprecher des Bündnisses "Castor-stoppen", Herbert Würth. Statt Gewalt war der Umgang freundlich – den Polizisten boten die Gegner sogar die Nutzung ihrer Toiletten an. Verbale Attacken und Handgreiflichkeiten blieben aus. Doch warum war die Mobilisierung so gering? Wegen Corona, dem Atomausstieg oder weil Aktivisten anderenorts wie bei den Rodungen für den Weiterbau der A 49 in Hessen unterwegs sind? Für die Aktivisten in Biblis war das Virus dafür verantwortlich. "Corona ist nicht alle Tage. Wir kommen wieder – keine Frage", so die Protestler von "Castor-stoppen". Gemessen an der Pandemie-Lage, seien die erwarteten Teilnehmerzahlen erreicht worden.
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Hintergrund
> Castoren sind spezielle Behälter für radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken. In diesen Behältern kann der Atommüll gelagert oder transportiert werden. Castor wird aus dem Englischen abgekürzt und bedeutet übersetzt "Behälter/Tonne zur Lagerung
> Castoren sind spezielle Behälter für radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken. In diesen Behältern kann der Atommüll gelagert oder transportiert werden. Castor wird aus dem Englischen abgekürzt und bedeutet übersetzt "Behälter/Tonne zur Lagerung und zum Transport von radioaktivem Material". Für den Transport vom englischen Sellafield nach Biblis wurden der Gesellschaft für Nuklear-Service zufolge Castoren vom Typ HAW28M benutzt. Radioaktive Abfälle werden zu einem Glasprodukt verarbeitet und in Edelstahlbehälter eingeschlossen. Ein Castor kann jeweils 28 dieser Behälter aufnehmen und wiegt dann weit über 100 Tonnen. dpa
Auf der Hunderte Kilometer langen Strecke gab es vereinzelt Mahnwachen. Fünf Gegnern gelang es am Mittwoch noch, vorübergehend das Gleis vom Bahnhof her in Richtung des abgeschalteten Kraftwerks von Biblis zu blockieren. Sie wurden nach Angaben der Polizei schließlich davongetragen. Gegen einen werde wegen Widerstandes ermittelt. Das war dann doch etwas mehr als der von Würth angekündigte zivile Ungehorsam als "höchste Proteststufe". Einfluss auf den umstrittenen Transport hatte das aber nicht mehr. "Der ganze Transport ist völlig im Zeitrahmen geblieben", sagte Köbl.
"Der Inhalt ist hochgefährlich, den sollte man nicht spazieren fahren", sagte der Mitorganisator der Proteste, Georg Dombrowe. Man hätte ihn in Sellafield stehen lassen sollen, sagte er mit Blick auf die Suche nach einem Endlager. Ihn nach Biblis zu bringen, wo die Behälter nicht repariert werden könnten, sei "Unfug". Die Castoren waren vergangene Woche von der Wiederaufbereitungsanlage im britischen Sellafield über den Hafen von Barrow-In-Furness gestartet.
Kritikpunkte an dem im Frühjahr verschobenen Transport waren neben dem Einsatz Tausender Beamter in einer Phase steigender Corona-Infektionen vor allem das Zwischenlager an dem Alt-Kraftwerk in Südhessen. Umweltschützer wie Greenpeace oder der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) bemängeln die fehlenden Möglichkeiten, Castoren (siehe auch Grafik links und "Hintergrund") bei Undichtigkeiten reparieren zu können. Die Kritik wies der Sprecher der zuständigen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), Burghard Rosen, am Mittwoch zurück. "Wir haben für alle erdenklichen Szenarien ein Reparaturkonzept."
Nach Angaben der Bundesregierung muss Deutschland aufgrund internationaler Verpflichtungen seinen im Ausland aufbereiteten Atommüll zurücknehmen – aus der britischen Anlage Sellafield wie aus der französischen Anlage La Hague. "Mit dem Rücktransport von sechs Castorbehältern mit hoch radioaktiven verglasten Abfällen aus der Wiederaufarbeitung ins Zwischenlager Biblis rückt das Ende derartiger Transporte näher", sagte der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König. In Biblis lagern nun 108 Castoren, drei weitere Transporte folgen in den kommenden Jahren noch in andere Zwischenlager, darunter nach Philippsburg wohl Ende 2021.
Die beteiligten Polizeien werteten den Einsatz und das Hygienekonzept angesichts der Pandemie als vollen Erfolg, und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) war voll des Lobes: "Auf unsere Polizei ist Verlass."
Update: Mittwoch, 4. November 2020, 20.11 Uhr
Biblis. (dpa) Der Castor-Transport mit deutschem Atommüll aus der britischen Atomanlage Sellafield ist auf dem Kraftwerksgelände im südhessischen Biblis angekommen. Der Zug erreichte am Mittwochvormittag um kurz nach 10 Uhr seinen Zielort. Nun sollen die Behälter abgeladen und in das Zwischenlager auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks im Kreis Bergstraße gebracht werden. Auf dem Weg von Bahnhof Biblis zum Kraftwerksgelände besetzten nach Polizeiangaben fünf Protestierende kurzzeitig das Gleis, die Aktion sei friedlich aufgelöst worden.
Der 600 Meter lange Zug mit sechs Castoren war am Dienstagabend im niedersächsischen Hafen Nordenham losgefahren. Auf der Strecke hatte es nach Polizeiangaben weder in Hessen noch in Niedersachsen Störungen gegeben. Die Castor-Transporte waren in der Vergangenheit oft von großen Protesten mit Blockaden der Gleise begleitet gewesen.
Update: Mittwoch, 4. November 2020, 10.53 Uhr
Castor-Transport in Biblis eingetroffen
Biblis. (dpa) Der Castor-Transport mit deutschem Atommüll aus der britischen Atomanlage Sellafield ist in Biblis (Kreis Bergstraße) eingetroffen. Der Zug erreichte am Mittwochmorgen gegen 8 Uhr den Bahnhof Biblis. Etwa zwei Dutzend Aktivisten demonstrierten im Umfeld des Bahnhofs. Der 600 Meter lange Zug mit sechs Castoren ist seit 0.50 Uhr in Hessen unterwegs.
Auf der Strecke hatte es nach Polizeiangaben weder in Hessen noch in Niedersachsen Störungen gegeben. Der Zug hatte am Dienstagabend den niedersächsischen Hafen Nordenham verlassen. Entlang der möglichen Strecken waren Proteste angekündigt. Die Castor-Transporte waren in der Vergangenheit oft von großen Protesten mit Blockaden der Gleise begleitet gewesen.
Update: Mittwoch, 4. November 2020, 08.26 Uhr
Castortransport passiert Ländergrenze zu Hessen
Nordenham. (dpa) Der Castor-Zug mit Atommüll aus der britischen Atomanlage Sellafield wird an diesem Mittwoch in Biblis erwartet. Am Dienstagabend hatte der 600 Meter langen Zug mit sechs Castoren gegen 19.40 Uhr den niedersächsischen Hafen Nordenham verlassen. In der Nacht passierte er gegen 00.50 Uhr dann die Ländergrenze zu Hessen. Der Zug soll in ein Zwischenlager an dem stillgelegten Kernkraftwerk im hessischen Biblis rollen.
Atomkraftgegner hatten Proteste entlang der möglichen Fahrtstrecken nach Süden angekündigt. Die Bundespolizei sicherte deshalb nach eigenen Angaben mehrere Bahnstrecken in Niedersachsen und Hessen, aber auch in Bremen und Nordrhein-Westfalen. Die Route führte dann aber doch ohne einen Umweg über Nordrhein-Westfalen in den Süden.
Die Protestaktionen verliefen laut Polizei friedlich. "Es gab keine Störungen während der Schiffsankunft, der Verladephase und während des Transportes", teilte die Polizei in Oldenburg mit. Lediglich drei Verstöße gegen die Corona Regeln wurden festgestellt, weil kein Mund-Nasen-Schutz getragen wurde. Außerdem hatten Unbekannte im Bereich Nordenham unerlaubt eine Drohne steigen lassen.
Die Castor-Transporte waren in Vergangenheit oft von großen Protesten mit Blockaden der Gleise begleitet gewesen. An dem Transport des gefährlichen Materials gibt es viel Kritik. Umweltschützer sehen Mängel am Zwischenlager Biblis und Sicherheitsdefizite bei den Castor-Behältern. Die für die Lagerung des hoch radioaktiven Atommülls zuständige Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) weist diese Bedenken zurück.
Das Bündnis "Castor stoppen" kündete Kundgebungen in Biblis unter Einhaltung der Corona-Regeln an. Unabhängig vom Fahrplan des Zuges sollte es am Nachmittag eine Demonstration geben.
Für Deutschland ist es der erste große Rücktransport von Atommüll in Castoren seit neun Jahren. Nach Angaben der Bundesregierung muss Deutschland aufgrund internationaler Verpflichtungen seinen im Ausland aufbereiteten Atommüll zurücknehmen - aus Sellafield wie aus der französischen Anlage La Hague.
Kritik an dem Transport hatte es auch angesichts der Corona-Epidemie und einer möglichen Gefährdung der eingesetzten Polizeibeamten gegeben. Die Polizei verwies auf ein umfassendes Hygienekonzept, die Gesundheit aller Beteiligten genieße höchste Priorität.
Update: Mittwoch, 4. November 2020, 08.01 Uhr
Doch noch Platz für die Castor-Gegner in Biblis
Von Friedemann Kohler und Carsten Blaue
Nordenham/Biblis. Der erste Castor-Transport seit neun Jahren mit deutschem Atommüll aus dem Ausland ist in Norddeutschland am Montagmorgen angekommen. Das seit mehreren Tagen erwartete Spezialschiff "Pacific Grebe" aus Großbritannien machte im Hafen von Nordenham an der Wesermündung fest. Das teilte die Polizei mit. Von dort sollen die sechs Castor-Behälter mit der Bahn ins Zwischenlager nach Biblis gebracht werden. Auch hier wollen Atomkraftgegner gegen den Transport und die Einlagerung demonstrieren.

Doch am Montagnachmittag gab es in der südhessischen Stadt erst mal Streit um den Platz für die Mahnwache. Diese sollte auf der Westseite des Bahnhofs auf einem Parkplatz und einer Wiese eingerichtet werden. "Das hatte man uns zugesagt", so der Sprecher des Bündnisses "Castor-stoppen", Herbert Würth, auf RNZ-Anfrage am Telefon. "Aber hier ist nichts für uns abgesperrt."
Die Bundespolizei hatte in diesem Bereich schon am Sonntag mit Mannschaftswagen Stellung bezogen: "Die Fläche ist für uns und die Polizei zusammen viel zu klein", echauffierte sich Würth. "Das ist ein großes Ärgernis." Er und seine rund 20 Mitstreiter müssten jetzt erst mal um ihren Platz kämpfen. Genehmigt hat die Ordnungsbehörde hingegen die Demonstration der Aktivisten. Am Dienstagvormittag wollen sie durch die Straßen von Biblis ziehen. Dann etwa rechnete Würth auch mit der Ankunft des Transports am Bahnhof. "Castor-stoppen" schätzte, dass sich der Zug mit dem hoch radioaktiven Müll gegen Mitternacht in Nordenham auf den Weg quer durch Deutschland macht.
Eine Polizeisprecherin sagte dagegen, dass im Laufe des Montags nicht mehr alle Castoren auf den Zug umgeladen werden könnten. Das werde sich bis Dienstag hinziehen. Zur genauen Abfahrts- und Ankunftszeit des Zuges äußerte sie sich also ebenso wenig wie die Transportfirma, die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS). Bekannt wurde lediglich, dass bis Montagabend drei der sechs Behälter vom Schiff auf die bereit gestellten Waggons versetzt worden waren. Und dass die Außenstrahlung der Castorbehälter beim Umsetzen noch einmal gemessen wurde. Bei der letzten Messung in Sellafield habe der Wert laut GNS ein Viertel des erlaubten Grenzwertes betragen.
Auf der Fahrt durch die Nordsee wurde die "Pacific Grebe" von der Bundespolizei eskortiert. In der Zwölfmeilenzone vor der Küste übernahm die niedersächsische Polizei. Vor dem abgeriegelten Hafengelände halte noch eine Handvoll Atomkraftgegner eine Dauermahnwache, sagte eine Polizeisprecherin. "Die Lage ist ruhig". Die Aktivisten kritisieren den Transport des immer noch strahlenden Materials. Sie haben nicht nur in Nordenham eine Dauermahnwache. Auch entlang der möglichen Fahrtstrecken nach Südhessen, welche die zuständige Bundespolizei auch mit Hubschraubern gesichert hat, riefen verschiedene Anti-Atomgruppen zu Kundgebungen auf. Sie halten das Zwischenlager in Biblis für unsicher und die Castoren selbst nicht für lange genug haltbar. Die Behälter seien einfach nicht geeignet, sie jahrzehntelang zwischenzulagern, bis die Frage nach einem Endlager gelöst sei, sagte Würth.
Außerdem kritisierten die Atomkraftgegner den Transport vor dem Hintergrund von Corona. Unterstützt wurden sie hier vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Dessen Vorsitzender Olaf Bandt sprach von einer fahrlässigen und unverantwortlichen Gefährdung von Menschenleben. Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte bis zuletzt einen Stopp des Transports gefordert. Der Einsatz Tausender Polizisten sei angesichts der Pandemie unnötig, riskant und unverhältnismäßig. Auf der anderen Seite treffen Corona und der Lockdown auch die Demonstranten, die angesichts der neuen Verordnungen Einschränkungen für ihren Aktionsradius und die Versammlungsfreiheit fürchten. Zumal der Gesamteinsatzleiter, Oldenburgs Polizeivizepräsident Andres Sagehorn, betonte: "Die Gesundheit aller Beteiligten genießt höchste Priorität." Dies gelte für die Polizeikräfte und für die Aktivisten gleichermaßen.
Also auch für Herbert Würth. Seine Stimmungslage bezeichnete er am Montagnachmittag als "ganz okay". Denn schließlich bekam die Mahnwache doch noch ihren Platz.