Ortsumgehung Hirschberg

Von Über- und Unterführungen und vielen Gutachten

RNZ-Gespräch mit Jürgen Glökler (GLH), Peter Johe (FW) und Martin Stöhrer (CDU) über die Geschichte der Ortsumgehung

25.08.2020 UPDATE: 26.08.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 33 Sekunden
Auch mit Schildern machten die Grünen auf ihr Anliegen 2003 aufmerksam.

Von Annette Steininger

Hirschberg-Großsachsen. Sie haben es nicht verlernt – das Debattieren und Diskutieren. Im lauschigen Innenhof des Hotels Krone traf sich die RNZ mit den Altgemeinderäten Martin Stöhrer (CDU), Peter Johe (Freie Wähler) und Jürgen Glökler (Grüne Liste Hirschberg), um über das alte und jetzt wieder so aktuelle Thema "Ortsumgehung" zu sprechen. Denn kaum einer hat sich ausführlicher und länger damit befasst als diese Granden der Kommunalpolitik.

Zum Termin haben sie alle etwas mitgebracht, ganz ihrem Naturell entsprechend. Glökler (81) holt Fotos aus dem Jahr 2003 hervor: Damals hatte die Grüne Liste mit Flatterbändern abgesteckt, wie eine ortsnahe Umgehung unweit des Riedwegs verlaufen würde.

RNZ-Redakteurin Annette Steininger mit den Altgemeinderäten Peter Johe, Jürgen Glökler und Martin Stöhrer führte (im Uhrzeigersinn, von li. vorne). Fotos: privat/Dorn

Auch Fotos eines massiven Brückenbauwerks zieht er hervor, das zeigen soll, wie zwei Brücken mit 3,50 Metern Höhe und Dämme, "die nicht nur die Landschaft zerschneiden, sondern der Gewässerentwicklungsplan als Hochwasserschutz zwingend vorschreibt", über Apfel- und Äpfelbach aussehen würde. Kein Wunder, gehören doch die Grünen zu den entschiedenen Gegnern des Projekts. Damals – Glökler saß von 1984 bis 2004 im Gemeinderat – wie heute.

Peter Johe (80) dagegen wäre dafür, auch wenn ihm ein Autobahnanschluss Weinheim-Süd lieber gewesen wäre. "Aber es ist nicht damit zu rechnen", sagt er mit Blick auf den ablehnenden Brief aus dem Bundesverkehrsministerium, den SPD-Bundestagsabgeordneter Lothar Binding im Juni erhalten hat (die RNZ berichtete). Johe hat zum Termin Zahlen, Daten und Fakten zusammengetragen, von denen sich im Laufe der Jahre – der Freie Wähler gehörte von 1971 bis 1975 dem Großsachsener Gemeinderat an und von 1975 bis 2014 dem Hirschberger –, doch einiges angesammelt hat.

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Erinnerungen reichen bis in die 1970er und 1980er Jahre zurück

Wie Johe ist auch Stöhrer Befürworter einer Ortsumgehung, sofern Weinheim-Süd nicht möglich ist. Aus seiner Zeit als Gemeinderat – 1968 bis 1975 in Großsachsen und 1975 bis 2006 in Hirschberg – hat der 86-Jährige einige Anekdoten im Gepäck. Zum Beispiel, dass er bei einer Versammlung mit Weinheimer Stadträten in den 1970er Jahren dabei war, in der er erfuhr, dass schon mal eine Ortsumgehung geplant war. Damals spielte man mit dem Gedanken, von Weinheim-West aus parallel zur heutigen B 3 zu bauen. "Das ist aber nicht weiterverfolgt worden", erinnert sich Stöhrer.

Hintergrund

> Die Geschichte der Ortsumgehung reicht Jahrzehnte zurück. Die Gemeinde hat der RNZ Unterlagen von Ratssitzungen zusammengestellt, die bis 1988 zurückreichen. Ein Überblick:

18. Oktober 1988: Untersuchung zur Verbesserung des Verkehrsverhältnisses auf der B 3 in

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> Die Geschichte der Ortsumgehung reicht Jahrzehnte zurück. Die Gemeinde hat der RNZ Unterlagen von Ratssitzungen zusammengestellt, die bis 1988 zurückreichen. Ein Überblick:

18. Oktober 1988: Untersuchung zur Verbesserung des Verkehrsverhältnisses auf der B 3 in der Ortsdurchfahrt Großsachsen durch das Ingenieurbüro Koehler-Leutwein.

18. Oktober 1994: Vortrag von Dr. Koehler (Ingenieurbüro) über die Untersuchungen von 1986 und 1988 sowie über die aktuelle Verkehrssituation in der Ortsdurchfahrt von Großsachsen.

22. November 1994: Beauftragung eines Gutachtens für die Ortsdurchfahrt/ Angebot des Ingenieurbüros Koehler, Leutwein und Partner.

26. März 1996: Vorlage der Verkehrsuntersuchung für die Ortsdurchfahrt.

15. Mai 2001: Vortrag und Diskussion mit dem Leiter des Straßenbauamts Heidelberg, Herrn Simm, und Dr. Koehler vom Ingenieurbüro zur Ortsdurchfahrt von Großsachsen.

26. Juni 2001: Beauftragung von Gutachten zur Ortsdurchfahrt von Großsachsen mit Untersuchung Neubau einer Ortsentlastungsstraße und Aufweitung der Ortsdurchfahrt.

16. Oktober 2001: Bericht des Ingenieurbüros Koehler, Leutwein und Partner über das Gutachten.

26. Februar 2002: Beauftragung eines Gutachtens zur Südumgehung.

30. Oktober 2002: Bericht des Ingenieurbüros Koehler, Leutwein und Partner über das Gutachten zur Südumgehung.

23. Juli 2003: Bericht zur Verkehrsuntersuchung der Ortsdurchfahrt in Großsachsen durch das Ingenieurbüro Koehler, Leutwein und Partner.

23. September 2003: Der Gemeinderat spricht sich mehrheitlich für die Westumgehung als ortsferne Variante aus. Die Verwaltung wird beauftragt, die Planung mit den zuständigen Behörden abzuklären und die erforderlichen Anträge zur Aufnahme in die Zuschussprogramme zu stellen.

23. November 2004: Dr. Koehler (Ingenieurbüro) stellt verschiedene Varianten zur Querung der Ortsrandstraße vor. Das Straßenbauamt forderte diesbezüglich eine Detailplanung.

31. Mai 2005: Ein Bürgerantrag, der sich gegen den Beschluss des Gemeinderats vom 23. September 2003 richtet, wird für nicht zulässig erklärt.

20. Dezember 2005: Bürgermeister Werner Oeldorf erläutert Ergänzungen zur Ortsranderschließungsstraße, die das Regierungspräsidium gefordert hat.

26. April 2006: Der Gemeinderat genehmigt überplanmäßige Ausgaben und vergibt die Vorplanung für die Ortsrandstraße an das Ingenieurbüro Willaredt (Kosten: rund 86.000 Euro).

21. November 2006: Bürgermeister Werner Oeldorf stellt den Planentwurf für die Ortsrandstraße vor.

30. Januar 2007: Der Gemeinderat stimmt der Unterführung des Landgrabens und dadurch entstehenden zusätzlichen Planungskosten zu.

22. Mai 2007: Überplanmäßigen Ausgaben wegen der Planungsänderung zur Unterführung des Landgrabens stimmt der Gemeinderat zu.

26. Mai 2020: Die Fraktionen von CDU, FW, FDP und SPD beantragen am 3. März 2020, dass die Verwaltung mit dem Verkehrsministerium des Landes und dem Regierungspräsidium Karlsruhe in Kontakt tritt, um eine zeitnahe Realisierung einer Ortsumgehung von Großsachsen zu erarbeiten und dem Gemeinderat vorzulegen. Der entsprechende Beschluss erfolgt am 26. Mai. Auch die Bestrebungen für einen Autobahnanschluss Weinheim-Süd sollen fortgesetzt werden. ans

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Johe weiß nicht mehr genau, wann er erstmals von dem Thema gehört hat. Aber er weiß noch, dass es 1985 eine Untersuchung zur Verkehrsbelastung durch das Ingenieurbüro Koehler, Leutwein und Partner gab. Dabei sei es aber vielmehr um verkehrsberuhigende Maßnahmen in beiden Ortsteilen gegangen, weniger um die Ortsumgehung. Für diese sollte es eine gesonderte Untersuchung geben. Diese forderte auch das Straßenbauamt Heidelberg im Mai 1985 ein.

Ein weiteres Gutachten von 1996 hat Johe ebenfalls gefunden: eine Untersuchung der Ortsdurchfahrt in Großsachsen. "Das waren aber alles Maßnahmen, die heute weitestgehend verwirklicht sind – wie die Ampelschaltungen." Und ein weiteres Gutachten von 2001 hat der Altgemeinderat ausfindig gemacht: "Untersuchung Ortsentlastungsstraße West und Aufweitung des Querschnitts der B 3." Letztes bezog sich auf Überlegungen, die Häuser auf der einen Seite abzureißen. So hätte man eventuell "eine gescheite Abbiegespur" in die Breitgasse schaffen können.

Das nächste Gutachten ließ nicht lange auf sich warten: 2002 war die "Machbarkeit einer Südumgehung" ein Thema. "Das hätte unsere Gemarkung zerschnitten", erinnert sich Glökler. Eine solche Straße wäre südlich von Großsachsen verlaufen, um den Odenwaldverkehr aus der Breitgasse und der B 3 zu bekommen. "Das ist ja auch nicht weiter verfolgt worden", ergänzt Johe. "Es gab ja auch mal Überlegungen, eine Südumgehung als Tunnel zu bauen", weiß Stöhrer noch. "Dann wäre aber der Reitplatz futsch gewesen", ergänzt Johe.

Schon ein Jahr später, 2003, folgte die nächste Verkehrsuntersuchung, die alle Varianten ausführlich beleuchtet wie eine Westumgehung (über die heute meistens gesprochen wird) und die Südumgehung sowie die Kombination aus beiden. Auch verschiedene Anbindungen wurden präsentiert. Das Ingenieurbüro Koehler, Leutwein und Partner rechnete damals mit einer Entlastung der B 3 um 4900 bis 5600 Fahrzeuge täglich durch den Bau einer Westumgehung, wodurch auf der Bundesstraße noch 12.500 bis 15.700 verbleiben würden.

Mit Bändern hat die GLH 2003 deutlich gemacht, wo eine ortsnahe Umgehung verlaufen würde, unweit des Marktplatzes. Aber diese Variante war schnell vom Tisch. Auch darum ging es beim Gespräch, das RNZ-Redakteurin Annette Steininger mit den Altgemeinderäten Peter Johe, Jürgen Glökler und Martin Stöhrer führte (im Uhrzeigersinn, von li. vorne). Fotos: privat/Dorn

"Wir hatten ja alles an Modellen und Plänen", blickt Stöhrer auf seine Gemeinderatszeit zurück. An Unter- und Überführungen kann er sich erinnern. Aber alle Drei sagen auch, dass immer Gutachten im Vordergrund standen und keine Grundsatzbeschlüsse gefasst wurden.

Glökler weiß noch, dass sich die Grüne Liste Hirschberg bereits bei ihrer Gründung 1980 "neben dem Ortsbild und anderen Themen auch sofort mit verkehrsberuhigenden Maßnahmen auseinandergesetzt hat". Das Motto der GLH damals: "Mobil ohne Auto." Sie hätten sich Gedanken gemacht, wie man das Verkehrsaufkommen in Großsachsen, das schon zu dieser Zeit groß gewesen sei, reduzieren kann. Auch die Ortsumgehung sei Thema gewesen. "Das weiß ich daher, weil wir 1984 zwei Zeitungen im Rahmen der Gemeinderatswahl gemacht haben", erzählt Glökler. Darin ging es auch um Verkehrsberuhigung. "Wir haben gesagt, dass man die Stadt Weinheim in die Pflicht nehmen müsste, ihren Verkehr zu reduzieren." Bis heute sei nicht genügend Druck auf die Nachbarkommune ausgeübt worden.

"Zähneknirschend" hätte die GLH dann gesagt: "Irgendwie müssen wir den Weinheimer Verkehr hier rauskriegen, also befürworten wir einen Autobahnanschluss Weinheim-Süd, der damals auch schon im Gespräch war", erinnert sich Glökler. Die CDU war 1984 auch dafür, sodass die SPD, die lange Zeit die einzige Befürworterin einer Ortsumgehungsstraße gewesen sei, von einer "schwarz-grünen Koalition" gesprochen habe. "Soweit ich weiß, gab und gibt es keinen im Gemeinderat, der einen Autobahnanschluss Weinheim-Süd abgelehnt hätte, aber es ist aufgrund der Klassifizierung der A 5 einfach nicht damit zu rechnen", sagt Johe.

Er erinnert sich: "In den 1970er Jahren bin ich mit Wolfgang Daffinger (damals Bürgermeister-Stellvertreter in Weinheim und späterer langjähriger SPD-Landtagsabgeordneter) auf der Waid rumgerannt und habe auf ihn eingeredet, dass man einen Autobahnanschluss Weinheim-Süd machen sollte, was auch den Verkehrsverhältnissen in der Zweiburgenstadt zugutekommen würde. Mehr als Verständnis gab es nicht."

Glökler findet aber, dass man weiter kämpfen sollte für den Autobahnanschluss und nennt Sinsheim mit mehreren Ausfahrten. "Wir sind doch hier ein Ballungsgebiet." Landau, in ähnlicher Größe wie Weinheim, habe auch drei Autobahnanschlüsse, die insgesamt vielleicht vier Kilometer auseinanderliegen würden, ergänzt Stöhrer. Mindestens 30 bis 35 Prozent der Weinheimer würden heute den Autobahnanschluss in Großsachsen nutzen, sieht er die Zweiburgenstadt in der Pflicht.

"Weinheim wäre eigentlich in der Pflicht"

Letztlich sind sich in diesem Punkt alle einig, auch wenn Glökler am allerliebsten sehen würde, dass die Zahl der Autos auf der Straße reduziert wird und mehr Angebote im Bereich Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) geschaffen werden. "Neben dem Zehn-Minuten-Takt der OEG müsste es einen Bus nach Oberflockenbach mit einem 20-Minuten-Takt geben, um die Breitgasse zu entlasten", findet der Grüne.

Gemein haben alle Drei, dass sie sich nicht erinnern können, einmal einen ablehnenden Beschluss zur Aufnahme einer Ortsrandstraße in den Bundesverkehrswegeplan erlebt zu haben. Davon ist immer mal wieder die Rede. So hätten die Landwirte damals interveniert, weil sie keine Zerschneidung ihrer Flächen durch eine Straße haben wollten.

Wie es nun mit der unendlichen Geschichte der Ortsumgehung weitergeht, hängt auch vom Ausgang der Gespräche von Bürgermeister Ralf Gänshirt mit dem Regierungspräsidium ab. Hiermit hatte ihn die Mehrheit des Gemeinderats beauftragt, um eventuelle Fördermöglichkeiten auszuloten.

Die drei junggeblieben Altgemeinderäte werden das Ergebnis sicher gespannt verfolgen.

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