Plus Heidelberg im Weltkrieg

Das "Bombenloch" blieb noch Jahrzehnte

Gänzlich ohne Zerstörungen kam Heidelberg im Zweiten Weltkrieg nicht davon. Im Zoo löste ein Angriff ein Inferno aus.

19.08.2020 UPDATE: 20.08.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 21 Sekunden
Mitten in Bergheim, an der Ecke Mittermaierstraße / Alte Eppelheimer Straße, schlug am Morgen des 19. März 1945 eine Bombe ein. Bald darauf machte der Wirt der Gaststätte „Zum Kronprinzen“ dieses Foto. Seine Kneipe in dem Eckhaus lag in Schutt und Asche. Foto: Wilhelm Köhnlein

Von Julia Lauer

Heidelberg. "Das ist nun Heidelberg, und es ist wirklich schön dort im Frühling", schrieb der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht in den neunziger Jahren in seinem Roman "Faserland". Alles sei so schön grün, die Menschen säßen in der Sonne an den Neckarauen, erzählt Krachts Protagonist. Und er stellt fest: "So könnte Deutschland sein, wenn es keinen Krieg gegeben hätte."

Es stimmt ja: Im Heidelberger Stadtbild hat der Zweite Weltkrieg kaum Spuren hinterlassen. Im Unterschied zu vielen anderen Städten wurde Heidelberg nicht in Schutt und Asche gelegt. Über die Gründe, warum das so ist, wird immer wieder diskutiert. Und besonders die Frage, ob die Amerikaner über der Stadt Flugblätter abwarfen mit der Aufschrift "Heidelberg wollen wir schonen, denn dort wollen wir wohnen" polarisiert. Viele Zeitzeugen berichten davon, einen historisch-wissenschaftlichen Beleg aber gibt es (noch) nicht.

Was aber sicher ist: Auch Heidelberg blieb von Luftangriffen nicht völlig verschont. Die RNZ gibt einen Überblick über die Schäden, die der Krieg in dieser Stadt angerichtet hat.

Wie viele Gebäude wurden zerstört? Es bleibt dabei: Heidelberg kam glimpflich davon. Was heißt das in Zahlen? Der Historiker Erich Keyser schrieb im Badischen Städtebuch, das 1959 erschien: "Im Zweiten Weltkrieg wurden (durch die Deutschen vor Einzug der Amerikaner) vier Neckarbrücken und zwei Stauwehre mehr oder minder zerstört, durch Fliegerangriffe hatten 200 Gebäude leichten, 80 mittleren, 32 schweren, 13 Totalschaden."

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Wie viele Bomben trafen Heidelberg? Eine abschließende Antwort darauf, wie viele Bomben über Heidelberg abgeworfen wurden, können weder der Geschichtsverein noch das Stadtarchiv geben. "Allerdings kann Stadtarchivar Günther Berger mindestens 70 Bombenabwürfe und Jagdfliegerattacken an 22 Tagen im Stadtgebiet nachweisen", schrieb die RNZ vor 15 Jahren, als sie sich mit dieser Frage befasste. Auch in den Nachkriegsjahren wurden in Heidelberg noch Bomben gefunden, und zwar 16, wie der Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes nun auf Anfrage der RNZ mitteilt: "Es handelte sich bei den Fundobjekten hauptsächlich um amerikanische Sprengbomben mit einem Gesamtgewicht zwischen 50 und 500 Kilogramm", heißt es aus Stuttgart. Die meisten Bomben wurden demnach im Gleis- und Bahnhofsbereich geborgen.

Wann fielen die Bomben? Am Karfreitag des Jahres 1945 marschierten die Amerikaner in Heidelberg ein, es war der 30. März. Damit endete der Krieg für Heidelberg ein paar Wochen, bevor Hitler-Deutschland Anfang Mai kapitulierte. Vor allem zum Kriegsende hin wurde die Stadt aus der Luft angegriffen. 1944 und auch 1945 bis kurz vor Karfreitag sorgten Jagdbomber mit schweren Angriffen in der Stadt für Leid, Tod und Zerstörung. Das waren jedoch nicht die ersten Bomben, die über Heidelberg abgeworfen wurden: Die ersten Bomben hatten die Stadt bereits ein gutes Jahr nach Kriegsbeginn im Winter 1940/1941 getroffen.

Wo schlugen die Bomben ein? Für viele Bereiche im Stadtgebiet sind Bombeneinschläge belegt, etwa für das Gebiet rund um den Güterbahnhof, für den Pfaffengrund, für Neuenheim, Wieblingen, Bergheim und für die Weststadt. Obwohl die Altstadt weitgehend intakt blieb, wurde auch sie direkte Zeugin von Luftangriffen; so wurde dort beispielsweise das Haus in der Unteren Neckarstraße 54 von einer Bombe getroffen.

Was ist das "Bombenloch"? Kurz vor Kriegsende, am 19. März 1945, wurden zwei Häuser in Bergheim an der Ecke von Mittermaierstraße und Alter Eppelheimer Straße bombardiert. Es war ein Montagmorgen gegen 7.45 Uhr. "Niemand war gewarnt. Es waren zwar schon etliche Bewohner zur Arbeit gegangen, aber nicht alle", erinnerte sich die Überlebende Elfriede Schäfer, geborene Rühle, viele Jahre später in der RNZ. Bei dem Angriff war sie 13 Jahre alt. Sie war zufällig im Keller, als es plötzlich krachte. Die Mutter war fünf Stunden lang unter Trümmern verschüttet, bevor sie geborgen werden konnte, und auch die Geschwister des Mädchens überlebten. Doch nicht all ihre Nachbarn kamen mit dem Leben davon. An dieser Straßenecke wurden bei dem Luftangriff – es war einer der schwersten – 17 Menschen getötet. Vermutlich galt er eigentlich dem Güterbahnhof und den Gleisen der Reichsbahn. Die Verwüstung, die der Krieg an dieser Stelle hinterließ, ist bei vielen Heidelbergern als "Bombenloch" bekannt. Und die bei dem Angriff zerstörte Kneipe "Zum Kronprinzen", die danach in der Alten Eppelheimer Straße 46 weiterbetrieben wurde, wurde bald so genannt. Die Wunde im Stadtbild bestand lange fort. Erst 1981 wurde das Eckhaus neu gebaut.

Wie viele Menschen wurden getötet? Auch hierzu fehlen exakte Zahlen. So wurden etwa in den frühen Kriegsjahren Brandbomben über dem Güterbahnhof abgeworfen, die keine Menschenleben forderten. Doch allein in den letzten beiden Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner kostete der Krieg 72 Menschen in Heidelberg das Leben, wie die RNZ vor vielen Jahren berichtete. Dabei nahm sie Bezug auf das Sterbebuch des städtischen Standesamts. In dieses kurze Zeitfenster fällt etwa der Luftangriff, der das "Bombenloch" zurückließ. In derselben Nacht wurden weitere Menschen bei Bombenangriffen getötet: in der Weststadt und in Neuenheim.

Und die Tiere? "Die 96 Bomben, die am 22. März 1945 im Heidelberger Tiergarten niedergingen, trafen den Zoo ins Herz. Die Bomben zerstörten neben dem Fledermausturm und der größten Greifflugvoliere der Welt auch nahezu alle anderen Gehege. Nur wenige Tiere überlebten das Desaster", fasst der Heidelberger Zoo auf seiner Internetseite eine einzige Kriegsnacht zusammen. Getroffen werden sollte wohl die alte Eisenbahnbrücke, die den Neckar damals in unmittelbarer Nähe des Tiergartens querte. Die Wisente seien durch die Luft geschleudert worden, der Bison tot, schilderte der damalige Zooleiter in einem Brief. Er allerdings sprach von 47 Bomben, die den Zoo trafen. Auch die Zäune gingen kaputt, berichtete er – und essbare Tiere wie Enten und Gänse wurden gestohlen.

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