"Die Flugblätter sind wirklich gefallen"
Nach RNZ-Artikel vom Montag: Zeitzeugen berichten von Zettel-Regen in der Region in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges

Von Anica Edinger
Heidelberg. Am Pfaffengrunder Flugplatz, in der Rohrbacher Panoramastraße, in der Weststadt, in Nußloch und Schwetzingen: Die RNZ-Leserinnen und Leser sind sich einig, dass es Flugblätter mit der Aufschrift "Heidelberg werden wir schonen, denn da wollen wir wohnen" wirklich gab. Nach dem RNZ-Artikel "Es war wohl nichts als Zufall und Glück" zur Frage, weshalb Heidelberg im Zweiten Weltkrieg von Luftangriffen verschont blieb, stand das Telefon in der Redaktion am Montag nicht mehr still.
"Sie können mir glauben", meinte etwa Anneliese Schädler, "die Flugblätter sind wirklich gefallen." Mehr noch: "Es hat richtig Zettel geregnet." Und sie weiß auch noch genau, wo: "In der Hildastraße in der Weststadt." Dort ist die heute 90-Jährige geboren und aufgewachsen, "ich habe alles miterlebt, ich bin eine echte Heidelbergerin", sagt sie. Lange Zeit habe sie die Flugblätter auch aufgehoben und etwa Postkarten daraus gemacht – irgendwann sind sie beim Ausmisten im Müll gelandet. Sie schwört: "Es ist wirklich wahr."
Das sagt auch Rolf Kiefer. 1945 hat der heute 83-Jährige in Rohrbach gelebt. Als die Flugblätter fielen, war er acht Jahre alt. "Heidelberg wollen wir schonen, denn wir wollen selbst drin wohnen", war laut Kiefer der genau Wortlaut. Auch er habe die Flugblätter, die in seiner Erinnerung auf Höhe der Panoramastraße/Ecke Schulbuckel zu Boden gingen, mit nach Hause genommen. "Meine Mutter hat sie mir noch einmal vorgelesen und sich darüber gefreut", berichtet er. Doch bei den Kiefers landeten die Zettel letztlich im Papierkorb – wie offenbar bei vielen Heidelbergern.
Johanna Dittus aus dem Pfaffengrund erklärt das so: "Meine Mutter hat gesagt: ,Nichts wie fort mit diesen Zetteln. Das dürfen wir nicht.’" Sie hatte die Flugblätter auf dem ehemaligen US-Flugplatz im Pfaffengrund gefunden. Da sei sie neun Jahre alt gewesen. Zuhause habe damals ständige Angst geherrscht, dass der "Blockwart" wieder kommt, berichtet Dittus. Dabei handelte es sich um die rangniedrigsten Funktionäre der NSDAP, die für Privathaushalte zuständig waren. "Immer wenn er kam, haben wir das Radio im Speicher versteckt", erinnert sich Dittus. Bei den Flugblättern habe man das nicht gewagt – und sie direkt entsorgt.
Der genaue Wortlaut der Flugblätter variiert je nach Erzählung der oder des jeweiligen Zeitzeugen. So habe es laut Dittus auf den Zetteln geheißen: "Heidelberg wollen wir schonen, in Heidelberg wollen wir wohnen." Laut Marianne Zimmermann, die die Flugblätter laut eigener Aussage bei den Nußlocher Wiesen – unterhalb des heutigen Racket Centers – gefunden hat, stand darauf: "Heidelberg wollen wir schonen, wollen später drin wohnen." Sie sei elf Jahre alt gewesen, als sie den Abwurf der Blätter beobachtet habe. Die Wiese sei danach komplett weiß gewesen, erinnert sie sich. Nach dem RNZ-Artikel habe sie auch mit einer Freundin telefoniert – und auch die sei sicher, dass es die Flugblätter gab. Das beteuert auch die 71-jährige Sieglinde Sandritter, die es allerdings nur aus zweiter Hand weiß: "Meine Mutter hat es mir immer erzählt, dass es diese Flugblätter in Schwetzingen gab." Zu Gesicht bekommen habe sie diese selbst aber nie. "Irgendjemand muss es doch noch haben", findet Anneliese Schädler.
Nur: Offenbar hat es bisher tatsächlich kein einziges dieser Flugblätter je in ein Archiv geschafft. Deshalb ist es historisch nicht einwandfrei belegt, dass es sie tatsächlich gab. Wer also eines der Flugblätter noch hat, kann der Wissenschaft und der RNZ einen Dienst erweisen: Bitte melden Sie sich per E-Mail an aktion@rnz.de oder telefonisch unter 06221 / 519-5607.



