Familienzentrum weckt großes Interesse
Der Rettigheimer Kindergarten St. Nikolaus reagiert auf den Bedarf der Eltern - "Viele sind schon auf uns zugekommen"

Von Sebastian Lerche
Rettigheim. "Mich haben schon viele Fragen deswegen erreicht, die Leute sind neugierig", berichtet Bettina Paul. Die Elternbeiratsvorsitzende des Kindergartens St. Nikolaus in Rettigheim freut sich auf das Familienzentrum, zu dem sich der Kindergarten entwickeln will, und ist nicht die einzige. Auch Mühlhausens Gemeinderat hat das Vorhaben begrüßt.
Für Heidi Meyer, seit 20 Jahren Leiterin der Kindertagesstätte (Kita) und Initiatorin des Familienzentrums, ist es "ein Herzensprojekt". Sie und Kollegin Katharina Steinhauser gaben mit Bettina Paul im RNZ-Gespräch Auskunft über die anstehenden Aufgaben. Coronabedingt geht es langsamer voran als erhofft, statt schon im September wird man voraussichtlich erst im Oktober eröffnen.
Gegenwärtig ist die Kita zweigruppig, 50 Kinder über drei Jahre werden betreut, für eine Krippe fehlen die nötigen Räume – so wünschenswert sie wäre. Die Kita ist ganztags geöffnet, von 7.15 bis 17 Uhr. Das Team besteht aus drei Vollzeitkräften, sechs in Teilzeit, zwei Auszubildenden, einer Vertretungskraft und regelmäßig jungen Leuten, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren.
Die Kita betreut auch Kinder mit Behinderung, führt eine Sprachförderung nicht nur für Flüchtlingskinder durch und hat das "Marte Meo"-Zertifikat: Bei dieser Methode leisten Videoaufnahmen der Kinder wertvolle Unterstützung bei der Erziehung, machen Fortschritte oder Probleme anschaulich. "Marte Meo" ist auch elementar für das künftige Angebot des Familienzentrums. "Stärken fördern" ist der Schlüsselbegriff: Die Kita lege Wert auf einen "wohlwollenden Ansatz, mit dem wir das Potenzial der Kinder besser herausholen", so Meyer.
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Sie und ihr Team haben also Arbeit genug. Wieso dann noch zusätzlich das Familienzentrum? Der Bedarf hat sie zum Handeln bewegt. Familienstrukturen haben sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt. Meist sind beide Eltern berufstätig, doch die unterstützende Großfamilie, die im selben Ort wohnt, gehört der Vergangenheit an. Oma und Opa können nicht mehr mit ihrer Erfahrung beistehen oder mal eben auf die Kinder aufpassen. Wer nimmt sie dann? Vor dieser Frage steht beispielsweise auch Bettina Paul, die zwei fünf und neun Jahre alte Kinder hat: Auf der Suche nach Beratung nehme sie teils lange Fahrten auf sich, zum "Starke-Eltern-Treff" des Kinderschutzbunds in Wiesloch etwa.

Heidi Meyer beobachtet auch immer mehr Kinder mit auffälligem Verhalten oder Entwicklungsverzögerungen, die Eltern wie Erzieher stärker herausfordern. Hinzu kommen neue Fragestellungen der Eltern etwa zu Internetkonsum oder modernen Ernährungsideologien: "Die erste Anlaufstelle ist oft die Kita."
Und so betrachtet man die Fortentwicklung zum Familienzentrum als "logischen Schritt", so Steinhauser. Man hat sich darauf besonnen, dass "die Kinder sich am allerbesten entwickeln, wenn Erzieher und Eltern eng und gut kooperieren, als Partner." Am Familienzentrum "arbeiten wir seit 2017": Sehr zu Heidi Meyers Freude "ist das ganze Team bereit, sich darauf einzulassen".
Familienzentren sind "auch politisch gewollt" und werden von der Kirche gefördert, so Heidi Meyer. Für zwei Jahre ist die Finanzierung gesichert: 10.000 Euro pro Jahr gibt es vom Land, einmalig 10.000 sowie jährlich 7500 Euro von der Erzdiözese. Die Gemeinde Mühlhausen muss nichts beitragen.
"Das Familienzentrum kann schon vor der Geburt zur Seite stehen", so Meyer. Doch wolle man sich nicht nur an Eltern mit Säuglingen richten, nicht nur an jene mit Kindern in St. Nikolaus, sondern grundsätzlich an alle Familien und nicht nur in Rettigheim, sondern in der Gesamtgemeinde. "Damit Familien ihren Alltag gut bewältigen können", will man passgenaue Angebote schaffen – alltagsnah, niederschwellig, schnell zu erreichen und zu angenehmen Zeiten, eher nachmittags, nicht abends oder am Wochenende, und natürlich mit Kinderbetreuung, während die Eltern Rat suchen.
Einer der Eckpfeiler des Familienzentrums wird die Eins-zu-eins-Begegnung mit Eltern, um sie zu beraten und individuell auf sie einzugehen. Der Austausch der Eltern untereinander, in der lockeren Atmosphäre eines "Elterncafés", ist eine weitere zentrale Idee: "Das fehlt hier", meint Bettina Paul. Begleitet von einer pädagogischen Fachkraft, die sich ganz nach den Fragen der Eltern richtet und Impulse gibt, sollten die Eltern einander gegenseitig helfen.
Überdies sollen Kurse oder Vorträge zu bestimmten Erziehungsthemen stattfinden. Ferner ist eine Babysitter-Vermittlung geplant. "Ich kann nicht jeden nehmen", betont Bettina Paul: "Das geht nur auf Empfehlung." Das Familienzentrum könnte Jugendliche schulen und offiziell zertifizieren.
Wichtig ist laut Heidi Meyer auch der permanente Austausch mit einem großen Netzwerk an Akteuren in Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Partner wie Kirche, Gemeinde oder Vereine, auf die man bereits jetzt bauen kann, braucht man auch, um die Räume für die Angebotsvielfalt zu finden.
Um ein detailliertes Programm zu erarbeiten, will man interessierte Eltern ins Boot holen. "Viele Leute sind schon auf uns zugekommen, die uns helfen möchten", berichtet Heidi Meyer: Die Ideen reichten von Ernährungstipps über Naturerlebnisse bis hin zu Yoga-, Tanz- oder Nähkursen. Prinzipiell "soll das Familienzentrum sich selber tragen", dank vieler Ehrenamtlicher, erklärt Katharina Steinhauser. Daher wolle man auch "klein anfangen", so Meyer, "um uns nicht zu überfordern", und allmählich wachsen. Sie und ihr Team werden koordinieren und organisieren, aber "durch das Engagement der Menschen, der Idealisten und Kümmerer, soll das Familienzentrum leben und sich weiterentwickeln".