Jetzt hat auch Heidelberg die "Mohren"-Debatte (Update)
Debatte um Figur bei "Tabak Scheuring" und Gaststätte "Zum Mohren" - Student stellt Strafanzeige gestellt - "Migration Hub" fordert Umbenennung

Von Julia Lauer
Heidelberg. Was transportieren Namen? Der Berliner U-Bahnhof Mohrenstraße jedenfalls wird künftig U-Bahnhof Glinkastraße heißen. Das teilten die Berliner Verkehrsbetriebe am Freitag mit. Begründung: Damit reagiere man auf die Debatte um den Straßennamen. Als weltoffenes Unternehmen lehnten die Verkehrsbetriebe jegliche Form von Rassismus und Diskriminierung ab. Nun sorgt die Debatte um Begriff und Figur des "Mohren" auch in Heidelberg für Kontroversen.
"Am umstrittensten ist die schwarze Figur, die bei Tabak Scheuring in der Hauptstraße im Schaufenster sitzt, fast nackt, bekleidet nur mit einem Baströckchen. Gegen sie wurde immer wieder Protest laut", fasste die Historikerin Dr. Caroline Authaler, die sich mit kolonialgeschichtlichen Bezügen im Heidelberger Stadtbild beschäftigt hat, unlängst im Interview mit dieser Zeitung zusammen. Dass die Figur Kritiker auf den Plan ruft, verdeutlicht auch die Hausfassade: "Rassismus vor der Nase", hat jemand mit einer Schablone unter das Schaufenster gesprüht.
Kritik richtet sich aber auch gegen die Party-Kneipe "Der Mohr" in der Unteren Straße – und zwar wegen ihres Namens. Mit dem heute veralteten Begriff "Mohr" wurden ursprünglich dunkelhäutige Bewohner Mauretaniens bezeichnet, heißt es im Duden. Und das Wörterbuch bestätigt: Heute sei die Verwendung des Begriffs diskriminierend.

Woher genau die dunkelhäutige Figur im Schaufenster von Tabak Scheuring kommt, lässt sich nicht eindeutig zurückverfolgen: vielleicht von der Weltausstellung in Chicago, aber gewiss ist das nicht. "Fest steht, dass mein Urgroßvater, der selbst eine Zigarrenfabrik hatte, die Figur herbrachte", sagt Erika Koch, Senior-Chefin des Tabakladens unweit der Heiliggeistkirche.
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Bei der Eröffnung des Geschäfts im Jahr 1890 habe die "Mohren"-Figur schon zum Inventar gehört. Seither erfreue sie die Kundschaft, ist sie überzeugt. Sie selbst kann nichts Negatives an der Figur erkennen: "Ich finde nicht, dass sie in dienender Pose dargestellt ist", sagt sie. "Meiner Meinung nach ist sie anmutig." Gelegentlich gäbe es kritische Nachfragen – vor allem von weißen Studenten. "Wir haben auch dunkelhäutige Stammkunden. Ich kann mich aber an keinen einzigen Fall erinnern, dass sie sich an der Figur gestört hätten", erzählt sie, die am Wahrzeichen des Geschäfts auch in Zukunft festhalten will.
Der Deutsch-Afrikanische Verein in Heidelberg erhebt keine konkreten Forderungen in Bezug auf die Figur bei Tabak Scheuring oder den Namen der Gaststätte "Der Mohr". Doch das Wort "Mohr" sei eindeutig negativ konnotiert, bestätigt ein Sprecher gegenüber der RNZ: Den Vereinsmitgliedern gelte der Ausdruck als kolonial und rassistisch diskriminierend.
In der gleichnamigen Gaststätte weiß man um das Problem. "Auch hier in Heidelberg wurde an uns herangetragen, dass es wegen des Namens unseres so beliebten ,Mohr!’ Probleme gebe", erklärt Inhaber Simon Wakeling. Seit mehr als 200 Jahren trage die Gaststätte – eine der ältesten der Stadt – diesen Namen. Damit habe man dem heiligen Mauritius eine Ehre erweisen wollen, der oft mit schwarzer Hautfarbe dargestellt wird, erläutert er. Obwohl er den Namen seiner Gaststätte also keinesfalls als rassistisch missverstanden wissen will, hat Wakeling über eine Umbenennung nachgedacht. "Als ich die Kneipe 1994 mietete, habe ich der Vermieterin gesagt, dass ich sie gerne umbenennen würde", erinnert er sich. "Doch sie lehnte strikt ab. Indem ich meine Unterschrift unter den Pachtvertrag setzte, übernahm ich auch den Namen." Nichts liege ihm ferner, als damit jemandem zu nahe zu treten, beteuert er.
Maurice Ehinlanwo fühlt sich dennoch vor den Kopf gestoßen. "Bei dem Wort ,Mohr’ handelt es sich um eine pauschale Beleidigung dunkelhäutiger Menschen", sagt der Student, der im zweiten Semester in Heidelberg Jura studiert. Als Sohn einer deutschen Mutter und eines deutschen Vaters nigerianischer Herkunft fühlt er sich persönlich betroffen. "In dem Namen der Kneipe kommt Geringschätzung zum Ausdruck", erklärt er. Ehinlanwo beschloss, die Sache anzupacken und sich zu wehren. Am vergangenen Freitag, sagt er, habe er deshalb in dieser Angelegenheit auf dem Polizeirevier Mitte Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt. Nun wartet er auf Antwort.
Das Netzwerk "Migration Hub Heidelberg" schloss sich zwei Wochen später der Forderung an: "Konkret fordern wir die Änderung des Namens der Gaststätte ,Gasthaus Zum Mohren’ und die Entfernung des Schriftzugs auf dem Gebäude. Des Weiteren fordern wir die Entfernung der rassistischen Figur und des Ladenschilds von Tabak Scheuring", heißt es in einem offenen Brief des Bündnisses.
"Die Frage ist nicht nur, ob das Wort verwendet werden sollte oder nicht, vielmehr geht es darum, ob wir den zugrunde liegenden Rassismus akzeptieren oder nicht", erklärte das Bündnis.
Sowohl Begriff als auch Figur führen ihm zufolge rassistische und koloniale Denkmuster fort. In beiden Fällen sei irrelevant, ob dies als rassistische Verletzung beabsichtigt sei oder nicht. Entscheidend sei, dass schwarze Menschen dadurch angegriffen und beleidigt würden, so der "Migration Hub". Die Verantwortlichen aufseiten der Stadtverwaltung seien deshalb gefordert, dem Fortwirken dieser Bilder im städtischen Raum etwas entgegenzusetzen.
Update: Dienstag, 21. Juli 2020, 20 Uhr