Mit der Bundeswehr in Heidelberg statt Mali
Bis zu 177 Bundeswehrsoldaten waren im Mai im Ankunftszentrum im Einsatz - Die letzten 40 verabschieden sich nächste Woche

Von Denis Schnur
Heidelberg. Es ist 12.04 Uhr, als im Ankunftszentrum der Duft von Essen aufzieht. Er stammt von den beiden Pritschenwagen, mit denen ein halbes Dutzend Bundeswehrsoldaten das Mittagessen vor die Wohnhäuser bringt. Die Fahrer hupen, nach und nach kommen Bewohner aus den Gebäuden. "Hallo! Morgen!", packt einer stolz die paar Brocken Deutsch aus, die er gelernt hat. Soldatin Anna überreicht ihm die Rationen für seine Familie: Canneloni und Spätzle-Pfanne gibt es heute.
Anna – die eigentlich in Frankreich stationiert ist und wegen der Terrorgefahr dort aus Sicherheitsgründen ihren Nachnamen nicht nennen darf – ist Schichtleiterin und eine der 48 Soldatinnen und Soldaten, die aktuell noch in Patrick-Henry-Village (PHV) im Einsatz sind. Gemeinsam mit 39 Kollegen von der Deutsch-Französischen Brigade kümmert sie sich darum, dass die Bewohner täglich ihr Essen erhalten, ohne dass sie Kontakt untereinander haben. Denn Ende April ging im Ankunftszentrum die Angst um vor einem größeren Corona-Ausbruch. Am 27. April wurde das Virus bei einem Mann festgestellt, von dem nicht klar war, mit wem er Kontakt gehabt hatte. Daraufhin ergriffen die Behörden strikte Maßnahmen: 120 Kontaktpersonen wurden für zwei Wochen in Quarantäne gebracht, alle 800 Bewohner durften das Zentrum in diesem Zeitraum nicht verlassen. Und statt Verpflegung in der Kantine wurde auf Lieferservice umgestellt.

Um das zu stemmen, bat das Innenministerium die Bundeswehr um Hilfe, und am 4. Mai traten 177 Soldaten ihren Dienst in PHV an. "Da hatten wir schon Respekt", gesteht Soldatin Anna. Schließlich habe man nicht gewusst, wie die Pandemielage ist, wie die Zusammenarbeit funktioniert. Doch schnell habe man man einen guten Modus gefunden, berichtet sie, und die Truppenstärke auf 77 Soldaten reduziert. "Da der Dienstleister EHC aufgestockt wurde und wieder mehr Aufgaben übernimmt, sind es jetzt noch 40", erklärt Presseoffizier Marco Zielony. Und Ende Juni läuft der Einsatz komplett aus.
Für Anna und ihre Kollegen geht dann eine außergewöhnliche Zeit zu Ende. Denn normalerweise bereitet sich ihr Bataillon in der Nähe von Straßburg auf Kampfeinsätze vor. Im Oktober 2021 wird es vermutlich wieder nach Mali verlegt – zur Friedenssicherung. "Dagegen ist das hier auf jeden Fall etwas Neues", berichtet sie. Denn hier haben sie keine Aufgaben im Sicherheitsbereich. Sie packen Lunchpakete, verteilen diese, helfen manchmal bei Hausmeistertätigkeiten.
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Doch auch diese simplen Tätigkeiten hätten den Soldaten viel gegeben: "Wir haben schnell gemerkt, dass wir hier wirklich helfen." Und auch zu den Bewohnern habe man ein gutes Verhältnis. "So wie wir zu denen, so sind die zu uns." Heißt: Meistens grüßt man nett; die, die man länger kennt, machen Scherze. Probleme, weil viele Geflüchtete in ihren Heimatländern schlechte Erfahrungen mit Soldaten gemacht haben, gebe es kaum: "Wirklich negative Erlebnisse habe ich keine gemacht", sagt die Soldatin. Nur einige Bewohner seien zurückhaltend den Uniformierten gegenüber.

Ähnliche Erfahrungen hat Martin Nguyen gemacht. "Ich hatte das Gefühl, dass die Uniform sogar positiv wirkt." Die Bewohner hätten ihm stets sehr viel Respekt entgegengebracht, sagt er, während er in der ärztlichen Ambulanz in PHV sitzt. Dort ist der Arzt seit Mai gemeinsam mit sieben Bundeswehr-Sanitätern im Einsatz. Denn neben Medizinern von der Uniklinik arbeiten dort vor allem ältere Ärzte – und die blieben in der Hochphase der Pandemie zuhause. "Da hat hier natürlich die Hütte gebrannt", sagt Nguyen. Glücklicherweise hatte sich der Reservist kurz zuvor beim Bundeswehr-Kommando gemeldet. "Eigentlich forsche ich am Institut für Mikrobiologie in München zu Milzbrand." Da man dort jedoch alle Ressourcen auf Corona konzentriere, liege sein Projekt auf Eis. Da kam der Einsatz in PHV wie gerufen. Denn hier kann Nguyen nicht nur einen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie leisten, er kann als junger Arzt eine Menge dazulernen – etwa zur Behandlung von Infektionskrankheiten, die es in Deutschland sonst kaum noch gibt. Zudem lerne man in einer solchen Ambulanz, mit sehr begrenzten Ressourcen umzugehen.
Wie für die 47 anderen Bundeswehrangehörigen endet auch für den Mediziner der Einsatz in einer Woche. Markus Rothfuß, Leiter des Ankunftszentrums, ist dankbar, dass die Soldaten in der schwierigen Zeit da waren. "Sonst hätten wir das wohl nicht so gut hinbekommen." Er weiß aber auch: "Irgendwann muss man aus der Amtshilfe wieder raus." Und dafür habe das Land seine Hausaufgaben gemacht: mehr Mitarbeiter eingestellt und Abläufe angepasst. "Wir denken, dass wir für die Situation jetzt alleine gewappnet sind." Dabei hilft, dass seit Mitte März kaum noch Geflüchtete ankommen. Aktuell leben knapp 500 Menschen im Ankunftszentrum – so wenige wie noch nie. Das dürfte sich zwar langsam wieder ändern, aber Rothfuß betont: "Wir wollen die Belegung so steuern, dass nicht so viele Menschen gleichzeitig hier sind wie vor der Pandemie." Nur dann könne man den Infektionsschutz weiter garantieren.



