Der Gottesdienst wird neu erfunden
Besucher dürfen wegen des Ansteckungsrisikos keine Kirchenlieder mehr singen - "In letzter Zeit hat viel gefehlt"

Von Sophia Stoye
Heidelberg. Wochenlang stand der katholische Dekan Alexander Czech nur vor leeren Bänken und feierte seine Gottesdienste vor der Kamera. Übertragen wurden sie nämlich über einen Livestream in die einzelnen Wohnzimmer der Gemeinde – Rituale, wie sich beim Friedensgruß die Hände zu geben und die Fingerspitzen ins Weihwasser zu tauchen, blieben aus.
Nun konnte am gestrigen Sonntag wieder der erste Gottesdienst der Jesuitenkirche starten, aber auch hier mussten sich die Teilnehmenden an einige Regeln halten und auf vertraute Abläufe verzichten. Beispielsweise dürfen keine Kirchenlieder mehr beim Gottesdienst gesungen werden, weil das Risiko einer Ansteckung beim gemeinsamen Singen besonders hoch ist. Winzige Tröpfchen aus dem Speichel, die als Aerosol in der Luft schweben, spielen nach jüngsten Forschungen möglicherweise eine Rolle bei der Übertragung des Erregers.
"In einer solchen Krise werden wir dazu veranlasst, uns neu zu erfinden und das mit dem Unerlässlichen zu kombinieren. Eine Chorgruppe mit genug Abstand untereinander und eine Gemeinde, die kurze Akklamationen dazwischenruft, ist eine gute Mischung für uns, ohne die Regeln zu brechen", erklärte Bezirkskantor und Kirchenmusiker Markus Uhl. Und obwohl das kleine Ensemble mit großer Distanz zur Gemeinde hinter dem Altar stand und keine Kirchenlieder gesungen wurden, interagierten die Sänger gut mit den einzelnen Gläubigen.
"Ohne zu singen an einem Gottesdienst teilzunehmen, habe ich mir schlimmer vorgestellt. Ich dachte, ich darf gar nichts mehr sagen, aber jetzt war ich vom Gottesdienst positiv überrascht, da hat mir in der letzten Zeit viel gefehlt", erzählte Besucherin Birgit Rosz. Deswegen nahm sie in den vergangenen Wochen an den Livestream-Gottesdiensten teil und war erstaunt: "Wir wollen in einem Gottesdienst Gott begegnen, da war der Livestream hilfreich, das virtuell zusammenzufügen. Vor allem, wenn man die Kirche kennt, ist das eine wunderbare Sache, aber es ersetzt keine Gemeinschaft." Insgesamt wurden 59 Sitzplätze für den Gottesdienst vergeben – in einer Kirche, die auf mindestens das Vierfache ausgelegt ist. Außerdem mussten sich die Gläubigen vorher anmelden und konnten nur mit Maske und desinfizierten Händen die Kirche betreten. "Das alles war irgendwie verhalten, aber es war schön, zu sehen, wie glatt alles lief", schilderte die Kantorin Eva Mechler, die Teil des Chorensembles ist, ihren Eindruck.
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Auch für Dekan Alexander Czech war der Gottesdienst eine ambivalente Erfahrung: "Im Livestream war die Kirche leer, das fühlt sich jetzt anders an, wenn plötzlich wieder Menschen vor einem sitzen. Eine Messe mit solchen Einschränkungen zu feiern, war eine Fremdheitserfahrung, aber die Gemeinde ist damit super umgegangen. Wir haben uns alle an die rechtlichen Bedingungen gehalten, das ist absolut keine Frage."
Der Andrang auf den ersten Gottesdienst seit Wochen in der Jesuitenkirche war groß, viele Gläubige konnten nicht teilnehmen, weil die Plätze schnell vergeben waren. "Ich bitte darum, dass die Mitfeiernden stellvertretend diejenigen, die nicht teilnehmen können, mitnehmen und an sie denken. Da waren heute nicht nur 60 Leute da, sondern viele mehr", betonte der Dekan.



