Früher Lepra, heute Corona - Ein historischer Streifzug
Schon vor Einzug der modernen Medizin isolierte man Erkrankte - Separiertes Leben in der Gutleutanlage

Von Noemi Girgla
Mosbach. Quarantäne. Ein Wort, das mit dem eigenen Alltag kaum etwas zu tun hatte – bis vor wenigen Wochen. Dabei hat die Quarantäne auch in Mosbach eine lange Geschichte, wie ein historischer Baukomplex, die Gutleutanlage am Friedhof, beweist.
Dass man sich von Kranken fernhalten sollte, um nicht selbst infiziert zu werden, wussten die Menschen bereits im Mittelalter. Also wurden diese isoliert – im Fall der Lepra sogar lebenslänglich. Lepra galt damals als "Volksseuche Nummer eins", als "Strafe Gottes für ein sündhaftes Leben". "Bestand der Verdacht einer Infektion, wurde eine sogenannte ,Aussätzigenschau’ anberaumt", berichtet Magdalena Putze. Sie ist Gästeführerin der Stadt Mosbach und gibt Sonderführungen durch die Gutleutanlage.
"Bei einer solchen Schau mussten, wegen der Lichtverhältnisse bei hellem Sonnenschein, der Stadtarzt, der Bader und auch Hebammen zugegen sein", erklärt Putze, und ihre Kollegin Christel Marmann ergänzt: "Manchmal wurden auch bereits Erkrankte als ,Experten’ hinzugezogen." Bestätigte sich der Verdacht, waren die Folgen für den Infizieren weitreichend. Es folgte seine Aufnahme in eine "Leprosenstätte".
"Der Aufnahme ins Gutleuthaus ging eine Totenmesse voraus, die in einer Kirche für den Erkrankten gelesen wurde. Er wurde in einen langen Mantel mit Kapuze gekleidet. Ein breitkrempiger Hut, Handschuhe und eine Klapper vervollständigten sein Erscheinungsbild. Danach musste der Unglückliche seine Füße entblößen und unter entsprechenden Gebeten wurde ihm eine Schaufel Erde über die Füße geworfen: Somit war er bürgerlich tot, konnte keine Rechtsgeschäfte mehr tätigen und war von allen Abgaben befreit", erläutert Magdalena Putze.
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"In der Natur durfte er sich zwar bewegen, zum Beispiel Beeren pflücken, aber sobald Menschen kamen, hatte er mit der Klapper auf sich aufmerksam zu machen. Kein Geräusch war von der Bevölkerung mehr gefürchtet als der Klang der Klappern", fügt Christel Marmann hinzu. Quasi die mittelalterliche Version der Kontaktbeschränkung.
"Das dritte Laterankonzil mit Papst Alexander III. verlangte eigene Reinigungsriten; die armen Seelen durften nicht ohne die heiligen Sakramente sterben. Man begann in der Folge damit, eigene Kapellen, Friedhöfe und Kaplaneien für die Leprakranken zu bauen", fährt Putze fort. So entstand in Mosbach nach und nach die Gutleutanlage.
Es birgt eine gewisse Ironie, dass Leprakranke als "Gutleut" bezeichnet wurden. Ein Name, der sich bis heute für die Gebäude und Anlagen, die sie einst beherbergten, erhalten hat. "Er rührte einerseits daher, dass die katholische Geistlichkeit der damaligen Zeit die Menschen mit dieser schweren Krankheit für die wahren Märtyrer hielt, also gute Leute (goute liute)", erklärt Magdalena Putze. "Andererseits glaubte man, dass die Not dieser Menschen ihren Wohltätern die Möglichkeiten gebe, sich durch eigene gute Werke den Himmel zu verdienen. Sie hielten sich also auch selbst für ,gute Leute’."
Um die 19.000 "Leprosenstätten" soll es im 13. Jahrhundert in Europa gegeben haben – eine der in Baden Württemberg am besten erhaltenen befindet sich bis heute im Osten der Großen Kreisstadt. Wie auch in Mosbach, lagen die Gutleuthäuser außerhalb der Stadtmauern, um die Leprakranken von den Bürgern der Stadt zu separieren. "Erstmals erwähnt wird das Gutleuthaus in einer Urkunde von 1418", weiß Putze. Wie lange es da aber schon stand, darüber gebe es keine Aufzeichnungen. "Eine Leprosenstätte muss es auch zuvor schon gegeben haben", dessen ist sich Putze sicher.
Den Bau der dazugehörigen Kapelle brachte die Frau des Pfalzgrafen Otto I., Johanna von Bayern-Landshut, von 1430 bis zu ihrem Tod 1444 voran. "Sie brachte ein beachtliches Vermögen in die Ehe ein und war eine sehr soziale Frau", berichten die Gästeführerinnen. "Nach ihrem Tod interessierte sich keiner mehr dafür, den Bau fertigzustellen, und so blieb er lange unvollendet", erzählt Magdalena Putze. "Damals stand nur der Chor, und der Bau wurde möglicherweise mit Holz abgezimmert, um ihn vor Verwitterung zu schützen."
Erst 1479 befassten sich die Mosbacher Ratsherren wieder damit, was mit der Kapelle geschehen sollte. "Danach sollte es noch mal 30 Jahre dauern, bis der Bau Anno 1509 fertiggestellt wurde", weiß Putze. Heute ist die Kapelle vor allem für ihre Wandmalereien und Rötelzeichnungen bekannt. Das Wappen ihrer Stifterin, Johanna von Bayern-Landshut, erinnert noch heute an die Pfalzgräfin.
So zeigt ein Teil der Mosbacher Stadtgeschichte, dass auch hier die Isolierung von Kranken keine neue Erscheinungsform ist. Zum Glück wird sie heutzutage aber irgendwann wieder aufgehoben ...
Hintergrund
Der Begriff "Quarantäne" hat sich erst nach der Entstehung der Gutleuthäuser (im 11. und 12. Jahrhundert) entwickelt. Er kommt aus dem Italienischen (quaranta = vierzig) und bezeichnete ursprünglich die Anzahl der Tage, die Reisende vor dem Betreten einer Stadt in einem
Der Begriff "Quarantäne" hat sich erst nach der Entstehung der Gutleuthäuser (im 11. und 12. Jahrhundert) entwickelt. Er kommt aus dem Italienischen (quaranta = vierzig) und bezeichnete ursprünglich die Anzahl der Tage, die Reisende vor dem Betreten einer Stadt in einem Lazarett zubringen mussten, um keine Krankheiten – damals vornehmlich die Pest – in diese einzuschleppen. Ob die erste Quarantäne im 14. Jahrhundert im heutigen Dubrovnik oder in Venedig verhängt wurde, ist umstritten.
Das Wort "Lazarett" steht dagegen in direktem Bezug zu den Gutleuthäusern. Die Lepra war im Mittelalter auch als "Lazarus-Krankheit" bekannt, die Leprosenstätten als "Lazarus-Häuser". Daraus entwickelte sich dann später der bis heute bestehende Begriff des Lazaretts. (gin)



