Heidelberger Klimabürgermeister

"Man muss die Leute vom eigenen Auto wegbekommen"

Raoul Schmidt-Lamontain soll Heidelbergs erster Klimabürgermeister werden. Dresden ist ihm zu konservativ. Hier will der Grüne endlich die Verkehrswende voranbringen.

29.04.2020 UPDATE: 30.04.2020 06:00 Uhr 5 Minuten, 4 Sekunden
Nicht ohne sein Lastenrad: In Dresden bewegt sich Raoul Schmidt-Lamontain hauptsächlich mit dem Lastenrad – dank elektrischem Antrieb geht das auch bei Hitze im Anzug. Seine Frau habe zwar noch ein Auto, eventuell könne man das aber im kleinen Heidelberg bald gänzlich abschaffen. Hier soll Schmidt-Lamontain Klimabürgermeister werden. Foto: W. Schenk/pieschen-aktuell.de

Von Anica Edinger

Er ist jung, er ist grün, beschreibt sich selbst als eher "unkonventionell" – und er soll Heidelbergs erster Klimabürgermeister werden: der amtierende Dresdner Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain. Die Grünen haben das Vorschlagsrecht für das neue Dezernat, das ab Oktober seine Arbeit aufnehmen wird. Stimmt der Gemeinderat dem Grünen-Vorschlag im Juli zu, dann wird Schmidt-Lamontain für die Gebiete Klimaschutz, Mobilität und Umwelt in der Stadt verantwortlich sein.

Am Dienstagabend stellte sich der 43-Jährige in der Grünen-Mitgliederversammlung vor – coronabedingt im Rahmen eines digitalen Webinars. Kurz vor dem Termin stand Schmidt-Lamontain der RNZ Rede und Antwort. Ein Gespräch über die sächsische Landeshauptstadt Dresden, über die Verkehrswende, neue Formen der Bürgerbeteiligung – und über hugenottische Vorfahren.

Hintergrund

Raoul Schmidt-Lamontain ist seit fünf Jahren amtierender Bürgermeister für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Der 43-jährige Vater von drei Kindern kommt ursprünglich aus Hannover, wo er an der Universität

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Raoul Schmidt-Lamontain ist seit fünf Jahren amtierender Bürgermeister für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Der 43-jährige Vater von drei Kindern kommt ursprünglich aus Hannover, wo er an der Universität Architektur studiert hat. Seine Frau ist gebürtige Wienerin. Schmidt-Lamontain war von 2010 bis 2015 im Bereich Stadterneuerung der Stadt Hannover tätig. Seine politische Karriere begann bei den Grünen. Zunächst als Stadtbezirksrat, später als Fraktionsvorsitzender seiner Partei in der Regionalversammlung. Den Zivildienst machte er bei einer Bürgerinitiative für Umweltschutz, weshalb er sich für die anstehenden Themen gut gerüstet sieht.

Klimaschutz, Umwelt und Mobilität heißt das neu geschaffene Dezernat, das ab 1. Oktober besetzt wird. Die Grünen haben das Vorschlagsrecht für die damit einhergehende Bürgermeisterstelle. Das Dezernat wird das Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie, das Landschafts- und Forstamt, die Abfallwirtschaft und Stadtreinigung sowie das Amt für Verkehrsmanagement enthalten. Die neue Aufgabenverteilung ist ein Resultat der letzten Gemeinderatswahl, bei der die Grünen einen Erdrutschsieg einfuhren. Sie werden damit neben Wolfgang Erichson einen weiteren Bürgermeister im Rathaus haben. Der Gemeinderat muss der Wahl Schmidt-Lamontains noch zustimmen. Das soll am 23. Juli passieren. ani

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Herr Schmidt-Lamontain, viele Heidelberger Grüne hätten sich ja eine Frau gewünscht für den Posten des Klimabürgermeisters.

Das habe ich tatsächlich auch schon gehört. Das ist jetzt nun mal mein Manko, das ich von Geburt an habe: Ich bin ein Mann. Bisher wollte ich das eigentlich auch nicht ändern. (lacht) Dafür habe ich sicherlich andere Stärken.

Und die wären?

Ich schätze mich als eher unkonventionell ein, ich bringe eine gewisse Kreativität mit ins Amt, ich bin offen für neue Sachen. Und ich denke, das passt gut nach Heidelberg.

Böse Zungen in der Dresdner Boulevard-Presse behaupten, sie zögen mit dem Wechsel ins kleine Heidelberg die Notbremse, weil sie in ihrem Dresdner Dezernat überfordert gewesen seien.

Tatsächlich habe ich in Dresden einen riesigen Geschäftsbereich mit fünf Ämtern und insgesamt 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Aufgabenspektrum in meinem aktuellen Amt ist groß, es gab und gibt enorm viel Arbeit. Das hat mir aber immer auch Spaß gemacht und ist deshalb nicht der ausschlaggebende Grund für meine Bewerbung in Heidelberg. Vielmehr haben die Rahmenbedingungen hier in Dresden nicht wirklich gepasst.

Digitale Mitgliederversammlung der Grünen: Raoul Schmidt-Lamontain trat „casual“ im weißen Hemd auf und beantwortete Fragen seiner Parteigenossen. Screenshot: RNZ-Repro

Können Sie das genauer erklären?

Zunächst einmal sind wir hier als Familie – also ich, meine Frau und meine drei kleinen Kinder – emotional nie richtig angekommen. Wir haben uns nicht verliebt in diese Stadt. Deshalb haben wir uns umgeschaut, wohin es uns ziehen würde. Und da stand Heidelberg schnell ganz oben auf der Liste, da meine Frau aus Karlsruhe kommt und ihre Familie in der Region lebt. Drei Tage, nachdem wir dieses Ziel festgelegt hatten, stieß ich auf die Stellenausschreibung der Heidelberger Grünen. Eine glückliche Fügung. Die Themen im neuen Dezernat für Klimaschutz, Umwelt und Mobilität sind genau die, die ich spannend finde.

Hintergrund

Was soll man nur anziehen zu einer Grünen-Mitgliederversammlung? "Anzug wäre ein bisschen viel", befand Raoul Schmidt-Lamontain kurz vor der Konferenz im digitalen Raum am Dienstagabend noch im RNZ-Interview. Also wurde es ein lässiges weißes Hemd ohne Kragen. Die Haare

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Was soll man nur anziehen zu einer Grünen-Mitgliederversammlung? "Anzug wäre ein bisschen viel", befand Raoul Schmidt-Lamontain kurz vor der Konferenz im digitalen Raum am Dienstagabend noch im RNZ-Interview. Also wurde es ein lässiges weißes Hemd ohne Kragen. Die Haare stylte sich der 43-jährige amtierende Dresdner Baubürgermeister aber noch, dazu trug er Stoppelbart und Headset, zwischenzeitlich auch Brille.

Den rund 80 "anwesenden" Mitgliedern bei der Versammlung jedenfalls schien der Look zu gefallen. Herzlich hießen sie ihren – potenziell – zukünftigen Klimabürgermeister im Chat des digitalen Treffens willkommen. Man freut sich auf den Neuzuwachs in der Stadt, so viel wurde deutlich. "Willkommen, Raoul! :) Mit deinen Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung können wir dann ja endlich das erste Windrad in Heidelberg organisieren", schrieb etwa Laura Zöckler.

Fragen konnte man an den gebürtigen Hannoveraner entweder schriftlich im Chat oder persönlich stellen, dafür mussten die Mitglieder allerdings erst frei geschaltet werden von den Moderatoren Monika Gonser und Lukas Weber vom Grünen-Kreisvorstand – was mal mehr, mal weniger gut funktionierte. Mit dabei war auch Sabine Lachenicht, die Leiterin des städtischen Amtes für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie. Von ihrem "Chef in spe" wollte sie wissen, welche konkreten Maßnahmen er sich vorstelle für Biodiversität, Naturschutz und Baumschutz in einer wachsenden Stadt wie Heidelberg. "Grünflächen schaffen", war eine Antwort von Schmidt-Lamontain. Aber auch Fassaden und Dächer begrünen, Schutzflächen schaffen und vorhandenes "Großgrün" weiter schützen. Man müsse jedenfalls stets im engen Dialog mit denjenigen stehen, die bauen in der Stadt – und dafür Sorge tragen, "dass die Natur nicht die Leidtragende ist". Das Hochbauamt fällt mit der neuen Dezernatsverteilung im Rathaus ab Oktober nicht in den Bereich von Schmidt-Lamontain, sondern bleibt beim Ersten Bürgermeister Jürgen Odszuck.

Ob er sich denn eine Klimataxe vorstellen könnte, um auch die Touristen, die häufig aus Übersee kämen, zur Kasse zu bitten, wollte ein weiteres Grünen-Mitglied wissen. Diese Art von Tourismus würde man "nie ganz weg kriegen", meinte Schmidt-Lamontain. Man könne sich aber durchaus Gedanken machen über "sanften und regionalen oder auch über Fahrradtourismus". Schließlich schaltete sich auch Stadtrat Björn Leuzinger von der Satire-Partei "Die Partei" ein. Ob Schmidt-Lamontain trinkfest sei und lieber Bier oder Wein konsumiere, wollte er wissen. "Ich bin überhaupt nicht mehr trinkfest, seitdem ich kleine Kinder habe", gestand Schmidt-Lamontain. "Es wird Euch also nicht viel Mühe kosten, mich unter den Tisch zu trinken." (ani)

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Womit wir bei den inhaltlichen Beweggründen für Ihren Wechsel wären.

Genau. Tatsächlich ist es hier in Dresden sehr schwer, im Hinblick auf Klimaschutz und Mobilität etwas zu bewegen. Dresden ist eine sehr autofokussierte Stadt und die Verkehrswende ist gerade nun einmal eines der heißen Themen. Leider rennt man damit hier überhaupt keine offenen Türen ein. Die politische Stimmung scheint mir deutlich konservativer als in Heidelberg, es gibt im Stadtrat keine klaren Mehrheitsverhältnisse, man weiß nie, wie weit man mit seinen Vorlagen und Vorschlägen kommt.

Schlechte Nachrichten: Das weiß man auch in Heidelberg oft nicht.

Natürlich wird man auch hier den Stadtrat häufig überzeugen müssen von seinen Ideen, aber dennoch ist die Situation in Heidelberg meiner Einschätzung nach doch ganz anders. Bei zentralen Themen wie der Verkehrswende rennt man hier offene Türen ein. Ich habe den Eindruck, mit dem 30-Punkte-Klimaschutz-Aktionsplan weiß man schon genau, wo man hin will. Da ist richtig Musik drin, da kann man etwas bewegen. Es hapert nur noch an der Umsetzung. Um die voranzutreiben, trete ich in Heidelberg an.

Ziel des Klimaschutz-Aktionsplans ist es, dass Heidelberg bis 2030 klimaneutral wird. Wie genau wollen Sie das schaffen?

Wie bereits angedeutet, ist die Verkehrswende eine der zentralen Strategien hin zu einer klimaneutralen Stadt. Man muss die Leute vom eigenen Auto wegbekommen. Zum einen durch Pull-Faktoren, also etwa durch eine Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Personennahverkehrs. Der ÖPNV ist das Rückgrat des Umweltverbundes – nur mit einem guten Angebot gelingt es mir, den Rad- und Fußverkehrsanteil in einer Stadt maßgeblich weiter zu erhöhen. Da ist auch in Heidelberg noch erheblicher Spielraum nach oben. Der Radverkehrsanteil ist zwar bereits gut, aber auch da gilt es, die Infrastruktur auszubauen. Andererseits gibt es auch Push-Faktoren, also Strategien, es Autofahrern nicht ganz so bequem zu machen. Eine Erhöhung der Parkgebühren in der Innenstadt und eine Verknappung des Parkraums sind die Themen, über die man reden werden muss.

Haben Sie selbst ein Auto?

Ich habe selbst keines, aber meine Frau. Das ist tatsächlich auch unser jahrzehntelang eingeübter Konflikt. Das Auto wird so gut wie gar nicht bewegt, meine Frau findet aber, es ist doch gut, eines zu haben. Wir sprechen dennoch häufig darüber, es jetzt mal abzuschaffen. Vielleicht ist der Wechsel nach Heidelberg ja eine neue Gelegenheit.

Wie bewegen Sie sich denn fort?

Ich habe ein Lastenfahrrad, mit dem ich wirklich fast alles fahre: Morgens bringe ich meine Kinder damit zur Kita, dann fahre ich ins Büro oder zu Terminen.

Auch im Sommer bei 40 Grad und im Anzug?

Auch dann. Ich muss aber dazu sagen: Wir wohnen sehr zentral in einem kleinen Reihenhaus mit Garten in der Stadt – und mein Lastenrad ist ein E-Bike. Im Sommer, wenn es richtig heiß ist, schalte ich dann den Motor hoch und muss nur noch wenig mittreten. Ich fahre in der Regel auch den ganzen Winter durch. Und wenn es zu glatt und kalt ist, nehme ich die Straßenbahn.

Eine ihrer großen Aufgaben hier in Heidelberg wird auch die Beruhigung der Verkehrslage im Neuenheimer Feld sein. Im Masterplanprozess dazu gibt es den Vorschlag, das Feld durch eine Seilbahn verkehrlich zu erschließen. Was halten Sie von Seilbahnen in der Stadt?

Grundsätzlich viel, aber diese Verkehrsform ist für einen Verkehrsbetrieb wirtschaftlich sehr schwer zu betreiben. Außerdem bedeutet der Bau einer Seilbahn einen erheblichen Eingriff in den Landschaftsraum: Man muss für den Ein- und Ausstieg Höhen überwinden, das muss man sich genau anschauen, ob das naturschutzfachlich, aber auch ästhetisch überhaupt möglich ist.

Eine weitere Option ist die Fünfte Neckarquerung. Haben Sie davon schon gehört?

Ich habe davon gehört.

Und sich auch eine Meinung gebildet?

Nein, dafür sind meine Informationen doch noch zu oberflächlich. Das sind Einzelfallkonflikte, die man sich in aller Ruhe anschauen muss. Man muss sich die verschiedenen Positionen der unterschiedlichen Parteien anhören und dann darüber reden, wie eine Lösung aussehen könnte.

Womit wir auch beim Thema Bürgerbeteiligung wären. Die wird in Heidelberg besonders groß geschrieben. Bringen Sie die nötige Geduld mit, sich alle Belange der Heidelberger anzuhören?

Definitiv. Ich bin auch hier in Dresden angetreten mit der Ansage, in Sachen Bürgerbeteiligung neue Pflöcke einzuschlagen. Wir haben hier tatsächlich auch ganz spannende Formate entwickelt mit niedrigschwelligen Angeboten, sodass auch wirklich alle Bürger gehört werden konnten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Für die Bebauung des Königsufers haben wir einen städtebaulichen Wettbewerb ausgeschrieben und direkt mit einem Beteiligungsverfahren flankiert. Es gab unterschiedliche Ausstellungen, zu denen die Menschen kommen konnten und ihre Anregungen zu den verschiedenen Entwürfen abgeben konnten. Von vielen habe ich dabei die Rückmeldung bekommen, dass das gut ankam. Die Menschen haben sich mitgenommen gefühlt – selbst Leute, deren Lieblingsentwurf letztlich nicht gewonnen hat.

Raoul Schmidt-Lamontain, ist Ihre Frau eigentlich Französin?

Nein, tatsächlich nicht. Der Nachname kommt aus meiner Familie. Meine Großeltern hießen bereits so. Meine Großmutter Lamontain, mein Großvater Schmidt. Sie haben die Namen zusammengelegt, weil mein Großvater bei seiner Arbeit einen Namensvetter hatte, den er nicht mochte und mit dem er nicht verwechselt werden wollte. Und jetzt wird der Name über die Generationen weitervererbt.

Dann war Ihre Großmutter Französin?

Nein, auch das nicht. Wir haben hugenottische Vorfahren.

Und gibt es zu Ihrem Vornamen eine Geschichte?

Da scheiden sich die Geister: Mein Vater behauptet, meine Mutter hätte sich damals in den Siebzigern in einen französischen Schauspieler namens Raoul verguckt. Meine Mutter sagt, mein Vater wollte den Namen, weil Fidel Castros Bruder so heißt. So oder so: Sie wollten nicht so etwas "Allerweltsmäßiges". Das ist ihnen wohl gelungen.

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