"Wir waren die einzigen Passagiere auf dem Flughafen"
Die Weinheimerin Sarah Schäufele saß in Cusco fest. Dann wurde sie ausgeflogen. In Peru gelten immer noch scharfe Beschränkungen.

Von Philipp Weber
Weinheim. Als die RNZ Anfang der Woche die Weinheimer Familie Schäufele anruft, ist Tochter Sarah unterwegs. Jedoch nicht mehr in den Anden, sondern auf einem Spaziergang daheim in Weinheim. Die 21-Jährige ist seit dem 8. April zurück in Deutschland, zuvor saß sie einen Monat lang im peruanischen Cusco fest. Die Rückreise über Santiago de Chile – im Jumbojet nach Frankfurt am Main saßen um die 600 Rückkehrer – hat sie gut überstanden. Auch während der darauf folgenden zwei Wochen Privatquarantäne hatte sie keinerlei Symptome.
Die RNZ hatte die Reisende im März per E-Mail interviewt, damals lebte die ausgebildete Industrie-Kauffrau mit zwei weiteren Sprachschülern bei einer Gastfamilie. Ihre Pläne, vor ihrem Wirtschaftsstudium einen Spanischkurs zu absolvieren und von Cusco aus durch Lateinamerika zu reisen, hatten sich da längst zerschlagen.
Frau Schäufele, unter welchen Umständen sind Sie zurückgekehrt?
Die deutsche Botschaft in Lima und die dort arbeitende Konsulin haben die ganze Zeit über Kontakt zu uns Deutschen in Peru gehalten. Schließlich teilten sie uns mit, dass es noch ein paar Flüge von Cusco nach Santiago de Chile gibt – verbunden mit der dringenden Empfehlung, am Treffpunkt zu erscheinen und die Flugverbindung in Richtung Europa zu nutzen. Denn es war unklar, ob es in den kommenden Monaten überhaupt noch eine gibt.
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Wie ging es weiter?
Die Rückreise wurde vor Ort vom Treffpunkt aus bis in den Flughafen durchgehend von der peruanischen Polizei überwacht und kontrolliert. Die beiden Latam-Maschinen in Richtung Santiago de Chile starteten vom Flughafen in Cusco aus. Die Flughäfen waren wie viele andere für den regulären Flugverkehr geschlossen. Somit waren die Passagiere dieser Maschinen die einzigen Flughafengäste – überwiegend Deutsche, aber auch Menschen aus anderen europäischen Ländern. Als wir schließlich in Frankfurt am Main ankamen, wurden wir aufgefordert, uns in "freiwillige" Quarantäne zu begeben. Das wurde dann aber nicht mehr weiter überprüft. Ich habe mich aber gern daran gehalten, auch wenn ich mich keinen Tag krank gefühlt habe.
Wie geht es den Menschen in Peru?
Es gibt dort viel weniger bekannte Covid-19-Fälle als in der Bundesrepublik. In den Tagen meiner Rückreise waren es nur knapp 3000. Dennoch gilt dort nach wie vor die nationale Quarantäne, die Präsident Martín Vizcarra zu Beginn der weltweiten Coronapandemie ausgerufen hat. Man darf dort nicht aus dem Haus, außer für lebensnotwendige Einkäufe oder Apothekenbesuche. Die Maßnahmen wurden inzwischen sogar verschärft: Jetzt gilt, dass montags, mittwochs und freitags nur Männer aus dem Haus dürfen; dienstags, donnerstags und samstags sind die Frauen dran. Sonntags darf niemand nach draußen.
Warum greift der Staat dort derart rigoros durch?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Wir vermuten jedoch, dass es am Gesundheitssystem liegt. Dieses ist in Peru nicht so gut ausgebaut wie hier und folglich weit weniger belastbar. Wenn solche Verbote gelten, spürt man das natürlich schon. Ich konnte die letzten Tage über kaum noch für mich selbst einkaufen.
Sie sagten Ende März, die Stimmung in Ihrer Gastfamilie und unter den drei dort lebenden Sprachschülern sei trotzdem gut gewesen. Hat sich das gehalten?
Die Stimmung war zeitweise gedrückt, schlecht aber nie. Ich halte nach wie vor den Kontakt, über WhatsApp. Mein Mitschüler aus Belgien ist noch in Cusco, er möchte länger bleiben. Der US-Amerikaner ist in seine Heimat zurückgekehrt.
Sie haben seit Ihrer frühen Kindheit von Lateinamerika geträumt, hatten für die große Reise gearbeitet, gespart, die Ausbildung beschleunigt. Sind Sie enttäuscht, dass es so gelaufen ist?
Ich bin schon etwas enttäuscht, weil ich jetzt erst einmal einen Monat Leerlauf habe – und alles ganz anders gekommen ist als geplant. Aber in Anbetracht der Situation war dies noch die beste Lösung. Die große Reise wird aber nachgeholt!
Wie geht es jetzt weiter?
Ich wechsle im Herbst an die Uni, bis dahin will ich arbeiten. Es soll in Richtung Wirtschaft gehen, das bietet sich für eine Industriekauffrau ja an.
Update: Freitag, 24. April 2020 20 Uhr
Sarah Schäufele aus Weinheim sitzt in Peru fest
Die 21-Jährige wollte Spanisch lernen und Südamerika bereisen - Nun ist sie auf ihre Gastfamilie angewiesen - Im RNZ-Interview spricht sie von einer Erfahrung fürs Leben

Von Philipp Weber
Weinheim. Es war ein lang gehegter Traum: Nach ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau wollte Sarah Schäufele reisen. Sie machte sich auf den Weg nach Cusco, der Flieger hob am 6. März ab. "Jeden Cent dafür habe ich selbst finanziert", so die 21-jährige Weinheimerin. Sie hatte neben der Ausbildung im Café gearbeitet. In Cusco wollte sie einen Spanischkurs besuchen, dann durch Lateinamerika reisen und nach ihrer Rückkehr ein Studium aufnehmen. Jetzt sitzt sie fest.
Der Spanischkurs hatte vier Tage lang stattgefunden. Begonnen hatte der Kurs an einem Montag, am darauf folgenden Donnerstagmittag erfuhren die Schüler, dass ab Freitag kein Unterricht mehr angeboten wird. Zunächst wollte Sarah Schäufele die restlichen eineinhalb Wochen in Cusco mit Sightseeing verbringen und dann weiterreisen.
Doch Perus Präsident Martín Vizcarra rief eine 15-tägige nationale Quarantäne aus. Sie durfte nicht mehr aus dem Haus. Für Touristen drohten Verhaftungen. Seither ist die 21-Jährige mit zwei weiteren Schülern aus Belgien und den USA bei der Gastfamilie. Die Ausgangssperre wurde bis zum 12. April verlängert.
Frau Schäufele, wie geht es Ihnen?
Den Umständen entsprechend ganz gut. Die ersten Tage waren schwierig, da ich das alles erst einmal verdauen musste. Aber ich bin hier sicher und gut versorgt.
Können Sie beschreiben, was in Peru passiert?
Der Staat hat mit der nationalen Quarantäne erstaunlich schnell gehandelt, nach nicht einmal 100 bekannten Fällen. In Cusco waren bis dahin keine Fälle bekannt. Mittlerweile sind es zehn Fälle.

Können Schwerkranke versorgt werden?
Dazu kann ich leider nicht viel sagen. Im Fernsehen erhalten wir Einblicke, doch die Lage der Krankenhäuser wird mir nicht deutlich.
Wie viele Menschen leben bei der Gastfamilie, wie ist die Stimmung?
Wir sind acht Leute. Die Eltern mit ihren drei Söhnen und wir "Gäste". Der Vater ist Touristenguide und nun ohne Arbeit. Wir Schüler haben ein Apartment auf dem Dach mit je einem eigenen Zimmer und einem Gemeinschaftsraum. Eine kleine Terrasse ist vorhanden. Die Stimmung ist recht gut, da wir uns alle gut verstehen.
Wie verbringen Sie Ihre Zeit?
Mit Lesen, Kartenspielen, Spanisch und Englisch lernen – dabei ist es ein Vorteil, dass keiner Deutsch spricht und ich gezwungen bin, andere Sprachen zu sprechen. Ich mache kleine Sporteinheiten, um Bewegung zu bekommen, und schaue Filme mit der Familie und den anderen Schülern. Und ich telefoniere mit Freunden und Familie. Das läuft meist über WhatsApp-Anrufe, wenn es die W-LAN-Verbindung zulässt. Ich merke gerade jetzt, wie wichtig es ist, Kontakt zu Freunden und Familie zu haben, um über meine Gefühle sprechen zu können.
Versuchen Sie, zurückzukehren?
Ja, ich habe die Botschaft bereits am ersten Tag der Quarantäne informiert und mich in der Krisenversorgungsliste eingetragen. Aktuell gibt es für mich noch keine Möglichkeit, nach Deutschland zurückzukommen, aber da ich keine Verpflichtungen habe und hier erst mal sicher bin, ist das für mich derzeit kein Problem (Anm. d. Red.: Die deutsche Botschaft in Lima meldete am Montag, dass die ersten vier Rückflüge aus der Region Cusco am 1. und 2. April starten). Ich kann mir vorstellen, das Ende der Quarantäne abzuwarten. Ich hoffe, noch etwas von der Stadt und den näheren Sehenswürdigkeiten zu sehen, etwa Machu Picchu. Dies ist ein Traum seit meiner Kindheit. Chile und Argentinien kann ich erst mal vergessen. Aber ich denke sowieso nicht, dass dies aktuell eine gute Idee wäre. Derzeit kann ich nur abwarten, was als Nächstes passiert.
Wie geht es anderen Reisenden?
Ich habe zu einer Schweizerin aus der Sprachschule Kontakt. Sie wäre eigentlich noch vier, fünf Monate in Südamerika, unter anderem für ein Freiwilligenprojekt. Sie versucht nun, zurückzugelangen. Der US-Amerikaner will ebenfalls zurückreisen.
Was haben Sie bisher mitgenommen?
Dass das Leben nicht immer so läuft, wie man es geplant hat – und dass man sich Situationen stellen muss, auch wenn diese nicht zu ändern sind. Ich bereue nicht, die Reise angetreten zu haben. Ich konnte trotzdem dazulernen. Als ich abgereist bin, war die Lage hier noch völlig in Ordnung, wie in Deutschland. Es ging nun alles schneller. Ich glaube, da sitzen wir alle im selben Boot. Auch wenn die Ausgangslage sehr unterschiedlich ist. Ich versuche nun, das Beste aus der Situation zu machen – und bin mir sicher, dass ich an meinen Erfahrungen wachse.
Stand: 30. März 2020