Welt-AIDS-Tag 2019

"Das Problem fängt schon bei der Diagnose an"

Starke Vorurteile gegen HIV-Positive im Medizinwesen - Aids-Hilfe bekommt immer wieder Schreckensgeschichten zu hören

29.11.2019 UPDATE: 01.12.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden
Rote Schleife

Die rote Schleife gilt als Symbol der Solidarität mit HIV-Positiven und Aids-Kranken. Archivfoto: dpa

Von Marie Böhm

Heidelberg. Seit Jahrzehnten steht die Aids-Hilfe für die Rechte HIV-Infizierter ein. Sie berät, hilft und unterstützt Betroffene und deren Familien. Bis heute ist das noch bitter nötig: Ob im Berufsleben oder in der eigenen Familie – sobald eine HIV-Infektion bekannt ist, hat der Infizierte meist mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen. Sogar beim Arzt. "Dabei sollten es doch ausgerechnet Ärzte besser wissen", meint Elke Adler. Die Mitarbeiterin der Aids-Hilfe lebt selbst seit Jahrzehnten mit der Diagnose HIV positiv. Sie sagt im Vorfeld des Welt-Aids-Tages am Sonntag: "Bei der älteren Generation, die den ersten Ausbruch und die Panik um Aids miterlebt hat, kann man die Vorurteile noch nachvollziehen. Aber bei den Jüngeren frage ich mich immer wieder: Wurde der richtige Umgang mit HIV-Infizierten einfach nicht gelehrt?"

Als HIV-Infizierter werde man bei vielen Ärzten oft hintangestellt – oder ganz abgewiesen. Dabei steht es dem Patienten rechtlich frei, ob er Auskunft über seine Infektion erteilt. Ein Test auf HIV ist auch nur mit der Einwilligung des Patienten möglich. Oft wird nicht nur dieses Recht ignoriert. Edeltraud Berberich hat es selbst miterlebt. Ihr Sohn Dirk hat die "Bluterkrankheit" – und wurde schon als Kind bei einer Behandlung mit dem HI-Virus infiziert. 

Bei Dirk wurde Berberich nicht gefragt, ob er getestet werden darf: "Die Ärzte haben es damals einfach heimlich gemacht", erzählt sie. Und erfahren hat sie davon nur durch Zufall, als ihr auffiel, dass Dirks Akte als einzige mit einem roten Punkt markiert war. "Als ich nach dem Grund gefragt habe, war der Arzt ganz verwirrt und sagte nur: ‚Ja wissen sie denn nicht, dass er HIV-positiv ist?‘. Mir hatte vorher einfach niemand gesagt, dass mein kleiner, drei Jahre alter Sohn den Virus hatte."

Aber das war nicht das Ende der Diskriminierung. Vor gerade einmal fünf Jahren sei Dirk in einem Krankenhaus in der Region aufs Schwerste vernachlässigt worden: "Tagelang hat sich niemand richtig um ihn gekümmert. Der Arzt kam einfach nicht vorbei, seine Bettwäsche wurde nicht gewechselt. Er lag in einer Blutlache und niemanden schien es zu kümmern. Sogar das Essen wurde ihm nur vor die Tür gestellt", erzählt Berberich.

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Das sei kein Einzelfall, so Adler: "Immer wieder bekommen wir dieselben Schreckensgeschichten zu hören. Oft läuft das darauf hinaus, dass Patienten sich schlicht weigern, sich weiter behandeln zu lassen. Sie haben Angst, auch nur zum Zahnarzt zu gehen. Selbst da trifft man auf Diskriminierung." Dabei gebe es keine medizinischen Gründe, sondern es gehe um Vorurteile. "In den letzten 30 Jahren hat die Medizin enorme Fortschritte in der Behandlung des Virus gemacht." Man könnte heute mit den richtigen Medikamenten ein fast normales und langes Leben führen. "Man kann arbeiten, heiraten, gesunde Kinder kriegen. Die Virenwerte können so weit gesenkt werden, dass sogar eine Ansteckung anderer fast unmöglich wird." Die Behandlung von Patienten mit dem Virus sollte also gar kein Problem sein. Adler: "Die normalen Hygienestandards für Praxen und Krankenhäuser reichen völlig aus."

Heidi Emling, die Dienststellenleiterin der Aids-Hilfe Heidelberg, bietet mit Kollegen Schulungen für Krankenhauspersonal an. In diesem Bereich herrsche oft Ignoranz zum Thema HIV: "Das Problem fängt schon bei der Diagnose an", sagt Emling. Manchmal würde die Infektion gar nicht in Betracht gezogen und würden statt der Ursachen die Symptome behandelt. "Wir hatten schon mit Leuten zu tun, denen eine solche Fehldiagnose fast das Leben gekostet hat."

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