150 Jahre Heidelberger Kunstverein

Gegenwart in vielen Facetten

Institution feiert Jubiläum mit rauschendem Fest, Vernissage und Podiumsdiskussion

05.07.2019 UPDATE: 06.07.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 29 Sekunden

Mit der Ausstellung "Blau - Farbe der Ferne" wurde 1990 der Neubau des Heidelberger Kunstvereins eröffnet. Foto: Gabriele Pée-Seidel

Von Julia Behrens

Heidelberg. 150 Jahre Gegenwart - so überschreibt der Heidelberger Kunstverein sein großes Jubiläum, das an diesem Wochenende mit zahlreichen Veranstaltungen begangen wird. Es ist ein kluges Motto von Kunstvereinsleiterin Ursula Schöndeling, denn das Zeigen, Fördern und Vermitteln von zeitgenössischer Kunst steht im Zentrum der im 19. Jahrhundert gegründeten Institution. Tatsächlich reflektiert die wechselhafte Geschichte des Heidelberger Kunstvereins gesellschaftliche und historische Ereignisse und trägt ihrerseits zur kulturellen und politischen Entwicklung der Neckarstadt bei.

Wie zuvor in Karlsruhe, Freiburg oder Mannheim wird auch der Kunstverein in Heidelberg durch bürgerschaftliches Engagement aus der Taufe gehoben. Schon kurz nach seiner Gründung am 7. Juli 1869 präsentiert er - in den Räumen einer Schule in der Altstadt - eine umfangreiche Ausstellung mit lokalen und namhaften überregionalen Künstlern. Durch den Beitritt in den Rheinischen Kunstverein nimmt die Einrichtung außerdem an groß angelegten Wanderausstellungen teil und ist auf diese Weise in der Lage, ihrem Publikum einen breiten Überblick über die deutsche Kunstszene zu verschaffen. Ein Gewinn für Heidelberg, das zu diesem Zeitpunkt noch kein städtisches Museum besitzt.

Gründungsaufruf vom 4. Juli 1869 in der Heidelberger Zeitung. Repro: RNZ

Der Gemeinderat unterstützt die Institution von Anfang an mit finanziellen Zuschüssen. Doch auf ein eigenes Haus muss der Verein über 120 Jahre lang warten und ist aufgrund äußerer Umstände - zum Beispiel der Nutzung seiner von der Stadt zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten für die Versorgung von Kriegsversehrten - immer wieder zu Umzügen gezwungen. Auch das ehrgeizige Ziel, eine eigene Sammlung aufzubauen und in einer Dauerschau zu zeigen, verstärkt die Raumnot.

Zwischen 1895 und 1910 gibt Henry Thode, Professor für Kunstgeschichte in Heidelberg, als erster Vorsitzender des Kunstvereins einen national geprägten Ton an, indem er in einer deutschlandweit geführten Debatte gegen die neue Strömung des Impressionismus anwettert und Künstler wie Hans Thoma oder Arnold Böcklin favorisiert.

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Ernstzunehmende Gehversuche in Richtung Avantgarde werden erst Anfang der 1930er-Jahre unternommen - mit einem "Querschnitt durch die moderne Kunst" sowie einer Schau mit Arbeiten aus der Sammlung Prinzhorn, die noch lange keine eigene Bleibe hat. Diese progressive Entwicklung unter dem Kunsthistoriker August Grisebach wird von den Nationalsozialisten mit einer Auswechslung des Vorstands und einem propaganda-konformen Programm jäh gestoppt, kann aber nach einer Neugründung 1946 fortgeführt werden. Jetzt kommen solche Künstler zur Ausstellung, die im Dritten Reich als "entartet" galten, dann aber mit der Zeit selbst zu Klassikern wurden. Erst Ende der 1960er-Jahre ist mit dieser etwas bequemen Sicht auf etablierte Zeitgenossen und einem damit korrespondierenden, von Christmut Präger in seiner Chronik von 1994 so treffend bezeichneten "gutbürgerlichen Vereinswesen" Schluss.

Mittlerweile hatte der Kunstverein ein neues, weiterhin provisorisches Domizil in der Gartenhalle des Kurpfälzischen Museums gefunden. Kustos Jens Christian Jensen übernahm den ersten Vorsitz, öffnete sich neuen Ansätzen, machte aber bei der 100-Jahr-Feier den Fehler, einen Rückblick zu präsentieren: Darauf reagierte eine junge, aufgebrachte Künstlerschaft unter der Leitung von Klaus Staeck und Jochen Goetze mit der legendären Gegenveranstaltung "intermedia ‘69", zu der sie zahlreiche Aktionskünstler einlud und zusammen mit Christo das Amerika-Haus in der Sophienstraße (heute Deutsch-Amerikanisches Institut) verpackte.

Hintergrund

Das Festprogramm

> 6. Juli: Jubiläumsfest mit Vernissage der Mitgliederausstellung, ab 19 Uhr.

> 7. Juli: Gespräche zum Brunch über die Vergangenheit und Zukunft von Kunstvereinen, ab 12 Uhr, mit den

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Das Festprogramm

> 6. Juli: Jubiläumsfest mit Vernissage der Mitgliederausstellung, ab 19 Uhr.

> 7. Juli: Gespräche zum Brunch über die Vergangenheit und Zukunft von Kunstvereinen, ab 12 Uhr, mit den ehemaligen Kunstvereinsleitern Hans Gercke, Johan Holten und Susanne Weiß sowie der jetzigen Chefin Ursula Schöndeling.

> Der 1. Teil der Chronik wird beim Festakt am 6. Juli präsentiert, der 2. Teil erscheint im Herbst 2019. Die Chronik ist in analoger und in digitaler Form erhältlich (ab Samstag Abend freigeschaltet).

> Adresse: Heidelberger Kunstverein, Hauptstraße 97, 69117 Heidelberg, Tel: 06221-184086. Internet: www.hdkv.de

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Hans Gercke greift diese Tendenzen ab 1970 auf und entwickelt als erster, fest angestellter Direktor ein Ausstellungsprogramm, das aktuelle lokale und überregionale Strömungen berücksichtigt und vor der gelegentlichen Konfrontation von Mitgliedern und Publikum nicht zurückschreckt. Der Kunsthistoriker ist bestens vernetzt. Er versteht es, die Stadtgesellschaft für Zeitgenössisches zu begeistern und gleichzeitig mit mutigen Formaten - wie der Ausstellung "Der Baum" von 1980 zum Thema Waldsterben - wachzurütteln. Segen und Fluch zugleich ist die gefeierte Schau zur Farbe "Blau - Farbe der Ferne", mit der Gercke und sein Team 1990 den so lange herbeigesehnten Kunstvereinsneubau neben dem Kurpfälzischen Museum einweihen. Der Ansturm von 120.000 Besuchern macht "Blau" zu einem Ereignis, an dem zukünftig alles gemessen wird.

2006 reicht Hans Gercke nach 36 Jahren den Führungsstab an Johan Holten weiter. Der dänische Kunsthistoriker leitet einen Richtungswechsel ein und lenkt den Blick verstärkt auf internationale Positionen im Bereich der Konzeptkunst. Er hinterfragt gängige Rezeptionsmuster, greift mit der Ausstellung "Islands + Ghettos" brisante sozialpolitische Themen auf oder punktet mit der Einladung von Kollektiven wie Rimini Protokoll oder Raumlabor. Das zahlt sich aus: 2009 erhält die Institution den ADKV-Preis für den besten deutschen Kunstverein. Im gleichen Jahr lässt Holten dann noch einmal die "intermedia" von 1969 aufleben.

Obwohl die neue, konzeptuelle Orientierung des Kunstvereins für Publikum und Mitglieder eine Herausforderung darstellt, entscheidet man sich mit der Ernennung von Susanne Weiß im Jahr 2012 für eine Beibehaltung dieses Kurses. Weiß ist wie Holten an transformativen Prozessen interessiert und startet mit einer auf Partizipation ausgelegten Schau von Ulf Aminde, in der der Verein als Chor auftritt. Immer wieder nimmt Weiß kuratorisch Bezug auf Heidelberg, weitet gleichzeitig den Blick für außereuropäische Kulturen und entscheidet sich vermehrt für weibliche Positionen.

Auch Ursula Schöndeling ist es ein Anliegen, die Jetztzeit mit ihrem Programm aktiv mitzugestalten. Gerade mit der jüngsten Plakat-Schau "act up" sendet die Direktorin, die den Kunstverein seit 2017 leitet, ein deutliches Signal im Hinblick auf die demokratische Wirksamkeit provokativer Kunst. Außerdem lässt sie unterschiedliche Generationen in Dialog treten und integriert dafür aufschlussreiche ältere Arbeiten in ihre Präsentationen. Wie stark der Heidelberger Kunstverein mit seinen Ausstellungen, Aktionen und Veranstaltungen bereits in die Gesellschaft hineingewirkt hat, das demonstriert sie zusammen mit ihrem Team in einer neuen, zum Jubiläum vorgelegten Chronik, die - vom Heute ausgehend - im Format einer Zeitung schlaglichtartig wichtige Ereignisse herausgreift und diese zum jeweiligen Zeitgeschehen in Bezug setzt.

Viele Facetten von 150 Jahren Gegenwart werden jetzt auch in der Ausstellung zu sehen sein, in der einige der rund 800 Mitglieder eines der größten Kunstvereine in Deutschland ihre Lieblingswerke zeigen.

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