Das Porträt

Pascal Baumgärtner – Der Großdenker

Früher bestand sein Leben aus Fußball. Heute will Pascal Baumgärtner Heidelberg mit Kunst verändern. Über einen positiv Verrückten.

27.06.2019 UPDATE: 30.06.2019 06:00 Uhr 6 Minuten, 12 Sekunden

Pascal Baumgärtner in der ehemaligen Commissary in Patrick Henry Village. Der alte Supermarkt für die US-Militärangehörigen wird das künstlerische Zentrum des fünften "Metropolink"-Festivals für urbane Kunst. "An diesem Ort", sagt Baumgärtner, "kann Großes entstehen." Foto: Rothe

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Da steht er, an diesem heißen Nachmittag Ende Juni, in einem alten Supermarkt im Süden Heidelbergs und ist irgendwie unzufrieden mit der Gesamtsituation: "Ey, das ist Wahnsinn, was hier gerade abgeht." Pascal Baumgärtner hat sich ein bisschen Zeit genommen für einen kleinen Rundgang durch die ehemalige Commissary. Dabei hat Baumgärtner eigentlich ganz andere Sorgen als mit der Presse zu reden. Denn in wenigen Tagen soll hier, in der Ex-US-Militärsiedlung Patrick Henry Village, das "Metropolink"-Festival für urbane Kunst" starten.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der das Gelände gehört, hat es zur Verfügung gestellt, die Stadt das nötige Kleingeld. Doch jetzt, kurz bevor es losgeht, hat Baumgärtner "viele schlaflose Nächte". Der Vermieter fordere auf einmal mehr Geld, die Kunstwerke sollen nach zwei Wochen wieder verschwinden. Dabei hatte er, der Erfinder des Festivals, sich das ganz anders vorgestellt. "Wenn ich das alles mache und permanent nur Steine in den Weg gelegt bekomme", sagt Baumgärtner, "das fuckt mich echt ab".

Pascal Baumgärtner, 36 Jahre alt, Dreitagebart, Tanktop, Turnschuhe, bunte Socken, blickt in den Verkaufsraum des Supermarkts, wo bis vor einigen Jahren noch Militärangehörige der US-Streitkräfte einkauften. In den Gängen zwischen den Regalen, in denen einst Lebensmittel auslagen, lagern heute alte Waschmaschinen. Am Boden Scherben und Knallkörper. Zeugnisse der Zerstörungswut von Menschen, die den leer stehenden Supermarkt als Spielwiese sahen. "Ich find’s ne geile Fläche", sagt Baumgärtner und nimmt einen Schluck aus der Fanta-Flasche. Egal wie groß die Steine, die ihm in den Weg gelegt werden, Baumgärtner räumt sie dann eben weg. "Ich glaube immer an Lösungen", sagt er und fügt hinzu: "Es ist ja auch total interessant, so etwas zu machen."

Ehrgeizig, das war der geborene Rauenberger schon immer. Auch wenn sein Ehrgeiz nicht seit jeher der Kunst galt. "Die erste Hälfte meines Lebens bestand aus Fußball, Fußball, Fußball." Als junger Erwachsener spielt Baumgärtner für die TSG Hoffenheim. Sechs Mal die Woche steht er auf dem Fußballplatz. "Ich war wirklich extrem fit", sagt Baumgärtner. Doch irgendwann hat er genug. "Ich musste weg, weil mir dieses Fußball-Ding zu wenig war." Sein damaliger Coach, Weltmeister Hansi Flick, habe ihm gesagt: "Das kannst du doch nicht machen. Du lässt deine Mannschaft im Stich." Doch Baumgärtner dachte sich: "Ich muss mal raus. Mich ausleben."

Mit Anfang 20 landet er am Mittelmeer, in Barcelona. Die pulsierende Metropole hat es ihm angetan. Die Sprache, die Menschen, die Vibes. Er arbeitet in einer Galerie, lernt spanische Künstler kennen, verkauft Falafel auf dem Boulevard "La Rambla". "Barcelona war eine große Inspiration für mich und hat mir gezeigt, was man überhaupt alles machen kann im Leben." Als seine Zeit dort nach sechs Monaten vorbei ist, denkt er sich: "Scheiße, Mann, ich muss zurück."

Patrick Henry Village, elf Tage vor dem Start von "Metropolink": Festivalmacher Pascal Baumgärtner setzt sich auf eine Metallstange im Supermarkt und zündet sich eine Zigarette an. Er muss heute Nacht noch einen Künstler vom Flughafen abholen. "Und wenn ich nicht zu fertig bin, dann führ’ ich ihn heute noch über die Fläche." Seit Wochen arbeitet Baumgärtner quasi durch. Sorgt dafür, dass Wasseranschlüsse gelegt werden, schreibt Sicherheitskonzepte, telefoniert mit Verwaltungsmenschen und verhandelt mit der Polizei, wenn die seine Künstler mal wieder wegen Hausfriedensbruch angezeigt hat. Zwischendrin bringt er seinem Sohn ein Paar Schuhe in die Kita. Warum tut er sich das alles an? "Es geht darum, Dinge zu verändern, Menschen zum Denken zu bringen, Bewusstsein zu schaffen", sagt er.

Ob Oberbürgermeister, Baubürgermeister oder Bundestagsabgeordnete: Sie alle feiern Baumgärtner und sein Festival. Neulich, bevor sie in Bergheim das neue Zentrum für Asienwissenschaften eröffnet haben, rief ihn Wissenschaftsministerin Theresia Bauer an, ob er sie nicht begleiten wolle. Dort erzählt Baumgärtner, sei er auf Ai Weiwei getroffen, den vielleicht einflussreichsten Künstler unserer Zeit. Sie unterhielten sich über Kunst, Stadtentwicklung, darüber, wie man Flüchtlinge besser integrieren kann. Beide seien sich einig gewesen: "Warum stehen bleiben?" Man lebe hier in einem unglaublichen Wohlstand mit allen Möglichkeiten, sagt Baumgärtner. "Warum also nicht auch mal sagen: Ok, wir machen kein Nullachtfünfzehn mehr, wir machen Nullneun?"

Es ist dieser typische Baumgärtner-Sprech. Er sagt gerne Sätze wie "Das ist echt abgefahren", "Das ist extrem spannend", "Das ist echt krass", "Das ist schon crazy" oder "Das ist das Feeling". Lieber ein bisschen dicker auftragen. Lieber klotzen statt kleckern. Es ist nicht immer leicht, Baumgärtners Worten, seinen Ideen zu folgen. Manchmal ist er in einer ganz eigenen Welt. Einer Welt voller Visionen und Utopien. Zu der hat nur er Zugang.

Graffiti-Künstler Cedric Pintarelli kennt Baumgärtner seit etwa elf Jahren. Heute sagt er: "Pascal bringt schon eine große Portion Verrücktheit mit. Aber er ist eben auch ein absoluter Visionär. Ich schätze sehr an ihm, wie groß er denkt." Wer groß denkt, trägt meist auch viel Verantwortung. "Pascal", sagt Pintarelli, "ist wirklich überall mit drin. Er müsste einfach auch mal was abgeben können." Dass Baumgärtner von morgens bis abends arbeitet und dann, nachts, auch noch persönlich die Künstler vom Flughafen abholt, versteht Pintarelli nicht ganz. Doch auch er weiß: Am Ende kriegt Baumgärtner es dann doch alles irgendwie hin. "Er ist einfach unheimlich zäh. Ich wäre da in seiner Situation schon öfter eingeknickt und hätte aufgegeben", sagt er. "Aber er steht wirklich für die Sachen ein, die er macht."

Baumgärtner hat mit seinen 36 Jahren schon so einige Sachen gemacht. Er hat Philosophie, Spanisch und Italienisch studiert, in Rom gelebt, in Berlin und Hamburg gearbeitet. Sogar Stadtrat war er schon. 2009 zog er mit 26 Jahren für die Liste "Generation HD" in den Gemeinderat ein. "Ich war jung, trug Ohrring und hatte auch noch eine eigene Meinung." Da sei er oft belächelt worden, erinnert sich Baumgärtner. Immer hinter ihm, als Parteikollege und Freund: der heutige Grünen-Stadtrat und Ex-OB-Kandidat Derek Cofie-Nunoo. "Er war das ideale Backup für mich", sagt Baumgärtner. Gemeinsam kämpften sie für Freiräume für die Heidelberger Subkultur. Für Orte wie das Dezernat 16, wo sich Kreative austoben können, Freischaffende ein bezahlbares Büro finden. "Dass das Thema Kultur- und Kreativwirtschaft überhaupt in der Kommunalpolitik Fuß gefasst hat, dafür war Pascal extrem wichtig", sagt Cofie-Nunoo. Damals seien viele Künstler nach Berlin, Hamburg oder ins Ausland abgewandert. Baumgärtner war anders: "Er blieb hier und hat ein Signal an die subkulturelle Szene gesendet, hat gezeigt, dass Kreative auch in Heidelberg eine Stimme haben."

Kommunalwahl 2014. Die "Generation HD" zerfällt, Baumgärtner wird nicht wiedergewählt. Im Rückblick, sagt Cofie-Nunoo, sei das gut gewesen für Baumgärtner. "Sonst wäre er immer in diesem Dilemma zwischen politischer Abhängigkeit und beruflicher Unabhängigkeit gewesen." Auch Baumgärtner sagt: "Mir geht es besser, so wie es ist." Das bedeutet nicht, dass er sich nicht mehr für Stadtpolitik interessiere. "Ich bin immer noch mega politisch aktiv. Nur auf andere Art und Weise." Die Arbeit im Gemeinderat habe ihm aber gezeigt, wie zäh politische Prozesse sind, wie lange es dauert, Dinge umzusetzen.

Leichter tat sich Baumgärtner schon immer in der kulturellen Szene. Hier hat er seine Ideen verwirklicht, Tatsachen geschaffen. Gemeinsam mit Patrick Forgacs gründete er die Initiative "Subkultureller Fortschritt", bespielte leerstehende Räume auf dem Bergheimer Landfried-Gelände, dem ehemaligen Schmitthelm-Areal im Pfaffengrund, eröffnete eine Pop-up-Galerie in einem ehemaligen Möbelgeschäft am Neckar und die "Wow-Galerie" in der Alten Eppelheimer Straße. Als Galerist hat er sich dennoch nie gesehen. Viel eher als Kurator, der versucht, "die Stadt attraktiver zu machen". 2014 organisiert Baumgärtner im alten Justizgebäude in der Bahnhofstraße seine "erste große Kunst-Installation. "Da sind wir richtig durchgedreht und haben alles abgefeuert, was es an Farbe gab." Oberbürgermeister Eckart Würzner sei bei der Eröffnung zu ihm gekommen und habe gesagt: "Mach’ doch ein Festival." Baumgärtner gab zurück: "Wenn ihr wollt, dass ich das weitermache, dann brauche ich Geld." Die Stadt schießt ihm 10.000 Euro zu. Nach neun Monaten Planung und "viel Bürokratie" geht "Metropolink" 2015 erstmals an den Start.

Vier Jahre später ist die Stadt bunter, das Festival eine nationale und internationale Attraktion. Heute kommen Künstler aus aller Welt nach Heidelberg, bemalen Wände in der ganzen Stadt, machen Installationen. Ist er jetzt da, wo er immer hin wollte? "Ich würde nie sagen, dass ich wo angekommen bin." Rastlos, fügt er hinzu, sei er aber auch nicht. "Ich habe einfach nur so ’ne Energie, Bock, Dinge zu verändern." Kann eine Stadt wie Heidelberg auf Dauer groß genug sein für jemanden wie Pascal Baumgärtner? "Es juckt mich, das alles hier zu machen. Ich würde das nicht in Berlin machen wollen." Hier hat er sich über die Jahre ein riesiges Netzwerk aufgebaut. Hier fühlen er und seine Familie sich wohl. "Für die Kids ist die Infrastruktur optimal", sagt Baumgärtner. Diese "Kids", seine zwei Söhne im Alter von einem und zehn Jahren, sind es, die Baumgärtner runterholen vom Stress vor und während des Festivals. Wenn er abends heimkomme und sein Sohn Fußball spielen wolle, dann könne er mit seinen Gedanken nicht woanders sein, sagt er.

Nicht mehr woanders sein - das gilt auch für die Zukunft von "Metropolink". Baumgärtner setzt sich auf einen Betonklotz vor dem Supermarkt, vor sich ein riesiger Parkplatz, Laternenmasten, hier und da ein Baum. "Wenn ich hier hocke, denke ich: Geil, das ist der Ort." Seit zehn Jahren ziehe er immer nur von einem Ort zum anderen. "Wie ein Nomade." Jetzt sei es an der Zeit, ein eigenes Headquarter aufzubauen, wo das Festival dauerhaft bleiben könne. Aus dem alten US-Supermarkt will er die "PX Factory" machen, einen Raum, wo künftig Künstler und Kreative aus Heidelberg und aller Welt Kunst machen können. Oder wie Baumgärtner es ausdrückt: "An diesem Ort kann Großes entstehen."

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