Wie Kommissar Oettinger für die EU wirbt
Beim "Thementag" der Stadt: Locker, gewitzt und temperamentvoll plauderte EU-Kommissar Günther Oettinger über Europa

Günther Oettinger, einstiger Ministerpräsident Baden-Württembergs und nun EU-Haushaltskommissar, kam auf Einladung der Stadt ins Bergheimer Kreativwirtschaftszentrum "Dezernat 16" - zum lockeren Plausch über Europa. Foto: Rothe
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Prominenter Besuch hatte sich angekündigt zur Jahresauftaktveranstaltung der Stadt: Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, appellierte in seiner kurzweiligen und mit Anekdoten gespickten Rede im Vorfeld der Europawahl am 26. Mai an die Zuhörer: "Diese Wahl muss Ihnen so wichtig sein wie die Bundestagswahl." Die Veranstaltung "Zukunftsvisionen für ein junges Heidelberg und für Europa" - eine Art inoffizieller Jahresauftakt der Stadt Heidelberg - spannte über fünf Stunden einen Bogen von den ganz großen Entscheidungen mit Weltformat zu den kleinen im Lokalen. Immer wieder ging es auch darum: Welche Rolle spielen dabei die jungen Leute? Und der Höhepunkt dieses Tages war der locker wirkende Ex-Ministerpräsident und jetzige EU-Kommissar Oettinger, der in bester Plauderlaune war.
Und er hatte seine ganz eigenen Erinnerungen: Elsässer Riesling sollte der damals 18-jährige Oettinger seinem Opa aus Straßburg mitbringen, erzählt der heute 65-Jährige. Die Oma hatte ihm noch Reiseschecks zugesteckt, an der Grenze wurde er jeweils eine halbe Stunde gefilzt. Was Oettinger Anfang der siebziger Jahre erlebte, ist der jungen Generation kaum mehr zu vermitteln: "Heute fährt die Bahn zwischen Kehl und Straßburg im Acht-Minuten-Takt über den Rhein", schmunzelt er.
Es sind wohl nicht nur die kleinen Anekdoten, die dem Publikum in Erinnerung geblieben sind. Eindringlich mahnte Oettinger: "Wir brauchen einen Plan-2050." Ob man denn ernsthaft glauben könne, dass dann noch sechs der neun G9-Teilnehmer Europäer sein werden? "Wenn wir auf der Weltbühne an dem Tisch, an dem entschieden wird, sitzen wollen, dann brauchen wir die EU", so der 65-Jährige: "Alles andere würde im Sandwich zwischen Schanghai und dem Silicon Valley zerdrückt.
Natürlich sei die EU noch nicht perfekt, auch der Euro ist es nicht: "Er ist noch nicht vollendet, aber er kann eine zweite Leitwährung werden", so Oettinger. Wenn er früher in den Urlaub gefahren sei, habe er mehrmals sein Geld umtauschen müssen, die letzten "Öschis", also Schilling, für Strohrum auf den Kopf hauen: "Wir haben früher acht Geldbeutel zuhause gehabt", lacht Oettinger. "Damals der Gewinner: die Geldbeutelindustrie. Der heutige Gewinner: Wir alle." Besondere Bedeutung habe allerdings noch etwas anderes: "Wir können Frieden und Werte exportieren", schwärmt Oettinger. Die EU sei ein Garant für den Frieden und könne ihn auch dort gewährleisten, wo Länder sich der EU anschließen wollen. Ob man es also schaffe, Kriege zu verhindern, "daran werden uns unsere Kinder einmal messen".
Auch interessant
Im Gespräch mit Micha Hörnle, Leiter der Stadtredaktion der RNZ und Moderator der Veranstaltung, verriet Oettinger auch noch, was er davon hält, dass die EU ein Bürokratiemonster sei. "Lieber eine Bürokratie als 28 Bürokratien", antwortet der EU-Kommissar trocken und klärt dabei noch über die Verordnung zur Krümmung der Gurken auf - das meistzitierte Beispiel unsinniger EU-Bürokratie. Denn die sei nicht auf dem Mist der EU gewachsen und existiere heute gar nicht mehr. Trotzdem blieb die Krümmung gleich: "Sie hat sich also bewährt", scherzte Oettinger.
Viel größere Sorgen machen dem EU-Kommissar die Populisten, die es vielerorts in die Parlamente geschafft haben. "Es eint sie alle nur eins: Zerstört Europa!", so Oettinger. Das müssten die Menschen verhindern, indem sie ihre Stimme abgeben: "Diese Wahl ist wichtiger als jede zuvor", mahnte der EU-Kommissar die 500 Zuhörer. Auch für die Region: "Der freie Binnenmarkt ist der Ast, auf dem der Wohlstand von Baden-Württemberg ruht."