Seit Wochen müssen Familien ohne Strom leben
Kein Herd, kein Licht, kein Fernseher, kein Kühlschrank - Behörden reagierten auf Brandgefahr

Außen hui, innen pfui. Der "Löwen" ist das mächtigste Fachwerkhaus der Stadt. Hinter der schönen Fassade herrschen schlimme Zustände. Foto: Günther Keller
Von Günther Keller
Neckarbischofsheim. Wenn ein Familienmitglied der Batistas zu nächtlicher Stunde auf die Toilette muss, dann wird zum Handy gegriffen: Im funzligen Schein der eingebauten Lampe geht es durch verwinkelte Gänge, um dann im Halbdunkeln das Geschäft zu erledigen. Das ganze Haus liegt im Finstern.
Seit über sechs Wochen gibt es keinen Strom im prächtigsten Fachwerkbau der Stadt. Die Hälfte der Bewohner ist inzwischen fluchtartig ausgezogen. "Das Haus ist eigentlich nicht bewohnbar", sagt die Eigentümerin unumwunden.
Kein Strom, das heißt nicht nur kein Licht, sondern auch: kein Herd, keine Waschmaschine, kein Fernseher - und vor allem kein Kühlschrank. "Was wir bis abends nicht gegessen haben, können wir wegwerfen", erklärt Jaime Batista. Seine Frau säubert die Kleidung notdürftig im Waschbecken in lauwarmem Wasser, zwei wacklige Camping-Kocher aus dem Baumarkt übernehmen die Funktion der Herdplatte.
Die Familie mit zwei erwachsenen Söhnen ist erst im Januar eingezogen und will jetzt schnellstmöglich raus. Zum 1. August soll irgendwo eine Wohnung freiwerden, haben sie gehört. So lange muss man noch durchhalten.
Dass im früheren "Löwen" der Strom abgestellt wurde, hat Brandschutzgründe. Immer wieder waren die Sicherungen durchgebrannt, wenn mehrere elektrische Geräte in Betrieb gingen. Die Stromleitungen, so zeigte eine Inspektion, waren völlig marode, zweiadrig und teilweise noch stoffummantelt.
Und dann stellte sich heraus, dass Hausbewohner an der Installation herumgepfuscht hatten. Dilettantisch verlegte Kabel ziehen sich von der Panzersicherung im Dachboden übers Treppenhaus bis in die Wohngeschosse. Ordnungsamt, der Stromversorger EnBW und sogar die Polizei rückten an, um den Bewohnern zu verkünden: Der Strom wird komplett abgestellt.
Zuerst zu spüren bekam das der Betreiber der Eisdiele "Chiara & Dalila" im Erdgeschoss. Im März hatte er eröffnet, und als er im Mai bei anziehenden Temperaturen das große Geschäft witterte, schmolzen ihm Stracciatella und Vanille davon. "Ich musste alles wegwerfen", erzählt er.
Das Eiscafé wurde "wegen Stromschaden", wie auf einem Hinweisschild zu lesen war, zehn Tage geschlossen, bis eine notdürftige Elektroinstallation eingerichtet war. Da war aber das Wetter schon wieder schlechter.
Auf ihren Stromanschluss warten immer noch die Eheleute Demir. Seit über 20 Jahren wohnt das ältere Paar im "Löwen", jetzt wurde den beiden gekündigt. Das Haus müsse zunächst leer sein, dann könne man mit einer größeren Sanierung beginnen, heißt es von Seiten der in Kirchardt lebenden Eigentümer.
Zwei Familien sind ausgezogen, sind bei Freunden und Verwandten in der Umgebung untergekommen und haben am Straßenrand einen gewaltigen Müllberg hinterlassen - auch ein Indiz für die prekäre Wohnsituation in dem aus dem 16. Jahrhundert stammenden und als Kulturdenkmal eingetragenen Gebäude. Anfangs der 1970er Jahre war nach einem verheerenden Dachstuhlbrand einiges in Ordnung gebracht worden, aber die Substanz des Gebäudes ist fragil.
Bei einem Rohrbruch, so berichten Nachbarn, schoss einmal das Wasser durch mehrere Stockwerke. Wenn man mit den Fingern an die Wände klopfe, falle der Putz ab. Die Holzböden seien uralt und schief, die labyrinthischen Treppen Stolperfallen.
Die Frage, ob sie das Gebäude heute noch einmal kaufen würde, will die Eigentümerin nicht beantworten. Sie will lieber verkaufen. 249.000 Euro sind in einem Internetportal als Preis für das 424 Quadratmeter große Grundstück mit dem Fachwerkbau aufgerufen. Es soll Interessenten gegeben haben, so wird erzählt. Gekauft hat dann aber doch niemand.