Warum B&S 32 000 Quadratmeter braucht
Streit um Gewerbegebiet Hintere Mult: Hauptinteressent führte ATU und Landwirte durch Betrieb

Daniel Hohlfeld (r.) führte die ATU-Mitglieder und Landwirte durch die Firma. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim. Großer Bahnhof für den Ausschuss für Technik und Umwelt (ATU), die Pressevertreter und einige Landwirte: Zunächst wurden sie gestern von den Chefs des Filterherstellers "B&S Industrieservice" durch den Betrieb geführt. Danach ging die Firmenleitung auf Fragen ein. Mit dabei war auch der städtische Wirtschaftsförderer, Jens Stuhrmann: "Es geht um Arbeits- und Ausbildungsplätze - und um unser Ziel, dass möglichst jeder junge Weinheimer vor Ort etwas findet", sagte er zu Beginn der Diskussion.
Hintergrund
Weinheim. (web) Sind die Firma B&S und die Qualität ihrer Arbeitsplätze so wertvoll, dass allein für sie über drei Hektar Ackerfläche weichen müssen? Auf diese - zugegebenermaßen provokante - Fragestellung schien sich die Diskussion zwischen einzelnen ATU-Mitgliedern und
Weinheim. (web) Sind die Firma B&S und die Qualität ihrer Arbeitsplätze so wertvoll, dass allein für sie über drei Hektar Ackerfläche weichen müssen? Auf diese - zugegebenermaßen provokante - Fragestellung schien sich die Diskussion zwischen einzelnen ATU-Mitgliedern und der Firmenleitung nach der gestrigen Betriebsführung (siehe weiteren Bericht) zuzuspitzen. Letztlich kristallisierten sich folgende Fakten heraus.
> Derzeit arbeiten 210 Menschen für die Firma, größtenteils in einem Zwei-Schicht-Modell. Wenn die Erweiterung in der Hinteren Mult zustande kommt, erhöht sich die Anzahl der Jobs auf rund 350. Aktuell arbeiten 180 B&S-Beschäftigte in Weinheim, der Rest in Heppenheim. Wenn in rund vier Wochen Lagerflächen und Verpackungstätigkeiten (einstweilen) nach Hessen verlegt werden, müssen weitere 45 Arbeitnehmer den Weg dorthin antreten. Die Firma denkt an Shuttlebusse und Sonderlösungen für Nicht-Vollbeschäftigte.
> 29 Prozent der Mitarbeiter leben in Weinheim, weitere 35 Prozent im Umkreis der Zweiburgenstadt. 30 Prozent der Mitarbeiter kommen aus Polen. Hintergrund: Als B&S an den Start ging, wurden Arbeitskräfte gebraucht - und unter der deutschstämmigen Minderheit in Schlesien gefunden. Folglich haben die "polnischen" Mitarbeiter auch deutsche Pässe. Eine weitere Besonderheit ist, dass viele von ihnen zwei Wochen im Monat in Weinheim arbeiten, um dann wieder zwei Wochen nach Polen zurückzukehren.
> Aktuell finde man indessen genügend Interessenten aus der Region, hieß es. Auch weil andere Werke mit gering qualifizierten Beschäftigten schließen. Etwa 20 Prozent der Beschäftigten verdient Mindestlohn, der Rest mehr. Der Mindestlohn betreffe diejenigen, die zum Beispiel (Anfangs-)Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Es gibt einen Haustarifvertrag, aber keinen Betriebsrat. Aktuell wird hier eine junge Frau ausgebildet, zwei weitere Ausbildungsplätze sind ausgeschrieben. Man würde gerne mehr ausbilden, hieß es. Dafür fehle aber der Platz.
Organisiert hatte das Treffen jedoch nicht die Stadt, sondern Dirk Ahlheim von der Interessengemeinschaft (IG) Hintere Mult. Die IG setzt sich dafür ein, dass die rund neun Hektar große Fläche möglichst schnell zum Gewerbegebiet erschlossen wird. Ein entsprechender Aufstellungsbeschluss liegt seit Frühjahr 2017 vor. Im April soll das Verfahren die nächste Hürde nehmen: im ATU. Über drei Hektar der fraglichen Fläche (32.000 Quadratmeter) würden an die Firma B&S gehen.
"Wir wollen hier keinen Exklusivtermin durchziehen, sondern den Ausschussmitgliedern Informationen an die Hand geben", äußerte sich IG-Sprecher Ahlheim zu Diskussionen, die es im Vorfeld der Führung gegeben hatte. Anwohner und Landwirte hatten sich ausgeladen gefühlt und der Stadt eine Verletzung des Neutralitätsgebots vorgeworfen. Letztlich schickte die Verwaltung nur Wirtschaftsförderer Stuhrmann, die Landwirte durften kommen. "Da das Verfahren erst im April weitergeht, dürfen die Stadtplaner eh keine Infos herausgeben", so Ahlheim.
Doch warum will die Firma unbedingt mehr Fläche? Nach Angaben von Unternehmensgründer Joachim Tangl platzt der Betrieb aus allen Nähten. Die Weinheimer Flächen sind rund 11.000 Quadratmeter groß. In etwa ebenso viel (Lager-)Fläche hat man in Heppenheim angemietet. Geplant ist zudem eine deutliche Erweiterung der Produktpalette. Würde die Hintere Mult nicht erschlossen, sähe sich die Firma gezwungen, nach Heppenheim abzuwandern. Dort liegen bereits Grundstücksangebote vor.
Zumindest das Lager soll demnächst ganz in die hessische Nachbarschaft verlegt werden. "Aber das Hin und Her zwischen Weinheim und Heppenheim ist für uns ein Verlustgeschäft", so Daniel Hohfeld, Mitglied der Unternehmensleitung. Sobald Platz in der Hinteren Mult wäre - die direkt hinter dem Firmengelände an der Olbrichtstraße beginnt - würde man wieder den gesamten Betrieb in Weinheim konzentrieren.
B&S hatte vor rund 25 Jahren "als eine Art verlängerter Werkbank von Freudenberg" seine Arbeit aufgenommen, so Tangl. Endkunden waren zunächst Unternehmen aus der Automobilindustrie, später kamen weitere Industriebranchen hinzu. Die Firma baute eine eigene Innovations-Abteilung auf. Als neue Betätigungsfelder hat das Unternehmen inzwischen den Bau von Filtern für die Pharma- und Nahrungsmittelindustrie im Blick. In der Olbrichtstraße hatte der Betrieb zunächst das Gebäude eines Elektrohandels übernommen. Später baute man an.
Dem Laien fiel beim Gang durch die Büros, Fertigungshallen, das Lager und die Qualitätskontrolle vor allem eines auf: Das Weinheimer Firmengelände wirkt extrem verwinkelt. Wie die ATU-Delegation letztlich über etliche Flure, Treppen sowie Büro- und Fertigungs-Abschnitte wieder zum Ausgangspunkt zurückfinden konnte, wird das Geheimnis von Tangl und Hohfeld bleiben. In der anschließenden Diskussion stand das Arbeitsplatz-Argument im Vordergrund (siehe weiteren Bericht).
Warum dies gerade hier so wichtig ist, zeigte schon der Gang durch die Firma: Die Filter, die hier hergestellt werden, sind mehr oder weniger handgemacht. Die Stückzahl ist vergleichsweise gering, dafür passen sich die Produkte verschiedenen Geometrien an. Firmenchef Tangl sieht genau hierin Chancen für Menschen, die arbeiten unbedingt wollen - aber keine hohen Bildungsabschlüsse vorweisen könne. "Für sie will ich Arbeit schaffen - und mich deshalb nicht als Verbrecher fühlen", sagte er.