Bürgerbefragung wegen steigender Fallzahlen
Das Dilemma mit der Kriminalstatistik: Oberbürgermeister und Fraktionen wollen weder Lethargie noch Panikmache - sondern die Bürger befragen

Die Polizeibeamten vom Revier Weinheim können viel erzählen über das Jahr 2016: etwa, dass ein Getränkehändler zwei Mal überfallen und das Auto eines Mannes drei Mal aufgebrochen wurde. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim. Am Ende rief die Diskussion sogar Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon auf den Plan - zwar nicht leibhaftig, aber als Spiritus Rector für seinen Weinheimer Amtskollegen: "Jede Aussage kann dramatisch zugespitzt werden", zitierte Weinheims OB Heiner Bernhard eine Interviewäußerung Salomons zum Thema Kriminalität: "Wenn ich sage, die Stadt ist trotz allem sicher, gilt das als Verharmlosung. Wenn ich sage, seid vorsichtig, wird das als Dramatisierung empfunden."
Anders als in Freiburg sind in Weinheim zuletzt keine blutigen Schwerverbrechen zu beklagen gewesen - aber die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2016 schreit auch hier nach einer politischen Einordnung. So wies das Zahlenwerk in mehreren Deliktfeldern prozentuale Zuwächse im zweistelligen Bereich auf (wir haben berichtet).
Besonders umgetrieben hätten ihn und seine Kollegen die steigenden Zahlen bei Rohheitsdelikten wie zum Beispiel Körperverletzung - ebenso wie die Zunahme an Wohnungsein- und Autoaufbrüchen, weiteren Diebstahlsdelikten und Sachbeschädigungen, sagte Weinheims Polizeichef Holger Behrendt (Foto: Dorn): "Wir bekommen es hautnah mit, wie sehr Menschen zum Beispiel mit der Tatsache zu kämpfen haben, dass Fremde in ihre Wohnung eingedrungen sind", so der Polizeioberrat - der trotz Polizeireform übrigens nicht damit rechnet, dass sich die Personalsituation auf den Revieren entspannt.
Wie schon im Frühjahr nannte er aber auch Fakten, die Weinheim entlasten: So seien viele Straftaten, die gewaltbereite Gegendemonstranten am Rande des NPD-Bundesparteitags 2015 begangen hatten, erst 2016 in die Statistik eingeflossen. Darüber hinaus sei Weinheim zuletzt nicht nur größer, sondern auch großstädtischer geworden: "Das macht die Stadt auch für Kriminelle interessanter."
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Es folgte ein Parforceritt durch etliche Säulendiagramme, was so manchen im schwül-warmen Saal zusätzlich ins Schwitzen brachte. Wichtig auch für OB Bernhard: Verglichen mit anderen Städten im Kreis wie Schwetzingen oder Sinsheim, ist Weinheim immer noch sicher: "Die Kriminalitätsrate ist hier niedriger", so der OB. Das relativiert aber nicht alles. Und deshalb wollen Stadt und Polizei verstärkt aktiv werden: Während die Ermittler laut Behrendt insbesondere beim Thema Wohnungseinbrüche Fortschritte machen, haben Weinheim und die anderen Großen Kreisstädte im Rhein-Neckar-Kreis eine Initiative des Polizeipräsidiums Mannheim aufgegriffen. Geplant ist eine repräsentative Umfrage zur Sicherheitslage. Ziel ist, die "einflussreichsten Faktoren für Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung zu erfassen und Informationen zu gewinnen, welche Störungen besonders häufig auftreten". Eine solche Befragung hatte es zuletzt 2006 gegeben.
6000 Weinheimer bekommen bald Fragebögen
Noch vor den Sommerferien sollen 6000 zufällig ausgewählte Weinheimer Fragebögen erhalten. Der wissenschaftliche Leiter der Studie, Professor Dieter Hermann (Uni Heidelberg), will das Vorgehen zuvor öffentlich erläutern. Für die Teilnehmer werde zudem ein Fragentelefon eingerichtet, so der OB: "Solche Befragungen lohnen sich, weil sie zum Beispiel Angsträume sichtbar machen." Die Erfahrung lehre, dass Orte so richtig problematisch werden, wenn normale Bürger sie meiden. Stichwort: soziale Kontrolle.
Die Fraktionen machten vor allem zwei Dinge klar: Die Weinheimer Politik nimmt das Thema ernst. Andererseits verbiete es sich, eine bestimmte Personengruppe in den Fokus zu rücken, riefen mehrere Redner zu besonnenem Handeln auf.



