Im Kinderunfallatlas steht Heidelberg nicht gut da

Auf 100 Metern wurden bei der Untersuchung zwei Probleme festgestellt - Elterntaxis zeigen "krankes Mobilitätsverhalten"

21.10.2016 UPDATE: 22.10.2016 06:00 Uhr 2 Minuten

Statt der "Kölner Teller" wurden in der Theaterstraße nach dem tödlichen Unfall mit einem Schüker Fahrbahnschwellen eingebaut. Sie waren schneller lieferbar und bremsen seit Autos ab. Foto: Rothe

Von Holger Buchwald

Bei der Sicherheit im Verkehr belegt Heidelberg einen der hinteren Plätze. Nach dem aktuellen Kinderunfallatlas der Bundesanstalt für Straßenwesen landet die Stadt mit knapp drei Unfällen pro 1000 Einwohner auf Rang 277 von 412. Das heißt, in 276 Stadt- und Landkreisen geschehen seltener Unfälle mit unter 15-Jährigen. Tanja und Jens Leven vom Büro für Forschung, Entwicklung und Evaluation (Buefee) aus Wuppertal wollen das ändern. Sie sind mit dem Sicherheitsaudit beauftragt worden, mit dem die Stadt Heidelberg alle Wege zu Schulen, Kindergärten und Senioreneinrichtungen unter die Lupe nehmen will. "Wir wollen mindestens unter die Top 50 kommen", gibt Jens Leven als Ziel aus.

Hintergrund
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> Das Büro für Forschung, Entwicklung und Evaluation aus Wuppertal hat für Audit-Prozesse das "Integrierte Kommunale Sicherheitsmanagement" entwickelt. Dabei geht es nicht nur um einen Schulwegcheck, sondern auch um eine Bürgerbefragung, Fortbildungen sowie eine digitale Auswertung. Auch Anregungen der Kinderbeauftragten fließen ein.

> Die Auswertung der Unfalldaten soll bis Januar abgeschlossen sein. Ab Frühjahr gibt es erste Begehungen an Grundschulen - zunächst in der Altstadt, dann in der Weststadt. Bis Ende 2017 sind alle Stadtteile dran.

> Für die sofortige Umsetzung einzelner Maßnahmen können sich die Verkehrsplaner aus mehreren Töpfen bedienen - je 100.000 Euro stehen für Sofortmaßnahmen für Fußgänger, Kinder und Radfahrer zur Verfügung. Bei teureren Projekten müssen Gelder im Haushalt angemeldet werden. Bei der Verkehrsüberwachung hat das bereits funktioniert. So soll der Gemeindevollzugsdienst um vier Mitarbeiter aufgestockt werden. hob

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Die umfassende Untersuchung ist eine Reaktion auf den tödlichen Unfall in der Theaterstraße, bei dem der neunjährige Ben Bews am 15. Januar im verkehrsberuhigten Bereich von einem zu schnell fahrenden Lieferwagen überrollt wurde. Eltern und Kinder protestierten danach vor dem Rathaus. Und Verkehrsmanager Alexander Thewalt sowie Oberbürgermeister Eckart Würzner versprachen ein Sicherheitsaudit. Nun sind die ersten Unfalldaten in Heidelberg bereits ausgewertet, die Kinderbeauftragten und Schulleitungen über das Projekt informiert. In einem nächsten Schritt sollen Eltern und Schüler in einem Fragebogen Problemstellen aufzeigen. Wo fehlen sichere Überwege oder ist die Beleuchtung zu schlecht? An welcher Stelle gibt es Sichtbehinderungen oder fahren Autos immer zu schnell? Die Eltern können auf einer Karte den Schulweg ihrer Kinder einzeichnen und Problemstellen markieren. Wird ein Ort mehrfach genannt, herrscht Handlungsbedarf.

Die Levens haben schon einiges in Heidelberg gesehen, auch die Theaterstraße haben sie unter die Lupe genommen. Mit einer ersten Einschätzung halten sie sich aber noch zurück. "Wir finden pro 100 Meter zwei bis vier Schwachstellen", sagt Jens Leven. Da sei überall so, nicht nur in Heidelberg. Bei der Untersuchung geht es Buefee um die Gestaltung des Straßenraums, um Lichtverhältnisse, aber auch um die Verkehrsteilnehmer selbst. Jens Leven ärgert sich zum Beispiel über die "Elterntaxiproblematik" und spricht von einem "kranken Mobilitätsverhalten". Buefee hat dieses Phänomen an 29 Grundschulen in zehn Kommunen untersucht. Dabei gaben 41,5 Prozent der Kinder an, bei schlechtem Wetter "fast immer" oder "meistens" mit dem Auto zur Schule gebracht zu werden.

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Nach einer detaillierten Analyse werden Jens und Tanja Leven Verbesserungen vorschlagen. Häufig lassen sich Gefahrenstellen relativ einfach beseitigen - Sträucher werden zurückgeschnitten, fehlende Fahrbahnmarkierungen angebracht oder neue Schilder aufgestellt. All das kann sofort umgesetzt werden, während das Audit noch läuft. Manchmal geht es aber auch um richtig teure Maßnahmen: Wenn zum Beispiel ein Zebrastreifen fehlt, muss auch die Straßenbeleuchtung erneuert werden. Bei der Stadt wurde eigens für das Sicherheitsaudit ein neuer Verkehrsplaner eingestellt. Nächste Woche nimmt er seine Arbeit auf.

Die einzelnen Verbesserungsvorschläge werden von Buefee auch volkswirtschaftlich berechnet. Dabei geht es darum, welche Maßnahme den höchsten Nutzen für die Verkehrssicherheit bringt. "Das wird auch politisch sehr interessant", glaubt Jens Leven: "Schließlich geht es um die Frage, wie viel Sicherheit wir uns leisten können und wollen." Dabei könnten auch Fehler passieren, weiß der Experte aus leidvoller Erfahrung: "Wo die Leute am meisten schreien, wird am meisten gemacht." Doch das sei nicht immer das Sinnvollste. "Wir sollten auf den Hauptrouten alles möglich machen, damit die Schüler selbstständig zur Schule gehen können."

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