So ist die Flüchtlingssituation in der Stadt
Heidelberg hat kaum noch Platz für weitere Geflüchtete. Bürgermeisterin Jansen sieht Turnhallen als "absolut letzte Notlösung".



Sozialbürgermeisterin
Von Denis Schnur
Heidelberg. Die Kommunen schlagen bundesweit Alarm: Sie haben kaum noch Kapazitäten für die Unterbringung von Geflüchteten. Warum die Lage in Heidelberg noch vergleichsweise entspannt ist, was passiert, wenn alle Plätze belegt sind – und was sie sich von der Bundesregierung erhofft, erklärt Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen im RNZ-Interview.
Selbst Städte wie Freiburg schlagen Alarm, weil sie mit der Unterbringung der Geflüchteten bald überfordert sind. Wie ist die Situation in Heidelberg?
Freiburg hat eine besondere Situation, genau wie Lörrach. Dort steigen viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus. Die Schweiz setzt die jungen Menschen einfach in einen Zug oder winkt sie durch – und dann steigen sie in diesen Grenzstädten aus. Das Jugendamt der Stadt, in der sie ankommen, ist zuständig, bis die Verteilung anläuft. So hat jede Stadt ihre spezielle Situation.
Wie ist die Situation in Heidelberg?
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Wir haben das Ankunftszentrum des Landes in Patrick-Henry-Village mit stetigen Zu- und Abgängen. Das spielt eine große Rolle für Heidelberg. Denn die Geflüchteten aus dem Ankunftszentrum nutzen auch in vielfältiger Weise die Infrastruktur der Stadt. Die Menschen benutzen beispielsweise unsere Beratungsstruktur oder werden hier ärztlich behandelt.
Das Ankunftszentrum bringt aber auch Erleichterungen mit sich: Heidelberg bekommt deshalb keine Asylsuchenden zugewiesen und braucht entsprechend weniger Unterkünfte.
Das stimmt. Aber bei den ukrainischen Geflüchteten sind wir nicht ausgenommen. Die nehmen wir genauso auf wie alle anderen. Vor allem aber können Menschen aus der Ukraine selbstständig entscheiden, in welche Stadt sie gehen. Es gibt die, die uns nach Kontingenten zugewiesen werden. Es gibt aber auch ukrainische Geflüchtete, die über Verwandte oder Freunde hierhergekommen sind.
Hintergrund
Flüchtlinge in Heidelberg
> Rund 1000 Geflüchtete sind derzeit von der Stadt Heidelberg untergebracht. Etwa 100 sind in der vorläufigen Unterbringung, 900 in der Anschlussunterbringung. Knapp 500 Personen stammen aus der Ukraine. Die restlichen kommen vor allem aus
Flüchtlinge in Heidelberg
> Rund 1000 Geflüchtete sind derzeit von der Stadt Heidelberg untergebracht. Etwa 100 sind in der vorläufigen Unterbringung, 900 in der Anschlussunterbringung. Knapp 500 Personen stammen aus der Ukraine. Die restlichen kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Nordmazedonien und afrikanischen Staaten.
> 2600 Asylsuchende leben aktuell zudem im Ankunftszentrum in Patrick-Henry-Village. Wegen der Landeseinrichtung gilt für Heidelberg das "Lea-Privileg": Die Stadt ist von der Zuweisung von Asylbewerbern zur kommunalen Unterbringung befreit. Ukrainische Geflüchtete sind jedoch von dieser Regelung ausgenommen.
> Circa 2000 Ukrainer sind seit Beginn des Krieges nach Heidelberg gekommen. Die Mehrheit ist privat untergekommen und mittlerweile weitergereist.
> 300 Menschen hat die Stadt 2023 bisher aufgenommen – 240 davon aus der Ukraine. 37 sind Kontingentflüchtlinge aus Afghanistan und Syrien, der Rest teilt sich auf mehrere Länder auf. dns
Aber die brauchen keine Unterkunft von der Stadt.
Jein. Als die Menschen 2022 ankamen, gingen alle davon aus, dass das nur für einen begrenzten Zeitraum sei. Je länger es aber dauert, desto eher merken sie, dass die Wohnung vielleicht doch zu klein ist. Dann kommen sie natürlich auch auf uns zu. Wir müssen dann schauen, dass wir Wohnraum in der Stadt finden. Für die, die wir zugewiesen bekommen, haben wir dagegen Raum geschaffen – unter anderem in PHV mehrere Gebäude ertüchtigt.
Hat Heidelberg noch Restkapazitäten?
Wir haben noch Kapazitäten, um 150 Plätze zu schaffen. Aber auch das wird nicht ausreichen. Es ist ja nicht absehbar, dass der Krieg in der Ukraine endet. Nur: Mit einem Dach über dem Kopf ist es nicht getan. Da hängt mehr dran, Sprachkurse, psychosoziale Betreuung, Kinderbetreuung und vieles mehr.
Gibt es noch Plätze in der Anschlussunterbringung?
Wir haben 500 Plätze in unseren Einrichtungen – und sie sind so gut wie belegt. Unser Ziel ist eigentlich, die Menschen dort nur vorübergehend unterzubringen und sie auf dem regulären Wohnungsmarkt zu versorgen – um schnell wieder Platz in den Einrichtungen zu bekommen. Aber Sie kennen den Heidelberger Wohnungsmarkt ...
Was passiert, wenn weiter mehr Menschen kommen, als Sie Plätze haben?
Wir versuchen bereits, weitere Kapazitäten zu schaffen, Gebäude zu ertüchtigen. Es gibt noch die Möglichkeit, nach Containern und ähnlichem zu schauen.
Und danach? Erst Hotels oder erst Turnhallen?
Also für mich – ich bin als Bürgermeisterin ja auch für Bildung und Jugend zuständig – sind Turnhallen die absolut letzte Notlösung. Die brauchen wir für alle, gerade im Winter. Es ist auch für die Menschen auf der Flucht die schlechteste Lösung. So untergebracht zu werden, ist eigentlich nicht zumutbar. Wir sind von so einer Lage zum Glück noch ein Stück entfernt. Aber wenn es so kommen sollte, wie es in anderen Städten bereits ist, hätten auch wir keine andere Option.
Aber wenn andere Städte bereits in dieser Situation sind und die Lage in Heidelberg vergleichsweise ruhig ist – wäre es da nicht solidarisch, freiwillig mehr Menschen aufzunehmen?
Das löst das Problem nicht. Die gerechte Verteilung ist ein Grundproblem unseres Asylsystems. Wem würden wir welche abnehmen? Und was ist, wenn wir dann Zuweisungen bekommen? Das wäre nur für einen Moment für irgendeine Stadt eine kleine Erleichterung. Aber das löst ja das Grundproblem nicht. Natürlich gibt es Kommunen, die stärker belastet sind. Aber es gibt auch Regionen, die deutlich unter dem sind, was sie eigentlich aufnehmen müssten. Würden die alle ihre Hausaufgaben machen, wäre es für alle leistbarer.
Aber für die Menschen wäre doch alles besser als ein Bett in einer Turnhalle?
Wenn man nur auf die Art der Unterkunft schaut, stimmt das. Aber damit ist es ja nicht getan. Wir müssen uns ja auch um die Menschen kümmern. Wir brauchen ausreichend Therapeuten, Sozialarbeiter. Und wir nehmen ja laufend freiwillig Menschen auf – etwa durch Familienzusammenführungen oder wenn Geflüchtete medizinische Probleme haben und im Uniklinikum behandelt werden. Das machen wir immer möglich.
Was muss Ihrer Ansicht nach der Bund tun, um den Kommunen aktuell die Arbeit zu erleichtern?
Wir müssen bundesweit viel schneller werden. Die Verfahren dauern viel zu lange. Da müssen wir deutlich mehr in unsere Prozesse investieren, in die Digitalisierung. Wir müssen auch Gesetze überarbeiten – insbesondere bei der Frage, wer wann wie arbeiten kann. In Zeiten von Fachkräftemangel brauchen wir Zuwanderung. Da können wir es uns nicht leisten, Menschen so lange in Unsicherheit zu lassen. Das hilft weder uns als Gesellschaft noch den Geflüchteten. Das ist immer noch viel zu schlecht organisiert. Da haben wir als Gesellschaft nicht wirklich aus den Erfahrungen von 2015 und 2016 gelernt.
Nicht? Die Verfahren im Ankunftszentrum sind doch zum Beispiel deutlich beschleunigt worden.
Aber das ist nur der Registrierungsprozess. Was kommt dann? Und warum dauert es so lange, bis die Menschen ihre Deutschkurse absolvieren können? Wir haben uns bundesweit auch nicht darauf vorbereitet, wie wir zu Stoßzeiten in der Lage sind, viele Menschen gleichzeitig unterzubringen.
Wie wollen Sie das auch machen? In einer Stadt wie Heidelberg Wohnraum als Reserve leer stehen lassen?
Wie man das schafft, ist die große Frage. Wir brauchen bundesweit ein System, das zeitweise die Unterbringung vieler Menschen möglich macht. Ich habe da auch nicht die Lösung – aber wir haben uns in den letzten Jahren auch nicht ernsthaft Gedanken darüber gemacht. Wir haben als Gesellschaft die Zeit nicht wirklich genutzt. Das müssen wir nach dieser Krise besser machen.