Frauenhaus ist jetzt ein "Open House" mit vielen Sicherheiten
Gewalt gegen Frauen und Kinder wird nicht mehr versteckt. Denn jetzt starten die Diakonie und die Mitternachtsmission ein Modellprojekt.

Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren wurde bereits einmal in ihrem Leben von ihrem Lebensgefährten oder Ex-Lebensgefährten misshandelt. Beziffert wird das auf 179.000 Fälle im Jahr. Betroffen sind auch die Kinder, die erleben, dass ihre Mutter vom Vater oder dem (Ex-)Partner der Mutter misshandelt, geschlagen oder bedroht wird; sie tragen fast immer schwere Traumata und oft auch körperliche Schäden davon. Um ihnen Schutz zu bieten, hat man sie bisher "gut versteckt": In Heilbronn geht man jetzt einen anderen, einen neuen Weg: den eines "Open House". Es ist das erste im süddeutschen Raum, sagt Karl Friedrich Bretz, Geschäftsführer des Diakonischen Werks Heilbronn, das das Projekt trägt.
Die Diakonie kam im Dezember 2020 in die Auswahl für das Bundesmodellprojekt, der erste Spatenstich fand genau ein Jahr später statt. Dafür wurde die bisherige Beratungsstelle, das Haus Steinstraße 8, der zur Diakonie gehörenden Mitternachtsmission, aufwendig und konzeptionell darauf abgestimmt, erweitert, umgebaut und nun eröffnet.

Umfangreiche Sicherheitseinrichtungen schützen auch weiterhin die Frauen und deren Kinder, aber sie können jetzt auch durch den Vordereingang das Haus betreten und müssen nicht mehr durch die Hintertüre hereinkommen. Das sei auch emotional wichtig.
Tobias Bothe, Sozialmanager des Hauses und auch Projektmanager für die Neuausrichtung, betont, dass man sich bei der Mitternachtsmission schon seit mehreren Jahren auf einem neuen Weg in der Frauen- und Kinderschutzhausarbeit befinde: "Mit dem Open House entsteht ein innovativer Schutzort für Frauen und Kinder: ohne Versteckspiel, ohne Isolation von Freunden und Familie, wo es nicht notwendig oder gewünscht ist, dafür mit neuen Möglichkeiten in der beruflichen Integration und beim Aufbau eines neuen sozialen Umfelds."
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Ein weiterer Grund für diese "Öffnung" war auch, dass durch Handy-Tracking und die vielen Kontakte in den Sozialen Medien die Anonymität der Personen und des Ortes immer weniger gewahrt bleiben konnte. Kathrin Geih, auch sie gehört zum Leitungsteam, steht nicht nur wegen dieser Entwicklung voll hinter der Neuausrichtung. Sie bezeichnet es als "Herzensprojekt" und erhofft sich, dass mit dem "Open House" auch eine größere und eben offenere Wahrnehmung für das Problem Gewalt gegen Frauen stattfindet, und das betreffe auch die Kinder.
Architektonisch umgesetzt hat die Neukonzeption das Heilbronner Büro Mattes/Riglewski/Wahl. Architekt Josef Mattes habe, sagt Bretz, hier auch persönlich ein großes Engagement gezeigt. Mattes hat die inhaltliche Neukonzeption aufgenommen, das Haus auch atmosphärisch offen gestaltet, in klarer Architektur und einem durchgängigen ästhetischen Konzept, das auch die Inneneinrichtung der Wohnungen des Hauses mit insgesamt 800 Quadratmeter Wohnfläche zeigt.
Jede Wohnung ist einem sympathischen Tier zugeordnet, die Küchen sind modern und komplett ausgestattet, bis in die Schubladen hinein. Für die Kinder gibt es immer eine Spielecke und einen Tisch für die Hausaufgaben, auf den Betten wartet schon ein Teddy auf sie und im Garten auch ein kleiner Spielplatz und ein rotes Kinderhaus. Jede Wohnung verfügt über einen Notruf. Eine ist als anonyme Schutzwohnung für hoch gefährdete Frauen speziell abgesichert, eine andere behindertengerecht eingerichtet. Es gibt einen Gemeinschaftsraum, auch zum Fernsehen, und Büros, auch für das integrierte Beratungszentrum, in dem Sozial- und Lebensberatung, Seelsorge, Krisenintervention und Nachsorge angeboten werden.
Man kann vermuten, dass nicht alle Frauen, die hier Zuflucht finden, aus einer auch nur vergleichsweise so sanierten Umgebung kommen, wie sie sie hier nun vorfinden, auch wenn es Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten gibt. Bis zu einem Jahr können sie hier Schutz und Hilfe finden. Zielsetzung dabei ist nicht nur, entstandene Schäden und Traumata so gut als möglich durch entsprechende Betreuung zu heilen, sondern auch Zukunftsperspektiven zu eröffnen, in einem neuen, sicheren Umfeld, oft auch mit einem neuen Wohnort oder Arbeitsplatz oder einer anderen Schule.
Auf Nachfrage, ob es Probleme mit der Nachbarschaft in der gutbürgerlichen Wohngegend gibt, verneinen Bothe und Geih überzeugend und aus Erfahrung. Eher käme auch von der Nachbarschaft mal Hilfe, sagen sie. Symbol und ein erster wichtiger Schritt für eine weitere positive öffentliche Wahrnehmung war, dass der Tag der Eröffnung auch ein Tag der offenen Tür für jedermann war.
> Das Open House ist Teil des Bundesförderprogramms "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen", der finanzielle Aufwand für die Heilbronner Einrichtung lag bei 4,5 Millionen Euro, der Bund übernahm davon 80 Prozent. Zehn Prozent kamen von der Landeskirche und ebenso viel vom Land. Mit dem Haus in der Steinstraße ist der Bedarf an Plätzen aber noch nicht gedeckt.
Der Europarat fordert einen Versorgungsschlüssel von einem Familienplatz (eine Frau mit 1,5 Kindern) pro 10.000 Einwohner, das bedeutet, sagt Bothe, dass in Heilbronn ein Defizit von 23 Familienplätzen besteht, also von Betten für 23 Frauen mit rund 35 Kindern. Das Hilfetelefon des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist telefonisch unter 116.016 und im Internet unter www.hilfetelefon.de erreichbar.
In Heilbronn gibt es auch den Verein "Frauen helfen Frauen". Er wurde 1980 von engagierten, ehrenamtlich tätigen Frauen gegründet, richtete das erste Notfalltelefon ein. Die Anschrift des Hauses bleibt anonym. Platz finden in diesem Frauenhaus bis zu sechs Frauen und bis zu 14 Kinder, Die Beratung ist kostenlos und vertraulich, die Nummer des Kontakttelefons lautet 07131 / 507853 und für Notfälle 0179 / 5255375 rund um die Uhr.