Polizei-Affäre in Baden-Württemberg

Innenminister Strobl blickt in "Abgründe"

Der Landtag debattiert über die Folgen der Polizeiaffäre. Dabei wurde klar: Es herrscht "Wagenburgmentalität".

26.05.2023 UPDATE: 26.05.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden
Bei einem Termin am Mittwoch zeigten sich Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz (l.) und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (r.) demonstrativ gut gelaunt – dabei stehen sie wegen des laufenden Prozesses durchaus unter Druck. Foto: Christoph Schmidt

Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Heftige Vorwürfe und nicht minder heftige Gegenwehr: Es war nicht das erste Mal, dass der Skandal rund um den seit November 2021 suspendierten Polizeiinspekteur den Landtag beschäftigte. Im Visier der Opposition am Donnerstag: Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz.

Neue Nahrung für die erneute Debatte, von der SPD beantragt, lieferten neben dem laufenden Strafprozess gegen den Inspekteur die Vorfälle an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen. Es ging aber auch um eine interne Videokonferenz und ein internes Video von Landespolizeipräsidentin Hinz.

Nach ihrer kürzlich abgeschlossenen Vernehmung im Strafprozess hatte Hinz, nach dem, was bisher an die Öffentlichkeit drang, alle Polizeipräsidenten zum Zusammenhalt "in schwierigen Zeiten" aufgefordert. Sie trete nicht zurück, weil es die Aufgabe aller in der Polizeiführung sei, "gemeinsam fest das Steuer zu halten".

Die Verfehlungen des Inspekteurs seien ein singulärer Einzelfall, er stehe nicht für die Polizei. Dass dabei auch in dem internen Video an alle Mitarbeiter der Polizei nicht mal der Ansatz einer Selbstkritik zu hören war, empörte manchen in der Polizei und die Landtagsopposition.

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SPD-Fraktionsgeschäftsführer Sascha Binder würdigte zunächst die Kriminalhauptkommissarin, das mutmaßliche Opfer des Inspekteurs: "Sie hat gemeldet, dass etwas falsch läuft in ihrer Organisation. Diese Kommissarin hat den Respekt der Bürger dieses Landes und aller Polizeibeamten verdient." Dagegen stehe das Amtsverständnis der Polizeiführung und des Innenministers. "Es herrscht Wagenburgmentalität", so Binder. Von Fehlerkultur sei keine Rede.

Er sprach die Vorfälle an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen an, die junge Polizeigeneration mache ihm dabei Hoffnung: "Gott sei Dank haben wir Polizisten, die sich was trauen", sprich die Absolventen des Masterstudiengangs. Jene hatten nach einem Vortrag gemeldet, so Binder, dass "es einen ehemaligen Polizeipräsidenten gibt, dem vorgeworfen wird, das Geschehen herunter geredet zu haben".

Julia Goll (FDP) kritisierte das Agieren der Landespolizeipräsidentin: "Da wird ein Durchhaltevermögen beschworen und alle Polizisten in Mithaftung genommen". Auch sie sah die Verantwortung des Ministers: Sowohl Hinz wie der Inspekteur seien die Wunschkandidaten des Innenministers gewesen.

Der AfD-Abgeordnete Hans-Jürgen Goßner würdigte das Belästigungsopfer: "Wenn es ein Vorbild in der Polizei gibt, dann ist sie es – sie hat nicht weggeschaut und die Sache angezeigt." Andere versuchten sich dagegen von ihrer eigenen Schuld reinzuwaschen. "Der Inspekteur zieht die Polizistin vor Gericht in Dreck", so Goßner.

Die Regierungsparteien agierten mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Die grüne Innenexpertin Petra Häffner sah großen Schaden für die Polizei: "Jeden Tag eine neue Schlagzeile über den Inspekteur, das ist ein Desaster". Jetzt sei die Chance, Missstände zu beheben. "Wir halten es dringend geboten, in der Polizei eine Fehlerkultur zu etablieren."

Auch die Strukturen müssten auf den Prüfstand. Der CDU-Abgeordnete Christian Gehring verteidigte Innenministerium und Polizeiführung. Minister wie Polizeiführung seien doch genau die, "die den Vorgang öffentlich gemacht haben und die sofort Maßnahmen eingeleitet hatten". Es gebe eine Mitarbeiterbefragung, ein anonymes Meldesystem, die Bürgerbeauftragte, es gebe Schulungen.

Der von der Opposition viel gescholtene Innenminister ging selbst ans Rednerpult. Strobl blickte ebenfalls auf den laufenden Prozess, dieser bringe "Details ans Licht, von denen wir nicht wussten und die uns in Abgründe blicken lassen". Es gebe nun das rechtsstaatliche Verfahren, anschließend folge ein disziplinarrechtliches Verfahren.

Unabhängig vom Ausgang des Strafprozesses lägen Fakten auf dem Tisch, die inakzeptabel für eine Führungskraft seien. "Ich kann mir persönlich schwer vorstellen, dass es eine Rückkehr ins Amt geben wird. Das ist ganz klar, da gibt es kein Vertun", so der Minister über die berufliche Zukunft des Inspekteurs.

Bei dem aktuellen Prozess geht es um den Vorwurf an den Inspekteur, im November 2021 eine damals 32 Jahre alte Kriminalhauptkommissarin bei einem Kneipenabend sexuell genötigt zu haben. Die Beamtin befand sich im Auswahlverfahren für den höheren Dienst, der Inspekteur hatte ihr Unterstützung versprochen.

Zuletzt gelangten im Prozess immer wieder schmutzige Details an die Öffentlichkeit. So verschickte der heute 50-Jährige jahrelang sogenannte "Dick Pics", also Fotos seines Geschlechtsteils, an jüngere Kolleginnen. Er ist derzeit – bei vollen Bezügen – vom Dienst freigestellt.

Strobl informierte im Landtag über den Abschluss einer Vereinbarung mit dem Personalrat des Innenministeriums zum Schutz vor sexueller Belästigung. Diese soll nun auch auf die anderen Personalvertretungen im Bereich des Ministeriums ausgerollt werden. "Es gibt eine rote Linie, wenn die überschritten wird, wird gehandelt. Wir schützen die, die uns zu schützen", so Strobl. Außerdem werde eine unabhängige Vertrauensanwältin eingesetzt. 

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