Zum Todestag des Widerstandskämpfers Walter Vielhauer
Das Gedenken an den bekennenden Kommunisten und Friedensaktivisten zeigt noch heute auf, wie ungleich Taten und Erinnerung in Heilbronn bewertet werden.

Von Brigitte Fritz-Kador
Helbronn. "Einer Nussschale gleich schaukelte das Kind über den wogenden Köpfen. Im Gestau quirlte es durch die Enge des Tores, und dann riss es der Strom auf seinen befreiten Wellen mit sich dahin." So endet der Roman von Bruno Apitz "Nackt unter Wölfen".
Die Passage beschreibt die Rettung des "Buchenwaldkindes" Jerzy Zweig, Apitz war einer der Häftlinge dort. Die Figuren seines Romans beruhen auf authentischen Vorbildern. Walter Vielhauer aus Heilbronn, der mehr als ein Jahrzehnt KZ-Haft überlebte und an diesem Mittwoch vor 33 Jahren starb, war einer von diesen – in Buchenwald. Auf ihn trifft diese Redensart wirklich zu: "Wer ein Kind rettet, rettet die ganze Welt."
Ein "Buchenwaldkind" zu retten, das konnte das eigene Todesurteil sein. Zweig war eines von vermutlich 900 Kindern, die dieses KZ überlebten. Seit 1972 und bis heute lebt er in Wien. In Heilbronn war er nie, dabei hätte er hier noch bis 1986 einem seiner Retter begegnen können. Er war nicht und nie eingeladen. Schon Oberbürgermeister Paul Meyle, später auch Kulturbürgermeister Erwin Fuchs, taten früh viel dafür, Emigranten und Heilbronner Naziopfer im Sinne und als Geste der Versöhnung einzuladen, so wie etwa den Publizisten Will Schaber.
Das "Problem Vielhauer" bestand darin, dass er Kommunist war und es bis zu seinem Tod blieb. Mit Kommunisten versöhnte "man" sich aber nicht in jenen Jahren des Kalten Krieges – und bis heute nur sehr schwer. Dass sich auch an diesem Mittwoch um 17 Uhr einige an Vielhauers Grab auf dem Heilbronner Hauptfriedhof versammeln werden, auch Oberbürgermeister Harry Mergel ist angesagt, kann kaum darüber hinwegtäuschen.
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Zweig wurde erst 1963/1964 als "das Buchenwaldkind" wiederentdeckt, dabei hatte Vielhauer schon 1946 in seiner Schrift "Niemals vergessen!" (sie liegt im Stadtarchiv Heilbronn) über ihn, in seiner Schreibweise, so berichtet: "Unser jüngster Schutzhäftling war Jerzey Zweig, geboren am 28.1.1941, ein kleines polnisches Judenkind aus Warschau hatte die Häftlingsnummer 67509. Sein Vater war Rechtsanwalt Zweig in Krakau. In meiner Erinnerung sehe ich ihn immer wieder auf mich zuspringen, so wie ich ihn das letzte Mal sah. Es ist einige Tage nach dem erfolgreichen Aufstand des Buchenwalder Lagers gegen die SS."
Jerzy war drei Jahre alt, als er am 5. August 1944 nach Buchenwald kam. Von seiner Familie überlebten nur er und sein Vater. Ihn selbst rettete die Streichung von einer Deportationsliste, in Austausch mit einem 16-Jährigen. Auch Vielhauer soll die Häftlingsnummer eines französischen Gefangenen vor dem Tod bewahrt haben. Beiden machte man später einen Vorwurf daraus, das war einfach, weil es die kollektive Schuld relativierte.
Jerzy Zweig wanderte 1949 mit seinem Vater nach Israel aus. 1963/64 machten ihn Journalisten ausfindig. Der Roman von Apitz war sechs Jahre zuvor erschienen, die Verfilmung von Frank Beyer 1963, unter anderem mit Armin Mueller-Stahl, bescherte dem DDR-Film internationales Renommee und machte Zweig zum Medienstar in der DDR.
In der Folge studierte er an der Filmhochschule Babelsberg, verließ die DDR aber 1972. Ihn Wien arbeitete er bis zur Pensionierung als Kameramann beim ORF. Zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 2005 erschien sein Buch "Tränen allein genügen nicht", das er noch mit seinem Vater, Dr. Zacharias Zweig, im Eigenverlag herausbrachte.
Vielhauer (1909–1986) war Silberschmied bei Bruckmann in Heilbronn. Als aktiver Widerständler gegen die Nazis von Anfang an verbrachte er fast die ganze Zeit ihrer Herrschaft in Konzentrationslagern, agierte dort im Untergrund, war zuletzt aktiv an der Befreiung des KZs Buchenwald durch die US-Armee beteiligt und Mitverfasser des "Schwurs von Buchenwald".
Der spätere Vorsitzende der IG Metall, Willi Bleicher, ebenfalls Häftling in Buchenwald, vertraute ihm Jerzy an, um den er sich bis dahin gekümmert hatte, bevor er deportiert wurde. Vielhauer beschrieb es so: " ... so landete eines Tages ein kleiner Kindertopf, ein Kinderbett und andere kleine Utensilien in unserer Schreibstube. Nach dem Abendappell brachte Willi (...) sein Kind zu uns. Er konnte sich kaum trennen von dem Kleinen."
Eine weitere Verfilmung der Geschichte des Buchenwaldkindes, 2015 für das ZDF gedreht, stammt von dem vielfach preisgekrönten Regisseur Philipp Kadelbach. Obwohl von der Kritik, wenn auch nicht uneingeschränkt, doch sehr gelobt, blieb er ohne weitere Nachwirkung.
Walter Vielhauer starb, man muss es so sagen, durchaus verbittert in Heilbronn. Der vom US-Stadtkommandanten wiedereingesetzte OB Emil Beutinger machte ihn zum Assistenten für Wohnungs-, Arbeits- und Fürsorgefragen, die US-Militärregierung später zum Dezernenten, dann auch Bürgermeister.
Als öffentlicher Ankläger bei der Spruchkammer Heilbronn zur Entnazifizierung war er bei den reichlich verbliebenen Altnazis nicht beliebt. Von 1946 an als Parteiloser, später als Mitglied der wiedergegründeten KPD, war er noch einige Jahre Stadtrat in Heilbronn, kandidierte auch als OB, scheiterte aber dabei.
Bis zuletzt engagierte er sich auch als Friedensaktivist, so auch gegen die Stationierung der Pershing-Raketen auf der Waldheide. Seiner politischen Überzeugung blieb er treu bis zum Lebensende.
Viele verstanden das nicht, dennoch zollen bis heute auch Mitglieder anderer Parteien dem "aufrechtem Mann" ihren Respekt. So wie Hans Müller, SPD-Urgestein, politisch von Vielhauer weit entfernt, der es auf den Punkt brachte, dass es leicht sei, gegen Kommunisten zu sein.
An seinem letztjährigen Todestag und an seinem Grab versprach OB Mergel, man werde eine Straße nach ihm benennen. Die Frage "wann" steht immer noch im Raum. Linke-Stadtrat Konrad Wanner sagte einmal: "Es bleibt mir unerklärlich, wie das Stadtarchiv Heilbronn im Jahr 2020 den Band "Heilbronn 1933 ff" herausgeben kann, ohne den Namen Walter Vielhauer und seine Inhaftierung zwischen 1933 und 1945 zu erwähnen."
Er dankte aber Joo Peter für die Aufarbeitung von Vielhauers Rolle in seinem Internet–Projekt "Zeitsprünge" wie auch seinem Buch "Anpassung und Widerstand".
Info: Das Leben von Vielhauer ist gut dokumentiert. Besonders ausführlich und im zeitgeschichtlichen Kontext aufgearbeitet hat es Joo Peter auf "Zeitsprünge Heilbronn".