Plus "Direkteinstieg Kita" in Weinheim

Wie ein Landesprogramm gegen den Erzieher-Mangel helfen soll

Die Weinheimer Helen-Keller-Schule ist Pilotschule beim Programm "Direkteinstieg Kita".

28.02.2023 UPDATE: 28.02.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 45 Sekunden
Oliver Peschel (vorne, rechts) erläutert den Gästen unter anderem, warum er und seine Mitschülerinnen und Mitschüler sich für das Programm „Direkteinstieg Kita“ entschieden haben. Foto: Kreutzer

Von Stefan Hagen

Weinheim/Stuttgart. Der Personalmangel im frühkindlichen Bildungsbereich nimmt immer dramatischere Formen an. Fachkräfte sind landauf, landab – wenn überhaupt – nur schwer zu finden. Aktuell fehlen in Deutschland auch deshalb rund 348.000 Kita-Plätze. Viele Kindergärten und Kindertagesstätten stöhnen, weil sie einfach nicht genug Erzieher haben, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Jetzt soll das Landesprogramm "Direkteinstieg Kita" Abhilfe schaffen.

Montagmorgen, 10.05 Uhr: Der strahlend blaue Himmel passt perfekt zur blendend guten Laune von Volker Schebesta. Der Staatsminister im Kultusministerium ist nach Weinheim gekommen, um endlich auch einmal etwas Positives rund um die frühkindliche Bildung zu vermelden. Jetzt steht der CDU-Politiker in einem Klassenraum der Helen-Keller-Schule und setzt zu einer wahren Lobeshymne an.

Im Zusammenspiel der Agentur für Arbeit Heidelberg, dem Rhein-Neckar-Kreis und dem Schulleitungsteam habe man es in kürzester Zeit geschafft, eine Pilotklasse für den neuen Bildungsgang "Direkteinstieg Kita" auf die Beine zu stellen. Dafür sei er sehr dankbar.

Erste Überlegungen im Hinblick auf das Programm hat es im vergangenen September gegeben, und nach unzähligen Speed-Datings und Beratungsgesprächen, "ist es uns gelungen, die Klasse vollzukriegen", freut sich Angelika Paulun, Projektkoordinatorin des Direkteinstieges bei der Arbeitsagentur Heidelberg, dass man genug Interessenten begeistern konnte. "Die Nachfrage der Einrichtungen und der Arbeitnehmer ist so groß, dass wir trotz der Kürze der Zeit nicht nur mit einer vollen Klasse starten können. Wir haben bereits Bewerbungen für einen zweiten Kurs im September vorliegen", ergänzt Franziska Rüter, Leiterin der Helen-Keller-Schule.

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> Beim "Direkteinstieg Kita" handelt es sich um eine verkürzte Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin und zum sozialpädagogischen Assistenten. Zur Zielgruppe gehören Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung, die das Berufsfeld wechseln wollen oder bereits als Zusatzkräfte in Kindertageseinrichtungen tätig sind. Für die Absolventen wird der Berufsabschluss in zwei Jahren statt wie regulär in drei Jahren ermöglicht.

> Parallel zur Ausbildung arbeiten die Fachkräfte bereits in den Einrichtungen und werden durch Zuschüsse der Arbeitsagentur nach Tarif bezahlt. "Aufgrund der Vorkenntnisse sowie der Lebens- und Berufserfahrung der Teilnehmer auch in anderen Branchen ist eine entsprechende Vergütung während der Umschulung angebracht und wichtig, um die dringend benötigten Fachkräfte für die Kitas zu gewinnen", sagt Susanne Koch von der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit.

Staatsminister Volker Schebesta (vorne, rechts) und Susanne Koch, Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, beim Gespräch mit der Klasse. Foto: Kreutzer

> Voraussetzungen für die Aufnahme in die Berufsfachschule ist ein Haupt- oder Werkrealschulabschluss mit mindestens der Note "befriedigend" in Deutsch und einem Gesamtnotendurchschnitt von mindestens 3,0. Außerdem müssen die Teilnehmer mindestens eine zweijährige abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen. Für den entsprechenden Praxisteil der Ausbildung ist ein Arbeitsvertrag mit einer entsprechenden Kindertagesstätte notwendig – dieser muss von der Schule zugelassen werden.

> Am Ende des ersten erfolgreich absolvierten Jahres bekommen die Teilnehmer das Zertifikat "Schulkindbetreuerin" beziehungsweise "Schulkindbetreuer". Nach weiteren elf Monaten endet die Qualifizierung mit einer Prüfung für den Berufsabschluss zur sozialpädagogischen Assistenz. Mit einem entsprechenden vorherigen Bildungsabschluss ist dann in zweieinhalb Jahren die weitere Ausbildung zur Erzieherin beziehungsweise Erzieher möglich.

In der Helen-Keller-Schule ist Staatssekretär Schebesta mit den Vertretern der Arbeitsagentur, des Landkreises und der Stadt Weinheim mittlerweile im Unterrichtsraum der Pilotklasse angekommen. Die 30 Schüler sind zwischen 23 und 59 Jahre alt – darunter sieben Männer, wie Fachlehrerin Sabine Berlinghof zuvor berichtet hatte.

Einer von ihnen ist Oliver Peschel. Der 56-Jährige hat einst eine Lehre als Bankkaufmann gemacht und lange Jahre in der Finanzbranche gearbeitet. Nachdem hier der Frust immer größer wurde, zog er die Reißleine und schulte zum "Qualifizierten Tagesvater" um. Derzeit ist er im Kinderhaus "Räuberhöhle" in Schriesheim beschäftigt.

Sein Arbeitgeber, die Stadt Schriesheim, hatte ihn schließlich auf das Programm "Direkteinstieg Kita" aufmerksam gemacht. Jetzt möchte er die Ausbildung zum Erzieher absolvieren und freut sich auf die weitere Zusammenarbeit mit den Kleinen und den Kolleginnen und Kollegen in der "Räuberhöhle".

Derweil hört der Staatssekretär weiter gebannt zu, was die anderen Schüler zu berichten haben. "Ich muss mich und mein Kind auch ernähren können", sagt eine Schülerin. Deshalb sei es so wichtig, dass diese Ausbildung anständig bezahlt werde. Sonst würde das gar nicht gehen.

Eine Botschaft, die Klaus Pawlowski, Chef der Agentur für Arbeit Heidelberg, gerne hört. "Einerseits wollen wir Arbeitnehmer beim Erwerb eines Berufsabschlusses unterstützen und andererseits Rahmenbedingungen schaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Eine gute Kinderbetreuung ermöglicht es Eltern im Beruf bleiben zu können oder wieder eine Beschäftigung aufzunehmen", betont er.

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