Migrationsforscher Düvell

"Ungleiche Chancen – das müssen wir korrigieren"

Migrationsforscher Franck Düvell sieht die Unterbringungssituation stabil. Das Diskriminierungsproblem ist dagegen größer.

26.01.2023 UPDATE: 26.01.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 26 Sekunden
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Migrationsforscher Dr. Dr. Franck Düvell vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien schätzt die Unterbringungssituation als stabil ein. Das Diskriminierungsproblem hingegen bereitet ihm größere Sorgen. Foto: dpa

 

Interview
Interview
Dr. Franck Düvell
Migrationsforscher

Von Benjamin Auber

Heidelberg. Dr. Franck Düvell lehrt am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück.

Herr Düvell, wie bewerten Sie die Lage der Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland?

Wir waren auf die Flucht ungenügend vorbereitet, obwohl es im Vorfeld des russischen Angriffs Warnsignale gegeben hat. Politik, Gesellschaft und Medien haben davor die Augen verschlossen. Aber als die Ukrainer ankamen, waren entsprechenden Strukturen schon vorhanden, die die Krise abgemildert haben. Das lag aber vor allem daran, dass die private Unterbringung so gut funktioniert und sich die Bereitschaft der Gesellschaft positiv entwickelt hat. Eine Unterbringungskrise ist deshalb ausgeblieben.

Und wenn sich die Lage zuspitzt?

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Das hängt natürlich von der Kriegslage ab. Wenn es im Frühling jetzt zu beiderseitigen Offensiven kommt oder ein Angriff von Belarus gestartet wird, könnte das die Zahl der Flüchtenden wieder in die Höhe schnellen lassen. Bislang ist die Fluchtsituation aber stabil.

Glauben Sie, dass eine weitere Zuwanderung wegen der möglichen Eskalation des Krieges den sozialen Frieden dennoch gefährden könnte?

Wir als Gesellschaft haben verstanden, dass der Krieg auf europäischem Boden uns alle betrifft. Ich habe eher den Eindruck, dass das Verständnis für die Opfer des Krieges sehr groß ist. Es könnte gewiss zu Spannungen kommen, wenn Turnhallen zur Unterbringung gebraucht werden. Aber die Bedrohungslage, die durch Russland entstanden ist, führt eher zu Solidarität, als zu einer Spaltung.

Was läuft bei der Integration in Deutschland alles falsch?

Zunächst müssen wir festhalten, dass wir in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht haben. Die Einführung der Integrationskurse, finanzielle Förderung und Ausstattung sind Meilensteine. Die positiven Entwicklungen sollten wir betonen.

Leider ist nicht alles positiv ...

Klar, denn Flüchtlinge sind in der Regel nicht freiwillig hier, deshalb kommen sie unvorbereitet hier an, machen vor der Ausreise keine Sprachkurse, haben nicht die nachgefragten Qualifikationen. Es ist ein langer Prozess, wie es für sie in diesem Land weitergeht. Eine ganz große Herausforderung ist die Arbeitsmarktintegration. Große Probleme sind vor allem Anerkennung von Ausbildung oder fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten. Hier muss die Politik nachbessern.

Sind die Silvesterkrawalle für Sie hauptsächlich ein migrationspolitisches Thema, wie es die Union sieht?

Aus meiner Sicht ist das kein Migrationsthema, sondern ein strukturelles Diskriminierungsproblem. Das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Die Migranten haben schlechtere Wohnungen, leben in abgehängten Stadtteilen, gehen in Schulen, die nicht gut aufgestellt sind, bekommen keine guten Jobs und werden dann noch in den Ämtern schlechter behandelt. Durch diese Benachteiligung stauen sich Frust und Wut auf.

Welche Lösung haben Sie parat? Höhere Strafen, mehr Polizeipräsenz oder schärferes Waffenrecht?

Wie man anhand ähnlicher Krawalle in den 1980er Jahren in Großbritannien ablesen kann, lässt sich derartiges am wirkungsvollsten mit Antidiskriminierungsmaßnahmen vorbeugen und indem man den Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen verbessert. Eine Wiederholung der Silvesterkrawalle lässt sich nicht schlicht durch Repression verhindern, obgleich Strafen Teil des Repertoires sein müssen. Großbritannien ist uns in dieser Hinsicht 30 Jahre voraus.

Mehr Menschen haben einen Migrationshintergrund. Kommen wir mit der Integration überhaupt hinterher?

Das ist die falsche Frage. Migration ist Menschheitsgeschichte. Wir sind schon immer eine Gesellschaft in die hinein- und hinausmigriert wird. Migration ist normal. Und das gilt für alle europäischen Gesellschaften. Was man tun muss, ist eben nicht die Unterscheidung zu machen "Wir Deutschen" und "Ihr Ausländer". Wir sind gemeinsam "Gesellschaft", alle Teile sind gleich und gleichberechtigt. Wenn die Chancen nicht gleich sind, müssen wir das soweit wie möglich korrigieren.

Wäre eine Obergrenze von Flüchtlinge der richtige Ansatz?

Eine Obergrenze ist rechtlich überhaupt nicht möglich, weil der Schutz international und im Grundgesetz festgeschrieben ist. Wer Schutz braucht, der muss ihn bekommen. Die Flüchtlingszahlen gehen rauf und runter, was im direkten Zusammenhang mit Konflikten steht. Nach dem Ukraine-Krieg werden die Zahlen ja auch wieder fallen. Es gilt immer auf den Durchschnitt zu schauen und nicht auf die Spitzen.