In Heidelberg hält ein homosexueller Laienprediger einen der wichtigsten Gottesdienste des Jahres
"Die Kirche in Heidelberg ist nicht die Kirche in Rom": Christian Ende ist homosexuell und kein Theologe. Dass er zum Glauben fand, ist Zufall.

Von Julia Lauer
Heidelberg. Christian Ende wollte jahrelang Priester werden. Von Kindesbeinen an hatte er sich dazu berufen gefühlt, seit er Messdiener in Ziegelhausen war. Als Jugendlicher war es ihm so ernst mit seinem Berufswunsch, dass er an Einführungsseminaren des Collegium Borromaeum in Freiburg für Priesteranwärter teilnahm. Es kam anders: Ende studierte nicht katholische Theologie, sondern Betriebswirtschaftslehre. "Ich wollte nicht alleine und zölibatär leben", erklärt der 47-Jährige seinen Werdegang. Heute ist er verheiratet, mit einem Mann.
Ende – ein attraktiver Mensch mit modischer Brille und weißen Sneakern – hat also nicht Theologie studiert, und er steht auch ansonsten nicht gerade für das, was der Vatikan verkörpert. Trotzdem wird er am Nachmittag des Heiligabends einen Gottesdienst in der Jesuitenkirche in der Altstadt halten und damit einen der wichtigsten Gottesdienste des Jahres gestalten. Er wird hinter der Kanzel stehen und die Botschaft Jesu verkünden in Heidelbergs prächtigster katholischer Kirche. "Die Kirche in Heidelberg ist nicht die Kirche in Rom, sonst würde ich hier nicht stehen", lautet Endes kurze Antwort auf die Frage, wie es dazu kam.
Für die lange Antwort holt er weiter aus. Dazu gehört, dass er in seiner Jugend Messdiener war und ihm die Liturgie mit ihrem Ablauf somit sehr vertraut war. Dass er als Erwachsener für die katholische Stadtkirche schon viele Ämter innehatte, sodass man ihn gut kannte. Und dass in der katholischen Stadtkirche Heidelberg eher ein liberalerer Geist weht als andernorts. Ob es in Deutschland noch andere homosexuelle Laienprediger gibt, weiß er nicht. "Wir sind wenig vernetzt", erzählt Ende.
Um als Laienprediger für die katholische Kirche tätig zu sein, durchlief er eine einjährige Ausbildung. "Vor einem Jahr fragte mich Johannes Brandt, der leitende Pfarrer der Stadtkirche, dann, ob ich den Gottesdienst an Heiligabend übernehmen wolle, da jemand anderes ausfiel. Da habe ich gerne Ja gesagt", erzählt Ende über den Anfang. An Heiligabend also predigte er zum ersten Mal überhaupt – gleich in der prachtvollen Jesuitenkirche. Dieses Jahr folgten zwei Gottesdienste in Wieblingen. Die Feier an diesem Heiligabend ist Endes vierter Gottesdienst. "Es ist für mich das größte Geschenk, dass ich diese Aufgabe übernehmen darf", erzählt er.
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Dass das gelang, hat auch damit zu tun, dass der Heidelberger Stadtkirche die Pfarrer ausgehen – so wie überall sonst auch. Religion und Glaube spielen eine zunehmend geringe Rolle in der Gesellschaft, ein zölibatäres Leben erscheint nur wenigen attraktiv. Mit dem Ausscheiden von Pfarrer Josef Mohr am Jahresende bleiben der Heidelberger Stadtkirche noch fünf aktive Prediger, die auch zum Priester geweiht sind; nicht alle haben volle Stellen. Früher waren es einmal deutlich mehr. 2004 waren noch zwölf Priester für die Stadtkirche tätig, wie ein Kirchensprecher mitteilt – innerhalb von 18 Jahren hat sich ihre Zahl also mehr als halbiert.
Der Priestermangel vollzog sich in Deutschland nicht von heute auf morgen. Schon seit den 1970er-Jahren übernahmen Pastoral- und Gemeindereferenten seelsorgerische Tätigkeiten. Erstere haben ein Theologiestudium absolviert, Letztere eine religionspädagogische Ausbildung. In beiden Fällen handelt es sich um Beschäftigungen bei der Kirche. Sie sind nicht an ein Weiheamt gebunden, sodass diese Berufe auch verheirateten Männern und Frauen offenstehen. Sie können auch Gottesdienste feiern – nur keine Eucharistie. Die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi bleibt weiterhin den Priestern vorbehalten.
Doch auch mit den Referenten lässt sich der Personalbedarf nicht decken. In Heidelberg können auch Laien, die nicht bei der Kirche beschäftigt sind, diese sogenannten Wort-Gottes-Feiern mit einer Predigt gestalten. Christian Ende zum Beispiel ist bei einem Personaldienstleister angestellt. "Was ist besser: den Wortgottesdienst einem Laien anzuvertrauen oder das Angebot an Gottesdiensten weiter auszudünnen?", beschreibt Ende die Entscheidung, vor der die Stadtkirche stand. Mit deren Unterstützung hätten im vergangenen Jahr zwölf Bewerber aus Heidelberg die Weiterbildung durchlaufen, die sie darauf vorbereitete, Gottesdienste zu gestalten. "Ich tue diesen Dienst aus vollem Herzen, aus Liebe zur Sache Jesu. Ich möchte Menschen erreichen und glücklich machen", sagt Ende.
Dennoch: Dass er als homosexueller Mann das Wort Gottes verkündet, gefällt auch im liberalen Heidelberg noch lange nicht jedem. "Als schwuler Mann lebe ich laut dem Katechismus in Sünde", fasst Ende diesen Aspekt katholischer Moralvorstellung zusammen. Ein Gemeindemitglied habe deshalb Beschwerde gegen sein Engagement in der Heidelberger Kirche beim Erzbischöflichen Ordinariat in Freiburg eingereicht, erzählt er. Es stand eine Klärung an. Das war 2019, wie Ende berichtet. Der damalige Dekan Joachim Dauer, der auch für die Heidelberger Stadtkirche zuständig war, habe sich der Sache angenommen – und das Okay aus Freiburg bekommen.
"Bischof Stephan Burger hatte zwar entschieden, dass in seinem Bistum auch Laien Gottesdienste halten dürfen, die nicht bei der Kirche beschäftigt sind. Aber dazu, ob das auch für Homosexuelle gilt, hatte er nichts gesagt", berichtet Ende. Er bekam grünes Licht. "Der Erzbischof ließ ausrichten, dass ich alle Ämter bekleiden dürfe, außer im Stiftungsrat. Das ist ein Gremium, das arbeitsrechtliche Fragen behandelt", erzählt Ende. Die Gestaltung der Gottesdienste stand ihm nun offen.
Schon bei dem Treffen Anfang Dezember hat er mit der Vorbereitung seiner Weihnachtspredigt begonnen, es ist ihm anzumerken, dass er sich darauf freut. Ende hat sich eine Einführung überlegt und Lieder ausgewählt, am nächsten Tag will er sich mit Priester Martin Mark treffen, seinem Mentor, um an seinem Konzept zu feilen. "Die Pfarrer wollen meine Predigt aber nicht sehen, bevor ich sie halte. Sie lassen mir freie Hand", erzählt er; die Kirche vertraut offenbar auch ihren Laienpredigern.
Im vergangenen Jahr ging es in seiner Weihnachtspredigt um den Propheten Jesaja, in diesem Jahr soll in ihrem Zentrum der Frieden stehen, den die Engel gemäß den Evangelien verkünden. Mit der Bibel kennt Ende sich aus – dass er nicht Theologie studiert hat, sieht er nicht als Problem. "Mit Ausnahme der Eucharistie mache ich alles so, wie ich es von den Priestern kenne. Wenn ich bei einer Rückfrage merke, dass ich theologisch an meine Grenzen stoße, würde ich an einen Pfarrer verweisen."
Der Glaube, sagt Ende, habe ihm Kraft gegeben, Schicksalsschläge zu meistern. Und zum Glauben gehören für ihn auch die Menschen, die Riten, die Institution. "Meine Freunde fragen mich immer wieder, warum ich einem Verein angehöre, der mich laut seinen Statuten nicht will", erzählt er. Über einen Wechsel zu den liberaleren Protestanten oder zu den Altkatholiken habe er trotzdem nie nachgedacht. Für Ende steht die katholische Kirche für mehr als schlechte Nachrichten und Doppelmoral, für Missbrauch und dessen Vertuschung. "Die katholische Kirche tut so viel Gutes für die Menschen", sagt er. Darüber werde nur nicht so viel gesprochen.
Ende hofft, dass die Kirche sich weiter öffnet, auch wenn der Vatikan ihm wenig Hoffnung macht. "Wer bin ich, über ihn zu richten?", fragte Papst Franziskus bald nach seinem Amtsantritt, als es um Homosexuelle ging. Damit sorgte er für großes Aufsehen, doch in der Sache hat sich seither nicht viel bewegt. Im vergangenen Jahr erteilte die Glaubenskongregation, das wichtigste theologische Gremium der katholischen Kirche, der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare eine Absage. Die Entwicklungen in Deutschland hingegen machen Christian Ende Mut.
Dazu gehört, dass die deutschen Bischöfe im November ein neues kirchliches Arbeitsrecht beschlossen haben. Die sexuelle Orientierung soll einer Anstellung bei der Kirche etwa als Erzieher, Arzt oder Pastoralreferent nicht mehr im Weg stehen. "Meine Kirche signalisiert mir: Wir sehen dich nicht mehr als verdammt an, du bist akzeptiert in der Arbeitswelt", so Ende.
Als junger Mann konnte er sich zwar nicht dazu durchringen, Priester zu werden und einem Bischof bei der Weihe Ehrfurcht und Gehorsam zu versprechen, aber sein Weg in der katholischen Kirche endete damit nicht. "Es ist eine große Ehre, dass ich fast alles machen darf", sagt Ende und klingt dabei selbst noch immer überrascht. Jetzt hofft er, dass sein Gottesdienst an diesem Samstag viele Besucher anzieht. "Je voller die Kirche, desto lieber spreche ich."




