Im Zeichen des Coronavirus

So bereitet sich Hoffenheim aufs Geisterspiel gegen Hertha BSC vor (Update)

Wegen des Coronavirus wird der komplette Bundesliga-Spieltag ohne Zuschauer ausgetragen.

12.03.2020 UPDATE: 12.03.2020 20:00 Uhr 5 Minuten, 1 Sekunde
Frank Briel (l.) und Dr. Peter Goerlich. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Zuzenhausen. Es herrscht Ausnahmezustand auf allen Ebenen. Coronavirus hier, Coronavirus dort – Veranstaltungsabsagen. Dass das sogenannte Premium-Produkt Fußball-Bundesliga keine Insel der Glückseligkeit in Zeiten einer unheilvollen Pandemie darstellt, wird den Verantwortlichen der Deutschen Fußball Liga (DFL), des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und auch der Profivereine mehr und mehr bewusst. Die TSG 1899 Hoffenheim hat sich vor dem Geisterspiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen Hertha BSC Berlin sehr klar positioniert. "Als TSG Hoffenheim müssen wir uns dieser Krisensituation stellen und dazu beitragen, diese Infektionskette zu unterbrechen", sagte "Hoffes" Geschäftsführer Dr. Peter Görlich bei der Pressekonferenz am Donnerstag, "am Ende des Tages sind wir Veranstalter und müssen die Verantwortung übernehmen."

>>>Die DFL hat alles Bundesliga-Spiele am kommenden Wochenende abgesagt. Auch Hoffenheim gegen Hertha wird verlegt<<<

Im Moment ist alles möglich – und alles offen. Tatsache ist: Am kommenden Montag werden Vereinsvertreter aller 36 Erst- und Zweitligisten bei einer Außerordentlichen Mitgliederversammlung in Frankfurt ihre Köpfe zusammenstecken und beratschlagen, wie und ob es überhaupt mit dem Spielbetrieb weitergehen kann. Strenggenommen darf es, will man die inzwischen angewendeten Schutz- und Vorsorgemaßnahmen nicht konterkarieren, keine andere Entscheidung geben, als den Bundesligen eine Pause zu verordnen oder diese Saison gänzlich abzubrechen. Jedoch darf sich keiner irgendwelchen Illusionen hingeben. Das Erstellen eines gemeinschaftlichen Notfallplanes wird ein zähes Ringen, eine Zerreißprobe in Sachen Vernunft, Solidarität und dem gebotenen Maß an Realismus. Das Grundproblem sind die unterschiedlichen Interessenslagen – und auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Das Spektrum reicht von Branchenkrösus FC Bayern München bis hin zu Zweitliga-Schlusslicht Dynamo Dresden. Der Montag bietet trotz aller Widrigkeiten mehr Chancen als Risiken.

Der erste "Geisterspieltag" ohne Zuschauer – seit Gründung der Bundesliga 1963/64 – in Düsseldorf, Dortmund, Leipzig, Sinsheim, Köln, Berlin, Frankfurt, Augsburg und Bremen wird keine Dauerlösung sein. Görlichs Geschäftsführer-Kollege Frank Briel sprach von einer "extrem dynamischen Entwicklung", die Absagewelle ist länder- und sportartenübergreifend nicht mehr aufzuhalten. "Wir appellieren explizit an die Vernunft aller Beteiligten", konstatierte Briel. Um groteske Szenarien wie zuletzt beim rheinischen Derby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln oder beim Königsklassen-Duell zwischen Paris Saint-Germain und Borussia Dortmund zu vermeiden, richtete Görlich einen Aufruf an die Anhänger: "Kommt bitte nicht zum Stadion. Das ist nicht im Sinne der Sache."

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In der Sinsheimer Arena wird beim Besuch der "Alten Dame" dennoch eine hohe dreistellige Anzahl an Menschen live dabei sein: Die Mannschaften, die Funktionsteams, Verantwortliche, Sicherheits- und Ordnungskräfte, Rettungsdienste, Caterer, Ballkinder und TSG-Mitarbeiter – sowie einige Medienvertreter. Neben den TV-Rechteinhabern sind in Sinsheim nur Nachrichtenagenturen und Fotografen zugelassen. Natürlich arbeitet der Kraichgauklub mit reduzierten Personalkapazitäten, letztendlich muss indes ein Spielbetrieb mit ordentlichen Rahmenbedingungen gewährleistet sein.

Ob der Status quo ohne Zuschauer auch Vorteile mit sich bringe, wurde TSG-Trainer Alfred Schreuder gefragt. "In dieser Situation dürfen wir nicht über Vorteile reden", antwortete der Niederländer. Es sei zwar "ein bisschen komisch, du hörst alles", ordnete der 47-jährige, bodenständige Fußballlehrer die Partie gegen Hertha ein, "es ist wichtig, dass die Jungs ein Gefühl dafür bekommen, wie es am Samstag sein wird." Die Schreuder-Schützlinge haben aus diesem Grund gestern in der PreZero-Arena trainiert. Simulation eines Wettbewerbs, der längst ein anderer ist. Profis sind wie Schauspieler oder Opernsänger – sie brauchen den Applaus und die allgemeine Begeisterung als Stimulanz.

Schreuder sucht für sein Kollektiv und sich selbst die Normalität. "Ich glaube, dass ich laut bin", sagte er. Kein Flüstern bei etwaigem Frust.

Der zwei Stühle von ihm entfernt sitzende Peter Görlich skizzierte ein Idealszenario: "Infektionskette unterbrochen, keine weiteren Infizierten. Das wäre das Ideale. Deshalb haben wir uns ja, wie die gesamte Liga, zu dieser Entscheidung durchgerungen, Spiele ohne Zuschauer durchzuführen. Wir dürfen nicht nur den Fußball sehen, wir sprechen tatsächlich über Volksgesundheit."

Pointiert formuliert: Infektionskette steht weit über Vierer- oder Dreierkette. Sport wird zur Nebensache. Das Verrückte dabei ist, dass der 26. Spieltag für alle Vereine "Endspiel-Charakter" haben könnte. Gerade auch für die Hoffenheimer, die mitten im sportlichen Wettbewerb um Europa stehen. "Wir wollen ein gutes Resultat und schauen nur auf uns", so Schreuder.

Spätestens am Montag blickt Deutschland auf die Bundesliga, wie die Entscheidung im Notstand ausfällt. Eine Saisonunterbrechung wäre folgerichtig. Nach all der konsequenten Inkonsequenz.

Update: Donnerstag, 12. März 2020, 20 Uhr


Von Joachim Klaehn

Zuzenhausen. Die erste Nachricht: Das Spiel zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und Hertha BSC Berlin (Samstag, 15.30 Uhr/Sky) findet statt. Und zwar als Geisterspiel, so wie jede andere Partie am Wochenende in der Fußball-Bundesliga. Was danach passiert, weiß niemand ganz genau. Am Montag wird es eine Außerordentliche Mitgliederversammlung aller 36 Erst- und Zweitligisten in Frankfurt geben. Dort wird die weitere Vorgehensweise besprochen und gegenseitig abgestimmt.

"Es gibt ein Empfehlungsschreiben der DFL, wie mit dem Spieltag umzugehen ist", sagte "Hoffes" Geschäftsführer Dr. Peter Görlich auf RNZ-Nachfrage, "die Entscheidung als solche haben wir gemeinschaftlich in mehreren Runden getroffen, bevor eine öffentliche Behörde mit uns gesprochen hat. Weil wir als TSG glauben, dass wir uns dieser Krisensituation stellen und diese Infektionskette unterbrechen müssen. Am Ende des Tages sind wir Veranstalter und müssen die Verantwortung übernehmen."

Sein Amtskollege Frank Briel stellte sachlich fest, es handle sich um "eine extrem dynamische Entwicklung", die in Zeiten des Coronavirus schwer zu prognostizieren sei. "Es ist wichtig, dass man diesen Schritt gegangen ist", ergänzte Briel. Ein Spieltag unter Ausschluss von Zuschauern, einem Teil der Medienvertreter und mit reduziertem Personalstand im Stadion hat es in der Bundesliga-Historie noch nie gegeben. Jeder habe diese Woche beim Nachholspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln "einen Vorgeschmack erhalten, wie sich das anfühlt", so Briel.

Das Hoffenheimer Trainerteam und die Profimannschaft stellen sich auf die ungewohnte Situation ein. "Wir werden heute im Sinsheimer Stadion trainieren", berichtete Cheftrainer Alfred Schreuder über sportliche Sofortmaßnahmen, um das Gefühl für eine leere Arena zu kriegen und den Ausnahmezustand am Samstag zu simulieren. "Es ist ein bisschen komisch, du hörst alles", ordnete Schreuder das Bevorstehende ein.

Die Verantwortlichen des Kraichgauklubs appellierten eindringlich an die eigenen Fans, zu Hause zu bleiben und sich nicht vor dem Stadion aufzuhalten. Es soll allerdings aufmunternde Botschaften der TSG-Anhänger in der Südkurve geben, die sich an die Mannschaft richten.

Schreuder hofft trotz der besonderen Umstände auf ein gutes Ergebnis gegen die "Alte Dame" aus dem Westend, die mit 28 Punkten auf Rang 13 im Tableau steht. Für "Hoffe" hingegen geht es weiterhin um Europa, man könnte mit einem Dreier auf Rang sechs oder sieben springen. "Wir werden einfach versuchen, gut mit der Situation umzugehen", so Schreuder über die Marschroute seines Teams.

Die letzte und beste Nachricht: Bei der TSG Hoffenheim sind alle gesund. Lediglich bei einem Mitarbeiter der Reha-Abteilung bestand nach einem Heimaturlaub in Südkorea Coronavirus-Verdacht. "Er hat aber einen negativen Befund und war auch nicht in einem Krisengebiet", gab Peter Görlich Entwarnung. Er sei nach seinem Urlaub nur vorsorglich gebeten worden daheim zu bleiben.

Die Pressekonferenz endete anders als sonst. "Bleiben Sie gesund", sagte TSG-Pressesprecher Holger Kliem. Ein besseres Schlusswort gibt es in Zeiten von Infektionsketten statt Vierer- oder Dreierkette nicht.

Update: Donnerstag, 12. März 2020, 15.45 Uhr


Zuzenhausen. (dpa/lsw) Vor dem Geisterspiel gegen Hertha BSC an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) hat Fußball-Bundesligist TSG 1899 Hoffenheim die eigenen Fans zur Vernunft gerufen. "Wir appellieren an die Fans: Kommt bitte nicht zum Stadion. Das ist nicht im Sinne der Sache", sagte Hoffenheims Geschäftsführer Peter Görlich am Donnerstag. 

Wegen des Coronavirus wird der komplette Bundesliga-Spieltag ohne Zuschauer ausgetragen. Bei den ebenfalls vor leeren Rängen ausgetragenen Partien Gladbach gegen Köln und Paris gegen Dortmund war am Mittwoch zu beobachten, wie sich die Fans stattdessen vor dem Stadion versammelten.

Trainer Alfred Schreuder antwortete auf die Frage, ob die neue Situation ohne Zuschauer auch Vorteile bringe, knapp: "Ich glaube, in dieser Situation dürfen wir nicht über Vorteile reden." Vor zwei Wochen hatte es in Sinsheim gegen den FC Bayern (0:6) noch das  Skandalspiel mit Beleidigungen gegen Dietmar Hopp gegeben.

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