1899-Manager im Interview

"Wir suchen nicht den Nagelsmann 2.0"

Alexander Rosen über die Nagelsmann-Nachfolge und den besonderen Weg der TSG - "Klub darf sich nicht verbiegen"

17.01.2019 UPDATE: 18.01.2019 06:00 Uhr 7 Minuten, 24 Sekunden
"Hier ist ganz viel stabil": TSG-Manager Alexander Rosen (l.) im Dialog mit RNZ-Sportchef Joachim Klaehn. Foto: Siegfried Lörz

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Alexander Rosen (39) ist seit 2. April 2013 Manager der TSG Hoffenheim und insgesamt fast zehn Jahre lang im Verein tätig. Wie Trainer Julian Nagelsmann stieg der gebürtige Augsburger vom Nachwuchsleistungszentrum zu den Profis auf. Die RNZ sprach unmittelbar vor dem Rückrunden-Start gegen den FC Bayern München mit ihm.

Herr Rosen, die kurze Winterpause ist auch eine Zeit der Besinnung – haben Sie noch manchmal von ManCity, Lyon oder Donezk geträumt? Waren es süße oder schmerzhafte Gedanken?

(Lacht) Richtig, es war eine kurze Pause, für uns war es sogar die Kürzeste aller Klubs, denn wir sind die Mannschaft, die das letzte Spiel der Hinrunde absolviert hat und das erste der Rückrunde bestreitet. Aber es war Zeit genug, um in Ruhe nachzudenken. Die Ergebnisse schmecken immer noch bitter, doch es überwiegt ganz klar der Stolz über das Erreichte. Der Stolz, dass wir überhaupt dahingekommen sind und darüber, wie wir uns präsentiert haben. Die Champions League war ein ganz besonderes Erlebnis, nicht nur für uns, sondern auch für die gesamte Region, das Lust auf mehr macht. Aber der Blick richtet sich nicht nur isoliert auf die Champions League. Wir waren in der Jahrestabelle zum dritten Mal nacheinander unter den Top Vier in der Bundesliga. Das ist eine herausragende Leistung.

Zwischenfazit: Attraktiver Angriffsfußball, verbesserungswürdige Chancenverwertung, Abwehrschnitzer und wettbewerbsübergreifend manch unnötiger Punktverlust – haben wir in der Außenbetrachtung etwas vergessen?

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Mit dem Blick auf die Hinrunde kann man das schon so sehen. Doch über allem stehen die positiven Aspekte. Man kann nur viele Chancen versieben, wenn man sich außerordentlich viele Chancen herausspielt. Das ist eine der anspruchsvollsten Disziplinen im Fußball. Wir geben nach wie vor ein klares Bekenntnis zu unserer Art des Fußballs ab. Und der ist so ausgerichtet, dass wir aktiv, bestimmend und offensiv spielen wollen. Das ist uns in den vergangen Jahren sehr gut gelungen und zeigt eindrucksvoll, dass dieser Weg für uns der richtige ist. Zunächst gilt es immer den Fokus auf die Leistung zu legen, dann kommen auch die Ergebnisse. Auf diesem hohen Niveau sind manchmal Nuancen entscheidend. Vor vier, fünf Jahren hätten Viele bei einem stabilen 7. Platz nach 17 Spieltagen vielleicht gesagt, wir sind im Dunstkreis der internationalen Plätze und in einer Jägerposition, wow! Nun haben wir uns erarbeitet, dass die Ansprüche gestiegen sind – und klar wollen wir wieder international dabei sein. 

In Manchester haben Sie selbst gesagt: Es hätte ein bisschen mehr sein können … am Ende hat ein Tor für die Europa League gefehlt.

Unsere Europa-League-Kampagne 2017 war einfach nicht besonders gut, das hat auch jeder im Klub so gesehen. In der Champions League war dieses Mal viel mehr möglich. Unsere Aufgabe ist es, so weiter zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass nicht nur die Leistung, sondern auch der Ertrag in Form von Punkten und Siegen künftig stimmt.

Der Klub hat sich mit Pires, Akpoguma, Kobel, Grifo und Zuber für fünf Leihgeschäfte entschieden –ohne Kaufoptionen. Welcher Plan steckt dahinter? 

Das Besondere daran ist sicherlich, dass wir vier Spieler in die Bundesliga verliehen haben. Akpoguma, Kobel, Grifo und Zuber sind keine Spieler, die wir loshaben und jetzt zu Geld machen wollten. Es sind allesamt interessante Spieler für uns, die in den Überlegungen für unsere Kaderplanung in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Offensichtlich sind es auch gefragte Spieler, die wir nicht auf dem Markt angeboten haben. Die Themen kamen vielmehr zu uns. Mehr als zwei Millionen Euro einzunehmen und dabei keine Gehaltssubventionen zu haben, ist natürlich auch ein erheblicher wirtschaftlicher Posten, der aber nicht Kern der Überlegungen war. Da wir in Hübner, Amiri, Geiger und Rupp vier Langzeitverletzte hatten, musste der Kader zu Beginn dieser Spielzeit groß sein, nun haben wir uns bewusst für eine Kaderreduktion entschieden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Akpoguma, Kobel, Grifo und Zuber in den anderen Bundesligaklubs spielen, ist recht hoch. Für uns bedeutet das, dass sie wie schon angedeutet ernsthafte Kaderkandidaten bei uns bleiben und durch Spielzeit auf höchstem Niveau gestärkt zurückkommen oder einen noch höheren Marktwert entwickeln. Nochmal: Es war elementar wichtig, dass wir in der Hinrunde einen solch großen Kader hatten. Wir haben das trotz der langen Verletztenliste sehr gut hinbekommen und sind und der Auffassung, dass nach der Rückkehr von Benni, Dennis und Nadiem die aktuelle Kadergröße die richtige ist.

Das Transferfenster ist noch gut zwei Wochen offen – sind weitere Abgänge oder auch Zugänge denkbar?

Wir haben ein gutes Gefühl – so wie wir jetzt aufgestellt sind. Wir müssen nichts aktiv forcieren in puncto Abgänge. Vorgriffe auf die Zukunft möchte ich nie ausschließen und mit Christoph Baumgartner haben wir in dieser Woche einen weiteren hochveranlagten Spieler aus unseren U-Mannschaften in den Lizenzspielerkader integriert. Man muss ständig an das Heute denken, doch das darf man dabei auch die Gedanken ans Morgen und Übermorgen nicht vergessen. Das zeigen bei uns einige erfolgreiche Beispiele. Nehmen wir mal Joelinton - da war nicht der Plan, dass er uns am ersten und auch nicht am hundertsten Tag hilft. Jetzt sind drei Jahre vergangen, und wir haben einen Spieler, der international in aller Munde ist und unter enormer Beobachtung steht. Manchmal ist eine mittelfristige strategische Planung einfach notwendig. Da sind wir immer offen für Ideen und freuen uns natürlich sehr, wenn diese Visionen aufgehen.

Zentrale Personalie ist die Nagelsmann-Nachfolge, der Name von Marco Rose würde zu Rosen passen. Was macht diese Entscheidung offenbar so speziell und welches Anforderungsprofil muss der Neue erfüllen?

Für Ihre Frage habe ich vollstes Verständnis. Das ist ja überall das gleiche Thema. Wenn ein Trainer geht, wird gefragt, wer kommt. Andererseits frage ich zurück: Wie groß ist eigentlich der Druck für den Verein? Wenn wir im Mai wären, dann würde ich sagen, jetzt wird es aber Zeit. Wir haben den Fokus darauf, einen guten Start hinzulegen und wieder ins internationale Geschäft zu kommen. Nach Bekanntgabe des Wechsels von Julian Nagelsmann haben unbestritten absolute Leistungsträger wie z. B. Kaderabek, Kramaric und Vogt ihre Verträge langfristig verlängert. Dies zeigt, dass hier ganz viel stabil und in Ordnung ist. Es ist auch nicht so, dass unsere Jungs hier unruhig durch das Trainingszentrum irren. Es ist gut, in der Trainerfrage nicht getrieben zu sein und sich nicht treiben zu lassen. Natürlich wird mit und über Kandidaten gesprochen – und das intensiv. Der neue Trainer muss zum Klub passen – und der Klub darf sich nicht verbiegen und komplett einem Trainer anpassen!

Auch ein Trainer wird sich überlegen: Mach ich das? Wie ist es um das Nagelsmann-Erbe bestellt?

Ein ausgezeichneter Trainer macht sich genau diese Gedanken. Wir suchen nicht den Nagelsmann 2.0. Natürlich war auch die Aussage von Dietmar Hopp, wir müssen Nagelsmann klonen, nur symbolisch gemeint. Wenn ein erfolgreicher Vorgänger geht, wird irgendwann versucht, den Vergleich zu ziehen. Das ist allerdings kein Hoffenheim-Nagelsmann-Phänomen. Wenn man ein selbstbewusster Trainer ist, dann arbeitet man doch lieber mit gut ausgebildeten und talentierten Spielern in einem erfolgreichen Umfeld, wie das hier nachweislich der Fall ist.

Das Hinspiel gegen Bayern ging 3:1 aus, mit vielen Tiefen der Spielleitung und aus dem Kölner Keller. Muss Nagelsmann überhaupt noch das Team motivieren?

Müssen nicht, aber er wird! Julian selbst ist unglaublich motiviert – und die Mannschaft ist es genauso. Es gibt sicherlich einige Besonderheiten: Es ist das erste Spiel nach einer Pause; es ist auch etwas Besonderes, wenn man zum zweiten Mal nacheinander das Eröffnungsspiel einer Halbserie bestreiten darf, bei dem internationale Aufmerksamkeit und TV-Übertragungen garantiert sind; und der FC Bayern ist eben das Maß aller Dinge im deutschen Fußball. Das sind die Besten – und wir wollen uns mit diesen Besten messen! Man merkt schon im Training diese Woche den Kampf um die Plätze. Ein harter Konkurrenzkampf hat uns in der Vergangenheit immer gut getan.

Wie kann die TSG den Bayern diesmal Paroli bieten?

Wir haben in den vergangenen Jahren den Bayern in jeder Partie Paroli geboten, die letzten beiden Heimspiele konnten wir gewinnen. Unsere Herangehensweise hat sich nicht geändert. Mutig sein, sich zutrauen zu gewinnen, eine Haltung haben, auf das eigene Spiel achten – wir wollen diese Marschroute beibehalten, unabhängig davon ob es der FC Bayern oder der Tabellenachtzehnte ist. So wird es am Freitag sein, die Vorfreude ist da.

Sie haben mal angemerkt, Sie seien froh, dass die Startelf-Auswahl nicht in Ihrer Stellenbeschreibung stünde. Wie schwer wird dies für Nagelsmann in seinem letzten TSG-Halbjahr?

Ich habe schon von vielen Trainern gehört, dass eine unangenehmsten Herausforderungen ihrer täglichen Arbeit die Entscheidung über diejenigen sei, die nicht im Kader stehen. Es ist eine anspruchsvolle Art der Führung einer Gruppe. Wir erinnern die Jungs immer daran, dass eine Entscheidung für jemanden nicht zwangsläufig eine gegen jemanden ist. Wir versuchen unserer Verantwortung stets gerecht zu werden, nicht drum herum zu reden, sondern ehrlich zu sein, auch wenn es manchmal weh tut. Julian hatte in der Hinrunde die meisten Startelfwechsel in der Liga. Spieler sind nicht abgeschrieben, sondern kriegen immer wieder eine neue Chance bei uns.

Als Hoffenheim einmal in dieser Spielzeit auf Rang 13 abrutschte, haben Sie Trainer wie Team den Rücken gestärkt und generell das "leistungsorientierte Miteinander" hervorgehoben. Warum hat Krise im Kraichgau keine Chance? 

Wir haben über Jahre eine Situation geschaffen, dass viele Mitarbeiter auf verschiedenen Ebenen kontinuierlich und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wir haben gemeinsam große Erfolge gefeiert, ich selbst habe 2013 in einer großen Krise übernommen. Wir haben diese Momente, auch die schwierige Phase in der Hinrunde der Saison 2015/16, miteinander erlebt und durchgestanden. Wir sind eingespielt, haben eine gute Struktur und wir entwickeln uns stetig. Dadurch ist ein großes Vertrauen, aber auch eine große Ruhe vorhanden. Es liegt immer auch an der eigenen Überzeugung. Ruhe ist ein Faktor für Entwicklung und Erfolg.

Sie treten als Manager reflektiert und besonnen auf. Ist Ihnen das gottgegeben oder mussten Sie sich das hart erarbeiten?

(Lacht) So bin ich. Es macht mir großen Spaß, in diesem Geschäft zu arbeiten. Ich genieße das. Ich liebe dieses Spiel, sonst könnte ich das alles nicht mit dieser Leidenschaft machen. Ich habe aber nicht das Geltungsbedürfnis, mich permanent zu äußern. Ich war zu Beginn bestimmt nicht der, der ich heute bin, und ich hatte die Chance mich in diesem Umfeld zu entwickeln. Ich werde dieses Jahr – unglaublich - 40 Jahre alt und gehe auf mein 200. Bundesliga-Spiel als Manager zu. Über die Erfahrung kriegt man eine größere Abgeklärtheit in Entscheidungen – der erste Transfer ist etwas anderes als der hundertste. 

Sie sind gewöhnlich in der Mixed Zone, nach den Spielen, eher selten zugegen. Ganz bewusst?

Sie werden mich öfter erleben, wenn Dinge nicht laufen als wenn es sehr gut läuft. Ich finde, dass diese Bühne dem Trainer oder den Jungs gehört. Mitunter kann etwas weniger Präsenz den Worten auch etwas mehr Gewicht verleihen. Wenn Bedarf ist oder der Wissensdurst der Berichterstatter sehr groß ist, ordne ich gerne grundsätzliche Dinge ein. 

Sie haben Vertrag bis 2020. Hoffenheim gilt als ideales Terrain für Ausbildung auf höchstem Niveau, Innovation und Fußball-Phantasie. Wann verlängern Sie? 

(Lacht) Ich bin aktuell in meinem zehnten Jahr hier, da herrscht eine gewisse Entspanntheit und ein Grundvertrauen im Umgang untereinander. Dass ich mich hier mit meiner Familie privat wohl fühle, merkt man mir hoffentlich an. Wir leben in vielerlei Hinsicht in einer tollen Region. Mich zieht es aktuell nicht weg und mein Vertrag läuft ja noch eineinhalb Jahre. Eine fast zehnjährige Klubzugehörigkeit wischt man nicht einfach weg.

Sie tippen nicht gerne. Was muss geschehen, dass Sie am 18. Mai als TSG-Manager innere Zufriedenheit verspüren?

Das ist ein bisschen komplizierter. Ich bewerte gerne Situationen erst dann, wenn ich die genauen Umstände kenne und weiß wie sie zustande kamen. Bei einer erneuten internationalen Qualifikation, dem Feststehen des neuen Trainers und einer fortgeschritten Kaderplanung würde ich sicher nicht sagen, jetzt ist alles schlecht gewesen. Ein internationaler Platz, zum dritten Mal nacheinander, wäre einfach großartig!

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