TSG 1899 Hoffenheim

Nagelsmann - "Champions League aus den Köpfen streichen"

Erschreckend schwache Hoffenheimer beim drögen 1:1 gegen Düsseldorf

03.02.2019 UPDATE: 04.02.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden

Freundschaftlicher Umgang: Julian Nagelsmann (l.) und Friedhelm Funkel. Foto: Imago

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Was ist da bloß los? Die meisten Hoffenheimer Profis schlichen am frühen Samstagabend aus dem Stadion - mit einer Mischung aus Ernüchterung, Enttäuschung und Ratlosigkeit. Sie hatten sich gegen eine Mannschaft wie Fortuna Düsseldorf, die aus ihren Möglichkeiten nahezu das Optimum herausholt, äußerst schwer getan. Und dabei so ziemlich alles vermissen lassen, was die TSG 1899 seit knapp drei Jahren auszeichnet und bis in höchste internationale Sphären katapultiert hat. Doch nun, im Alltag des normalen Bundesligageschäfts, scheinen die Blauen mental mit den erneut hochgesteckten Zielen überfordert zu sein. Die 94 Minuten gegen eine kompakte, defensiv bestens organisierte "For-tu-na" verliefen aus Sicht des Dorfklubs in erschreckendem Maße unspektakulär. Ja, das 1:1 (1:0) war sogar recht schmeichelhaft.

Offenbar klafft momentan eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Einerseits gibt es die Ambition Europa, andererseits treten die "Nagelsmänner" seit neun Ligaspielen (ein Sieg, eine Niederlage und sieben Unentschieden!) auf der Stelle. TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann, bekanntlich maximal ehrgeizig, holte kurz Luft und konstatierte mit nahezu regungsloser Miene: "Wir haben heute unsere Ambitionen in keinster Weise untermauert. Die Champions League können wir erst mal aus unsere Köpfen streichen und schauen, dass wir den Anschluss an die Europa-League-Plätze nicht verlieren."

Erwischt Fortuna-Torhüter Michael Rensing auf dem falschen Fuß: Andrej Kramaric (2.v.l.) verwandelt den Elfmeter zum 1:0. Foto: APF

Das stimmt 1899-prozentig. Insbesondere dann, wenn man den wackligen, uninspirierten, über weite Strecken leblosen Auftritt vor offiziell 24.747 Zuschauern gegen die couragierten Funkel-Schützlinge zum Maßstab nimmt. Düsseldorf hatte mit einer nahezu perfekten Raumaufteilung die spielstarken Kraichgauer in die Schranken gewiesen. "Die Mentalität unserer Mannschaft ist herausragend. Wir hatten einen sehr guten Matchplan. Da hat Friedhelm tief in seine Erfahrungskiste gegriffen", jubilierte Fortuna-Sportvorstand Lutz Pfannenstiel. Der langjährige TSGler hätte vorgestern am liebsten die halbe Fußballwelt umarmt. Kurz vor der Rückkehr musste ihm in einer Mannheimer Klinik ein Nierenstein operativ entfernt werden. Mit Schmerzmitteln vollgepumpt erlebte er dennoch eine glückselige Reise in die eigene Vergangenheit. "Dieses Spiel konnte ich mir nicht entgehen lassen", sagte Pfannenstiel grinsend.

Hintergrund

Baumann: Stark gegen Hennings (4.), fangsicher gegen Gießelmann (73.). Aber auch Stockfehler im Spielaufbau.

Brenet: Aussichtsreiche Kopfballchance (38.). Sonst selten präsent.

Vogt: Der Kapitän

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Baumann: Stark gegen Hennings (4.), fangsicher gegen Gießelmann (73.). Aber auch Stockfehler im Spielaufbau.

Brenet: Aussichtsreiche Kopfballchance (38.). Sonst selten präsent.

Vogt: Der Kapitän ist weiter außer Form. Siehe die kuriose Kopfballkerze im eigenen Strafraum.

Posch: Wirkte fahrig. Mitverantwortlich bei Hennings Ausgleich. Stellte sich aber als einer der wenigen der Kritik.

Schulz: Initiierte die Aktion, die zum Elfmeter führte. Redet ungerne, selbst im "Sportstudio" von Mike Diehl.

Grillitsch: Erfüllte taktisch seine Rolle. Nach vorne ging diesmal zu wenig.

Amiri: Bemüht bei seinem Startelf-Comeback. Stinkesauer nach seiner Auswechslung.

Geiger: Holte den Elfer raus. Sonst aber ähnlich blass wie Grillitsch und Amiri.

Demirbay: Von ihm muss viel mehr kommen. Mangelhafte Vorstellung.

Kramaric: Neuntes Saisontor. Total gefrustet nach dem Spiel.

Joelinton: Arbeitstier, aber gegen Fortuna ohne Fortüne. Humpelte und wurde deshalb ausgewechselt.

Nelson: "Aushilfe" in der Verteidigung ist nicht sein Ding.

Szalai: Konnte anstelle von Brenet nicht großartig etwas bewirken.

Belfodil: Als dritte Offensivkraft von der Bank eingewechselt. Effekt? jog

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"Hoffe" war derweil das Lachen gehörig vergangen. Andrej Kramaric (16.) hatte zwar die Heimelf per Foulelfmeter in Front gebracht, doch Rouwen Hennings gelang eine knappe Minute nach Wiederanpfiff das 1:1. Dank tatkräftiger Unterstützung der Hausherren. Die TSG-Abwehr ließ Kevin Stöger in aller Ruhe flanken, Stefan Posch unterlief ein Stellungsfehler und Hennings konnte unbedrängt zum Ausgleich einköpfen. "Wir kassieren zum gefühlt 150. Mal so ein Gegentor", wetterte Andrej Kramaric in der Mixed Zone.

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Der Kroate räumte ein, dass die Mannschaft "nicht so viele Lösungen in der Offensive" gefunden habe. Dies war höflich umschrieben. Abgesehen von Joshua Brenets Kopfball (38.) und einem Schlenzer von Reiss Nelson (70.) brachte Hoffenheim im Sturm nichts Konstruktives zustande. Fortuna war hingegen dem Siegtreffer mehrfach näher. "Es war mehr möglich - es hätten drei Punkte sein können", durfte Friedhelm Funkel behaupten. Alarmierend, dass die TSG so gut wie keine Chancen kreieren konnte. Vielmehr bestimmten eine frappierende Ideenlosigkeit und Zweikampfschwäche die träge Vorstellung fast aller Akteure. "Tote Hose" im Angriff - reichlich untypisch ist dies für die sonstigen Hauptdarsteller der Turn- und Spektakel-Gemeinschaft Hoffenheim.

Hintergrund

Julian Nagelsmann, TSG-Trainer: "Wir sind unheimlich träge und schläfrig ins Spiel gekommen. In der zweiten Halbzeit waren wir fast gar nicht mehr präsent. (...) Es ist vielleicht auch gut für den einen oder anderen, dass wir da nicht in falschen Sphären

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Julian Nagelsmann, TSG-Trainer: "Wir sind unheimlich träge und schläfrig ins Spiel gekommen. In der zweiten Halbzeit waren wir fast gar nicht mehr präsent. (...) Es ist vielleicht auch gut für den einen oder anderen, dass wir da nicht in falschen Sphären herum schwirren. Wir sind jetzt auf Platz acht. Viel besser haben wir in den vergangenen Wochen - was die Ergebnisse angeht - auch nicht geliefert und heute - was die Performance angeht - auch nicht."

Friedhelm Funkel, Trainer der Fortuna: "Ich bin total zufrieden mit dem Auftritt meiner Mannschaft. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir unser Ziel erreichen und die Klasse halten."

Andrej Kramaric, Stürmer: "Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Das war ein Spiel, dass wir gewinnen müssen, wenn wir unseren Traum oder unsere Hoffnung auf einen Champions-League-Platz nicht aufgeben wollen."

Stefan Posch, Innenverteidiger: "Ein beschissenes Spiel von uns. Zum Gegentor: Das ist mein Mann und das darf nicht passieren."

Nadiem Amiri, Mittelfeldakteur: "Zur Champions League müssen wir nicht mehr schauen. Wir haben 100 Mal mehr Qualität als Düsseldorf. Aber die werfen sich richtig rein - und wir nicht."

Lutz Pfannenstiel, Düsseldorfs neuer Sportvorstand: "Ich bin sehr glücklich, ein sehr gutes Spiel von uns. Ich hatte eine Nierenkolik und konnte nur noch auf dem Boden herumkriechen. Jetzt ist wieder alles in Ordnung!" (lacht) jog

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Einige Aussagen und Andeutungen nach dem Heimspiel deuten auf kleine Risse im Teamfundament hin. Nagelsmann selbst kritisierte die Einstellung, die Mannschaft habe den jüngsten 4:2-Erfolg beim SC Freiburg "in die falsche Kategorie gepackt", man sei ohne Elan in die Trainingswoche gestartet. "Wir sind einfach kein europäisches Spitzenteam, das drei Tage nicht richtig trainieren muss und dennoch die Spiele gewinnt", schimpfte Nagelsmann. Es klang wie eine Generalabrechnung.

Leidet der eine oder andere TSG-Profi nach zwei ertragreichen Jahren (Rang drei und vier) an Selbstüberschätzung und Selbstzufriedenheit?

Klassensprecher wie Kevin Vogt, Oliver Baumann oder Nico Schulz schwiegen lieber gegenüber ständigen Medienbegleitern. Torjäger Kramaric, Nadiem Amiri und Stefan Posch, sonst ein ganz ruhiger Zeitgenosse, gaben unterdessen mysteriöse Hinweise, dass es im TSG-Gebäude etwas mehr brodelt als bisher angenommen. Was bleibt? Als nächstes der Resistenz- und Stresstest am Samstag beim Primus Borussia Dortmund, die Rückbesinnung auf die Grundlagen und das neuerliche Festzurren eines gemeinsam (noch) zu erreichenden Saisonziels. Oder um es mit der Düsseldorfer Kultbund "Tote Hosen" auszudrücken: "Steh auf, wenn du am Boden bist!" Und: "Die Vergangenheit bedeutet heut‘ nichts mehr."

So funktioniert Profi- und Leistungssport generell - erst recht der Fußball mit Hollywood-Zügen im gleißenden Scheinwerferlicht.

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