Frankfurt gegen Hoffenheim

Explosionen im Stadionvulkan

2:3 bei der Eintracht - In einem hoch emotionalen Bundesliga-Spiel kassiert Hoffenheim einen Frankfurter Last-Minute-Treffer

03.03.2019 UPDATE: 04.03.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 59 Sekunden

Bitter: Gonçalo Paciência (l.) setzt sich gegen Joelinton durch - und Torhüter Oliver Baumann kassiert das 3:2 für die Eintracht. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Frankfurt. Nach einem solch verrückten Spiel brechen irgendwann alle Dämme. Insgesamt 99 Minuten lang, rechnet man die jeweiligen Nachspielzeiten der beiden Hälften mit ein, duellierten sich Eintracht Frankfurt und die TSG 1899 Hoffenheim beim 3:2 (1:1) mit einer Mischung aus Engagement, Aufopferung und Unbesonnenheit, so dass es letztlich in diesem Stadionvulkan namens Commerzbank Arena zu einer Explosion der - unterschiedlichen - Gefühle kam.

"Hoffes" Torhüter Oliver Baumann peinigte nach dem Kopfballtreffer von Gonçalo Paciência in der 96. Minute wutentbrannt das Gebälk mit Kung-Fu-Tritten. Wenn das Gehäuse zusammengebrochen wäre, niemand hätte sich gewundert. Während sich Beine und Arme der meisten Eintracht-Akteure in Eckfahnennähe zu einer unübersichtlichen Jubeltraube verknoteten, führte Adler-Kapitän Makoto Hasebe provokative Veitstänze unmittelbar vor der Gästebank auf. Dies wiederum führte zeitversetzt zu manchen Folgereaktionen. TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann stürmte auf den Japaner zu, wollte im Stadionbauch aber partout nicht verraten, aus welchem Stoff der Zoff bestand: "Ich habe zu Hasebe gesagt, was ich zu Hasebe gesagt habe. Und das war auch nur für Hasebe bestimmt." Punkt. Dafür sprach Eintracht-Trainer Adi Hütter "im Namen von Makoto Hasebe" eine Art von Entschuldigung aus. "Vielleicht sind mit ihm die Emotionen durchgegangen", sagte der besonnene Vorarlberger stellvertretend.

Derweil Hoffenheims Manager Alexander Rosen in der Mixed Zone präzisierte: "Schauen Sie mal, wie er sich gegenüber unserer medizinischen Abteilung (Anm. der Red: Bei der Verletzung von Nadiem Amiri) verhalten - und was er nach dem 3:2 veranstaltet hat." Rosen appellierte an die "Werte" im Sport.

Es gehört allerdings auch zu den Wahrheiten einer vogelwilden, bis zum letzten Wimpernschlag packenden Auseinandersetzung, die durch die Tore von Ante Rebic (20.), Joelinton (43.), Ishak Belfodil (60.), Sébastien Haller (89.) und eben das Last-Minute-Erfolgserlebnis von Paciência geprägt wurde, dass die Frankfurter Mijat Gacinovic und Filip Kostic zu dem Minuten lang auf dem Hosenboden sitzenden, völlig frustrierten Baumann eilten, um ihm kollegial Trost zu spenden. Erst danach ging es auf die Ehrenrunde der SGE-Helden.

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Aus Hoffenheimer Perspektive glich derweil das nervenaufreibende Spiel vor 49.500 Zuschauern im Frankfurter Stadtwald einer Achterbahnfahrt mit der Silver Star im Europapark Rust. Die "Nagelsmänner" machten es über weite Strecken mit ihrem letzten Aufgebot - einschließlich der wundersamen Genesung von Florian Grillitsch - gar nicht so schlecht, ließen die Eintracht verkrampfen und nicht ihre gefürchtete Offensivkraft und Wucht entfalten. Sowohl das 1:1 von Joelinton als auch das 1:2 von Belfodil waren von der arg personell gebeutelten Kraichgau-Elf sehenswert und fein herausgespielt. Ein Überraschungscoup schien sich in Nachbarschaft der imposanten Bankentürme anzubahnen. Andererseits schwebte das Unheil wie ein Damoklesschwert über den Köpfen des nordbadischen Provinzvereins. "Bruder Leichtfuß" Kasim Adams hatte sich bereits früh (15.) eine Gelbe Karte gegen Rebic abgeholt. Eine frühzeitige Dezimierung lag also in der Luft, unweigerlich fühlte man sich an die Champions League bei Olympique Lyon (2:2) erinnert, als der zuweilen tolpatschige Ghanaer nach 51 Minuten vom Feld musste.

Es dauerte in Frankfurt etwas länger, als Adams nach einer Grätsche gegen Haller (65.) vom Feld musste. "Kasim war fix und fertig", berichtete Rosen später, "wir werden ihm auf die Schulter klopfen und ihn in den Arm nehmen."

In Unterzahl veränderte sich die ohnehin wacklige Statik der Hoffenheimer "Turn- und Sport-Notgemeinschaft". Grillitsch agierte als Sechser, Achter und Innenverteidiger - Bulle Joelinton musste etwa vom Vollblutstürmer zum Abräumertypen umfunktioniert werden. In der Schlussphase bildeten Joelinton und Bundesliga-Debütant Alfons Amade eine Doppelsechs. Hoffenheim wurde gewissermaßen von einer Eintracht-Lawine erfasst und durcheinander gewirbelt. Der Druck nahm mit jeder Szene, vergleichbar mit dem jüngsten 1:1 in Leipzig, mehr und mehr zu. Das Häuflein der zehn Aufrechten vermochte sich nicht mehr zu befreien und leistete sich Patzer im Stil einer Jugendmannschaft. "Beim 2:2 diskutieren wir ewig lang mit dem Schiedsrichter rum, das dritte Tor der Eintracht ist eigentlich simpel zu verteidigen", zürnte Nagelsmann, "die beiden späten Gegentore tun schon sehr weh."

Nagelsmann war bedient, zumal das anvisierte Erreichen der internationalen Sphären immer schwieriger wird. Ein Punkt gegen die Mitkonkurrenten Leipzig und Frankfurt ist - gemessen nach beiden Spielverläufen - eher dürftig. Hoffenheim braucht gerade in den nächsten drei Partien gegen Nürnberg, in Stuttgart und gegen Leverkusen im März eine Erfolgsserie, um den Anschluss zu den lukrativen Tabellengefilden nicht frühzeitig zu verlieren. Doch wie sagte Außenverteidiger Nico Schulz mit Trotz in der Stimme: "Europa ist momentan weit weg - doch wir werden nicht aufgeben!"

Während bei der Eintracht eine Eigendynamik und dank rauschender Europapokal-Nächte eine gewisse Magie entstanden ist, muss Hoffenheim erst mal seine innere Stabilität und Resistenz wiederfinden. Das ist nach der "Folie von Frankfurt" in der Tat ein leichtes Unterfangen. Der dramaturgisch wahnwitzige Schlussakkord im Haus der Eintracht will von Baumann und Co. emotional und psychologisch erst einmal mal verarbeitet sein, weshalb Alexander Rosen das Team in den Katakomben symbolisch herzte: "Die Jungs haben großartigen Charakter gezeigt."

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