Die Stimme der TSG

Stadionsprecher Mike Diehl ist längst eine Identifikationsfigur

Hoffe-Fan der ersten Stunde - Tränen bei der Champions-League-Hymne

17.01.2019 UPDATE: 18.01.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 19 Sekunden

Mike Diehl wie man ihn kennt: Hoffenheims langjähriger Stadionsprecher mit Mikrofon in der Hand, Basecap auf dem Kopf - und vor allem nah bei den Fans. Foto: TSG

Von Nikolas Beck

Sinsheim. Selten hat ein Torschütze Mike Diehl so in die Bredouille gebracht wie Ishak Belfodil. Als Anfang Oktober zum ersten Mal überhaupt in der Sinsheimer Arena die Champions-League-Hymne erklungen war, hatten den Stadionsprecher der TSG die Gefühle übermannt. "Ich stand am Spielfeldrand und musste weinen", erinnert sich Diehl: "Ich habe gehofft, dass ich erst mal nichts durchsagen muss."

Doch der Stürmer aus Algerien kannte kein Erbarmen: Nicht einmal eine Minute war gespielt, als Belfodil zum 1:0 einnetzte - und Diehl musste ran: Tränen abwischen, einheizen. "Ich habe erst ein paar Wochen später richtig realisiert, dass unsere TSG da wirklich in der Königsklasse spielt. Das war das Größte überhaupt", sagt der "Hoffe"-Fan der ersten Stunde. Die Emotionen müssen aber eben schon mal zurückstehen, wenn bis zu 30.000 an Diehls Lippen hängen.

Hintergrund

Mike Diehl, verheiratet, wohnhaft in Bad Schönborn, ist 55 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Ober-Ramstadt. Der Moderator wurde bekannt durch seine Arbeit für Radio FFH, Radio Regenbogen und das ZDF. Am 9. Juni 2001 sah Diehl sein erstes Hoffenheimspiel,

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Mike Diehl, verheiratet, wohnhaft in Bad Schönborn, ist 55 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Ober-Ramstadt. Der Moderator wurde bekannt durch seine Arbeit für Radio FFH, Radio Regenbogen und das ZDF. Am 9. Juni 2001 sah Diehl sein erstes Hoffenheimspiel, seit 2005 ist er fest dabei. nb

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Das fällt freilich nicht immer leicht. Als zum wiederholten Male bei einem Gastspiel von Borussia Dortmund Dietmar Hopp im Fadenkreuz gezeigt wurde, musste die "Stimme der TSG" Contenance bewahren. Diehl war vorbereitet, hatte sich Stichworte notiert, mahnte Respekt und Toleranz an und sprach sich sachlich, aber entscheiden gegen Beleidigungen, Rassismus und Diskriminierung aus: "Du darfst auch bei so etwas nicht aus der Haut fahren, musst diplomatische Worte finden." Nicht von den wenigen Krakeelern, aber von den vielen vernünftigen Borussen habe es dafür Applaus gegeben, erinnert sich Diehl. Wie man in den Block hineinruft ...

Den gegnerischen Fans begegnet der 55-Jährige stets mit Respekt. Wenn die Stimmung passt, dürfen in Sinsheim auch die Gäste ihre Mannschaft gebührend begrüßen: Hoffenheims Stadionsprecher liest dann nur die Vornamen, die Fans brüllen den Rest.

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Diese sind dann auch eher mal bereit, ein Auge zuzudrücken, wenn Diehl daneben liegt, sozusagen einen verbalen Fehlpass über die Lautsprecher spielt: Nach seinem peinlichsten Moment gefragt, muss der Mann, den man meistens mit Basecap sieht, jedenfalls nicht lange überlegen: "Das war mal vor einem Spiel gegen Bremen", schmunzelt Diehl. Unmittelbar vor der Begrüßung habe er eine SMS von seinem alten Schulfreund Bruno Labbadia, damals noch Trainer unterm Bayerkreuz, bekommen. "Ich dachte, ich müsste vielleicht noch etwas Dringendes ansagen, schaute aufs Handy und las die Nachricht." Danach nahm er das Mikrofon - und hieß die Mannschaft von Bayer Leverkusen willkommen. Die Werderaner trugen es mit Fassung.

Die Arbeit des Radio-Urgesteins für die TSG geht aber weit über das Ansagen der Aufstellungen hinaus. "Sieben Tage die Woche" sei er für Hoffenheim unterwegs, erzählt Diehl, der längst zu einem der bekanntesten Hoffenheimer Gesichter geworden ist. Angefangen hatte alles 1997 in St. Leon. Bei der Eröffnung des dortigen Golfclubs traf er Dietmar Hopp, bei verschiedenen Veranstaltungen lernten sich die beiden in der Folge besser kennen. "Und irgendwann hat Herr Hopp mir erklärt, dass er aus Hoffenheim etwas Gescheites machen möchte, ein Stadion bauen, vielleicht Bundesliga-Fußball in der Region integrieren. Er hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen, weil ich doch als bekannte Person viele Kontakte in der Region hätte", erzählt Diehl.

Fortan stand Basisarbeit im Vordergrund. Die Infrastruktur und der sportliche Erfolg war das eine, um Bundesliga-Fußball in der Region zu etablieren, musste aber auch eine Fangemeinde aufgebaut werden. Schließlich standen zu Regionalligazeiten vielleicht mal "30 Fans hinter dem Tor", wie es Diehl einst formulierte.

Dass inzwischen regelmäßig bis zu 30.000 Zuschauer in die Arena pilgern, ist also auch ein Verdienst des ehemaligen Fanbeauftragten. Inzwischen hat sich der Charakterkopf aus der Fanbetreuung aber zurückgezogen, konzentriert sich auf Arena-Touren, kümmert sich um "Hoffes" Charity - und versucht permanent, die Stadionshow zu optimieren.

"Die Vorbereitung beginnt bereits Tage vor einem Spiel", berichtet Diehl, der sich immer mittwochs mit zwei Kollegen Gedanken macht, wie die 45 Minuten vor dem Anpfiff gestaltet werden könnten. Dabei gäbe es gewisse Pflichten, etwa Wünsche von Sponsoren oder verschiedene Interviews. Auch die Musikauswahl hat sich bewährt: Erst die Hymne "Unsere Liebe", dann das "Badnerlied", die Aufstellungen und Rammsteins "Engel" zum Einlauf.

Aber es bleibt auch Zeit für neue Ideen. Im Weihnachtsspiel am Tag vor Heiligabend sang das Stadion erstmals "Sweet Caroline". "Nach dem Badnerlied war mir das ein bisschen zu ruhig", lacht Diehl: "Da brauchen wir ein bisschen Party." Ob’s zum festen Ritual wird? Zu feiern gibt es bei der TSG Hoffenheim in den vergangenen Jahren ja eine ganze Menge.

Mike Diehl hat in seinen inzwischen über 300 Bundesligaspielen aber auch schon andere Zeiten erlebt. "Das war der Tiefpunkt", erinnert sich Diehl an den vorletzten Spieltag 2013. Hoffenheim hatte daheim 1:4 gegen den Hamburger SV verloren, war praktisch abgestiegen. Zumal es zum Abschluss bei Champions-League-Finalist Dortmund antreten musste und dort eine Halbzeit lang förmlich an die Wand gespielt wurde. Diehl moderierte in der heimischen Arena ein Public Viewing - und hatte die undankbare Aufgabe, 8000 TSG-Fans mit Sprüchen wie "Genießen wir noch mal ein bisschen Bundesliga" oder "Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder" bei Laune zu halten.

Der Rest ist Geschichte. Elfmeter Salihovic zum Ausgleich, Rot gegen BVB-Schlussmann Weidenfeller, Elfmeter Salihovic gegen Not-Keeper Großkreutz zum 2:1-Sieg. Hoffenheim schob sich in letzter Minute auf den Relegationsplatz - und in Sinsheim brachen alle Dämme. "Wir haben die Tore geöffnet, sind uns in die Arme gefallen, haben uns auf dem Rasen gekullert", erinnert sich Diehl an Momente, die so wohl nur der Fußball erzeugt.

Momente, die in Hoffenheim schon seit anderthalb Jahrzehnten begleitet werden von Mike Diehl - und dessen Stimme.

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