Alfred Schreuder im Interview

"Kramaric kann es nicht alleine"

Cheftrainer Alfred Schreuder über "Hoffes" Wir-Gefühl, sein Selbstverständnis und die Bedeutung der Kabine

16.01.2020 UPDATE: 20.01.2020 06:00 Uhr 8 Minuten, 1 Sekunde

Von Joachim Klaehn

Zuzenhausen. Alfred Schreuder (47) ist seit 1. Juli 2019 Cheftrainer bei der TSG Hoffenheim. Der Niederländer hat einen Vertrag bis 2022 im Kraichgau unterschrieben und ist ein total anderer Typ als sein extrovertierter Vorgänger Julian Nagelsmann.

Alfred Schreuder, die TSG war im Trainingslager in Spanien. Warum der Süden statt heimatlicher Gefilde? Woran haben Sie gefeilt?

In der jüngeren Vergangenheit hat das die TSG nicht gemacht. Doch weil die Gruppe sich im Sommer ja erheblich verändert hatte, haben wir gedacht, es ist gut im Winter nochmal ein kurzes Trainingslager zu absolvieren. Es ging mir vor allem darum, das Mannschaftsgefühl weiter zu stärken, indem wir zusammen sind. Inhaltlich haben wir auf dem Platz am Defensivverhalten gearbeitet, aber auch an unserem Spiel vorne im letzten Drittel, das war in der Hinrunde durchaus noch ausbaufähig. Wir haben uns also einerseits auf die Dinge fokussiert, die wir verbessern wollen, aber selbstverständlich auch über unsere Stärken gesprochen. Außerdem ist so ein Trainingslager auch eine Chance, einige Talente ein bisschen Luft bei den Profis schnuppern zu lassen. Grundsätzlich ist es ja so: Wir haben in dieser Saison eher wieder einen Kader, der aufgrund der personellen Veränderungen im Sommer ent- beziehungsweise weiterentwickelt werden muss. Zuvor war das Team doch mehr für die Teilnahme an Champions League oder Europa League zusammengestellt.

Die TSG hat personell nachjustiert, auch aus Verletzungsgründen. Was sind Ihre ersten Eindrücke von Munas Dabbur und Michael Esser, welche Rolle können beide spielen?

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Da wir so viele verletzte Torhüter haben, hat der Verein sehr schnell und gut reagiert. Michael Esser weiß, warum er hier ist. Das ist intern klar kommuniziert. Munas Dabbur hat sehr viel Qualität vorne auf engstem Raum. Er hat das Potenzial, unser Spiel zu bereichern, er hat ein gutes Auge und eine sehr gute Qualität im Abschluss. Er erhöht in jedem Fall wieder unsere Auswahl im Angriff, wo wir den Ausfall von Ishak Belfodil auffangen müssen. Klar ist aber auch, Munas braucht natürlich etwas Zeit sich einzugewöhnen.

Wird Esser gegen die Eintracht den Vorzug vor Philipp Pentke bekommen oder nicht?

Es gibt keinen Grund, Philipp Pentke aus dem Tor zu nehmen. Philipp ist bis zu Oliver Baumanns Verletzung eine sehr gute Nummer zwei gewesen und genießt unser Vertrauen. Aber Michael ist ein erfahrener Torwart, der unser Team in einer Situation stärkt, in der wir auf dieser wichtigen Position durch die verletzungsbedingten Ausfälle von Oli, Alexander Stolz und Daniel Klein personell zu schwach aufgestellt waren.

Mit Ex-Kapitän Kevin Vogt hat ein langjähriger Leader die TSG verlassen. Was hat da nicht mehr zusammengepasst?

Fußball ist Leistungssport und ich habe eine bestimmte Herangehensweise. In den letzten beiden Spielen vor der Winterpause waren die anderen besser und Kevin wusste, warum er nicht gespielt hat. Es war eine Entscheidung für andere Jungs und keine gegen ihn. Er konnte das nicht nachvollziehen und wollte spielen. Ich will es nicht größer machen als es ist: Kevin wollte nicht auf der Bank sitzen und hat sich für Werder Bremen entschieden.

Und bei Belfodil: Bekommt er vom Trainerteam nach seinen skurrilen Vorwürfen gegen den Klub eine zweite Chance?

Dieses Thema ist wirklich etwas für den Verein. Ich habe so eine Situation in meiner Karriere noch nie erlebt, weder als Aktiver noch als Trainer. Ishak ist ein sehr guter Spieler, wenn er fit ist. Wir müssen abwarten, was die Zukunft bringt. Aber er ist jetzt operiert worden, fällt aus und ich muss vorerst ohne ihn planen. Es bringt nichts, zu spekulieren.

Bei Ihrem Wiedereinstieg in Hoffenheim haben Sie gesagt: "Es geht immer nur als Wir, nie als Ich". Nun wissen wir alle über Profisportler, dass viele Ich-AGs existieren. Wie gehen Sie damit um?

Ein gewisses Maß an Eigensinnigkeit ist okay, aber das darf niemals über dem Mannschaftsziel stehen. Ich rede viel mit den Spielern über das, was uns stark macht. Im Fußball werden die Spieler schnell groß gemacht und von vielen Seiten beeinflusst. Doch selbst ein Topspieler wie Andrej Kramaric kann es nicht alleine, er wird in unserer Mannschaft sehr geschätzt und weiß ganz genau, dass er die anderen Jungs für den Erfolg braucht und ist dankbar dafür.

Ist dies zugleich eine der größten Herausforderungen, dass ein 30er-Kader an einem Strang zieht?

Man braucht ein entsprechendes Gespür. Als Spieler bin ich zehn Jahre lang Kapitän gewesen, kenne die Kabine und die Marotten von Profis. Als Trainer schaue ich deshalb genau hin bei den Spielern. Vor allem auf die Körpersprache, aber auch wie sie miteinander kommunizieren, wie viel Willen sie zeigen, aber auch ob sie Spaß haben miteinander. Ich habe eine gute Verbindung zu Kapitän Benni Hübner und dem Mannschaftsrat. Mit sechs, sieben Spielern tausche ich mich ständig aus. In meinem Kopf habe ich ein Soziogramm. Die Idee dahinter: Welche Spieler muss ich einzeln ansprechen, um die größtmögliche Reichweite im Kader zu erzielen? Wer spricht mit wem? Aber natürlich ist das keine Einbahnstraße: Wenn etwas ist, dann kommen sie auch zu mir. Ich bin offen für alle ihre Ideen. Als Trainer musst du aber dann im Zweifelsfall gute Argumente haben (lacht).

Bruder, Co-Trainer und Sparringspartner: Dick (l.) und Alfred Schreuder. Fotos: APF

Nach 100 Tagen machte der kicker einen Schreuder-Trainercheck, Wie fällt denn Ihr persönliches Fazit nach der ersten Halbserie als Bundesliga-Cheftrainer aus?

Es war ein sehr intensives halbes Jahr, das mir aber auch viel Spaß bereitet hat. Ich habe viel gelernt – auch über mich selbst. Die Tatsache, dass der Verein in einer kritischen Phase ruhig geblieben ist, hat uns weitergebracht. Die Spieler haben das ja ebenfalls genau registriert. Wenn du viel investierst, dann wirst du auch belohnt. Eine meiner Erkenntnisse für mich ist: Als Trainer kannst du nicht immer alles beeinflussen wollen, du musst auch mal loslassen oder ganz runterfahren. Das musste ich lernen.

Auffällig war von außen betrachtet die Diskrepanz: Bayern, BVB oder Schalke auf der einen Seite, Mainz oder Augsburg auf der anderen Seite. Haben Sie im Weihnachtsurlaub ein Erklärungsmuster dafür gefunden?

Ich mache mir nicht zu viele Gedanken über das beschriebene Phänomen. Es ist ganz normal, dass es solche Hoch und Tiefs gibt, wenn man so viele Abgänge und Zugänge wie wir hatte. Gerade der Oktober war ein Supermonat. Aber als Trainer ist es mein Job, nicht nur auf Ergebnisse zu schauen. Wenn die Mannschaft schlecht spielt und gewinnt, ist das nicht nur hilfreich, sondern auch problematisch, weil es über gewisse Dinge hinwegtäuschen kann. Wenn sie hingegen sehr gut spielt und verliert, kann das fußballerisch dagegen mehr Vertrauen geben, auf dem richtigen Weg zu sein. Wenn der Videoanalyst mir sagt, dass Hoffenheim noch nie so häufig im letzten Drittel war wie gegen Gladbach (0:3), dann ist das ein positives Zeichen für unsere Entwicklung, wenngleich das reine Ergebnis erst mal nicht so gut ist. Sehr wichtig waren die beiden Spiele bei Union Berlin (2:0) und gegen den BVB (2:1). Hier haben die Jungs enorme Mentalität gezeigt.

Der Coup bei den Bayern löste die Erfolgsspirale aus …

Ja, klar, das hat schon etwas mit den Jungs gemacht, die TSG Hoffenheim hatte zuvor noch nie beim FC Bayern gewonnen. Die Ausstrahlung unserer Mannschaft war herausragend. Sie wollte zeigen, wie gut sie ist.

In welchen Teilbereichen wünschen Sie sich eine Steigerung im Hinblick auf die Rückrunde?

Wir können uns in allen Belangen verbessern. Wir wollen uns weiterentwickeln, wir sind ein Klub, der für Entwicklung steht. Wir gehen mit einer guten Perspektive in die Rückrunde, müssen uns aber klar sein, dass die Liga eine unheimliche Leistungsdichte hat. Wir können Sechster werden, aber auch Achter oder Zehnter. In Deutschland gibt es viele große und gute Vereine, Bremen oder Frankfurt haben sich diese Saison bisher bestimmt auch anders vorgestellt. Und so kannst du nach drei, vier Spieltagen in der Rückrunde Fünfter sein oder Elfter. Die Bundesliga ist eben richtig stark. Dennoch: Unterm Strich bin ich zufrieden, wie sich die Mannschaft nach diesem schwierigen Sommer präsentiert.

Stichwort Heimbilanz …

Die muss besser werden, keine Frage!

Das 2:1 bei den Bayern war ein historischer Dreier für die TSG. Im Februar geht es zweimal gegen den Weltverein. Mehr Chance als Risiko?

Wir freuen uns riesig darauf. Es ist der mit Abstand größte Verein hierzulande und einer der absoluten Spitzenklubs international. Natürlich wird das extrem herausfordernd für uns. Wir müssen die Ausstrahlung haben, dass wir unbedingt nach Berlin ins DFB-Pokalfinale wollen. Nur mit absolutem Willen hast du eine Chance gegen die Bayern – auch in der Bundesliga, und einmal hat es ja in dieser Saison schon geklappt (lacht).

Sie legen viel Wert auf Dominanz und Disziplin. Wie weit ist Ihr Team, dass es Ihre Spielphilosophie umsetzt?

Da ist noch Luft nach oben. Als Trainer musst du dein System immer an die Qualität deiner Spieler anpassen. Entscheidend ist letztlich nicht nur der Coach mit seiner Idee, sondern die Spieler, die auf dem Platz stehen. Wir haben mehrfach die Grundordnung geändert, uns gefragt, welche gibt uns mehr Sicherheit. Bei Union Berlin zum Beispiel hat Florian Grillitsch einfach die Verantwortung auf dem Platz übernommen und umgestellt. Am Ende haben wir ein 5-4-1 gespielt – erfolgreich. Ich habe Flo deshalb in der Kabine gelobt. Es geht um das Gespür, die Spielintelligenz und die Flexibilität. Als Spieler hast du manchmal eine andere Wahrnehmung und ein anderes Gefühl auf dem Platz als von außen. Es ist gut, wenn sie das so machen wie bei Union, und es ist positiv für die Entwicklung einer Mannschaft. Ich fordere unsere Spieler dazu auf, Eigenständigkeit zu beweisen und Entscheidungen zu treffen.

Hintergrund

Zur Person

Alfred Schreuder wurde am 2. November 1972 in Barneveld geboren. "Hoffe" ist der zweite Cheftrainerposten nach der Saison 2014/15 bei Twente Enschede. Der sympathische Niederländer gilt als sachlicher Analytiker. Er lebt mit seiner Familie

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Zur Person

Alfred Schreuder wurde am 2. November 1972 in Barneveld geboren. "Hoffe" ist der zweite Cheftrainerposten nach der Saison 2014/15 bei Twente Enschede. Der sympathische Niederländer gilt als sachlicher Analytiker. Er lebt mit seiner Familie in Heidelberg, ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Tochter Anouk starb 2006 im Alter von sechs Jahren an einem Hirntumor. Dieser Schicksalsschlag hat Schreuder geprägt. (jog)

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Wie ist Ihr Selbstverständnis als Fußballtrainer?

Natürlich gibt es bestimmte Basics, aber du musst den Spielern Freiheiten geben, gemeinsam den passenden Stil erarbeiten. Wichtig ist, dass ich ihnen Vertrauen schenke, dass sie Fehler machen dürfen. Es gibt Profis, die brauchen mehr Führung, andere benötigen mehr Freiheiten. Nur bei den Ketten in der Defensive bedarf es einer klaren Struktur. Du musst komplett als Team verteidigen.

Wie symbiotisch ist die Zusammenarbeit im TSG-Trainerteam? Sie haben ja mit Ihrem Bruder Dick einen engen Vertrauten an Ihrer Seite …

Unser Trainerteam funktioniert sehr gut. Matthias Kaltenbach und Dick übernehmen inzwischen auch mehr Verantwortung auf dem Rasen, leiten das Team mit an. Mein Bruder, der ein Jahr älter ist als ich und selbst Jahre lang Cheftrainer gewesen ist, übernimmt für mich zudem noch eine wichtige Rolle als Sparringspartner. Sein Feedback ist mir wichtig und ich bekomme es von ihm direkt und ungefiltert.

Ist es von Vorteil, dass Sie 333 Partien in der Ehrendivision als Spieler und lange Jahre als Co-Trainer gedacht und gearbeitet haben?

Ich glaube schon. Ich habe schon als aktiver Spieler Jugendliche, von der U12 bis zur U19, in meinem Heimatverein in Barneveld trainiert, mich quasi schon seit jeher mit dem Thema Trainerdasein beschäftigt. Mit Twente Enschede, wo ich zunächst Co- und dann Cheftrainer war, wurden wir im ersten Jahr Meister, später gab es finanzielle Probleme, Minuspunkte vom Verband, wir rutschten sportlich ab und der Präsident verließ den Klub. Wir gerieten in eine Abwärtsspirale – das war für mich eine harte Lehre als Chefcoach.

Sie gelten als Kabinenkenner. Welche signifikanten Unterschiede gibt es zwischen Ihrer Profizeit und der heutigen? Hat sich die Atmosphäre in diesem geschützten Raum verändert oder gelten ewige Gesetze?

Der Humor ist dort ein entscheidender und bleibender Faktor. Die Spieler müssen sich dort sicher und komfortabel wie im heimischen Wohnzimmer fühlen. Deshalb gehe ich als Trainer nicht so oft dort hinein. Die Kabine und der Nebenraum mit der Physio-Abteilung sind für die Spieler da. Diese Räumlichkeiten haben zentrale Bedeutung – das wird auch immer so sein.

Sie haben u.a. mit Bos, McClaren, Preud’homme, Stevens, Nagelsmann und ten Haag zuletzt bei Ajax zusammengearbeitet. Pickt man sich da jeweils das Gute heraus? Und wie haben Sie Ihren eigenen Weg für sich entdeckt?

Jeder der genannten Trainer hat seinen eigenen Führungsstil und ist als Typ anders. Es ist immer schwierig, Trainer miteinander zu vergleichen. Von Julian Nagelsmann habe ich viele Trainingsübungen übernommen, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Die haben wir dann auch bei Ajax Amsterdam unter Erik ten Haag angewendet (lacht). Ein Trainer heutzutage muss die Mannschaft gut führen, mit den Medien umgehen und sich ein Standing im Verein aufbauen. Das ist unter Umständen noch wichtiger als die reine Trainingsarbeit. Hier waren McClaren und Preud’homme durchaus richtungsweisend für mich.

Wenn Sie die drei folgenden Sätze bitte vervollständigen: Auf dem elterlichen Bauernhof bei Barneveld habe ich einst gelernt, dass …

... harte Arbeit immer belohnt wird.

Mit meiner Familie genieße ich meine Wahlheimat Heidelberg und Umgebung, weil …

... ich dort sehr gut entspannen kann. Ich gehe häufiger im Wald spazieren, das ist sehr schön!

Am 16. Mai nach dem Saisonabpfiff bei Borussia Dortmund wäre ich rundum zufrieden, wenn …

... (überlegt lange) wir als Team bis zur letzten Sekunde und als gesamter Klub eng beieinander geblieben sind. Ein Zusammenrücken, unabhängig davon was passiert, ist der Kern für Erfolg!

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